Trash-Internet

Bedrohung des Schlaraffenlands

Vom Gratis- zum Zwei-Klassen-Internet
Von dpa /

Ob E-Mail-Adresse, Zeitungsarchiv oder Fotoalbum - im Internet ist fast alles umsonst. Doch die Krise der New Economy stellt das Gratisparadies World Wide Web in Frage. Immer mehr Dienstleistungen kosten Geld. Die Online-Unternehmen geben indes Entwarnung: Nachrichten und E-Mails werden auch in Zukunft umsonst sein, heißt es.

"Wir würden nie sagen: So, ab jetzt wollen wir für Yahoo-Mail Geld sehen", sagt Inga Weihe, Sprecherin von Yahoo Deutschland in München. Auch die sechs Millionen Freemail-Nutzer von Web.de brauchen sich dem Unternehmen in Karlsruhe zufolge keine Sorgen machen: "Alle Dienste, die momentan kostenlos sind, werden kostenlos bleiben", bestätigt Web.de-Sprecher Richard Berg.

"Die Netzeitung ist und bleibt umsonst", sagt auch Joachim Widmann, stellvertretender Chefredakteur der "Netzeitung [Link entfernt] " in Berlin. Ohnehin sei der Leser nicht bereit, allgemeine Informationen im Internet zu bezahlen. Damit müsse sich die Medienbranche abfinden.

Schuld daran ist die Philosophie des World Wide Web. "Das Internet war von Beginn an sehr großzügig. Diese Entwicklung ist nicht mehr umkehrbar", sagt Harald Summa, Geschäftsführer des Internet-Verbandes eco in Köln. Der Marktforscher Holger Maaß schließt sich diesem Urteil an: "Es gibt kein Zurück mehr aus der Kostenlos-Kultur", so der Geschäftsführer von Fittkau & Maaß in Hamburg.

Eine Umfrage des Unternehmens zeige, dass nur ein Drittel von 87 000 befragten Internet-Nutzern für Online-Inhalte Geld ausgeben würde. "Ich zahle doch schon genug für meinen Internet-Zugang", lautet Maaß zufolge das Argument der Nutzer gegen kostenpflichtige Inhalte.

Die Gewöhnung der Kunden an das Gratisparadies Internet ist nicht das einzige Problem, das den Unternehmen Kopfzerbrechen bereitet. "Hinzu kommt die schwache Kundenbindung und die Furcht der Surfer vor Sicherheitslücken beim Online-Bezahlen", sagt Carsten Lienemann vom Fraunhofer Institut für Software- und Systemtechnik in Dortmund. So finden etwa 58 Prozent der von Fittkau & Maaß befragten Internet-Nutzer, dass die Übertragung von Kreditkartennummern risikoreich ist. Der Versuch, ein flächendeckendes Bezahlsystem einzuführen, würde eco-Geschäftsführer Summa zufolge daher das "Ende des Internets" bedeuten.

Seit am Online-Werbemarkt Katerstimmung herrscht, sind die Finanzierungsprobleme vieler Internet-Unternehmen noch stärker zu Tage getreten. "Es ist fraglich, ob einigen Unternehmen der Atem ausreicht, bis sich der Werbemarkt wieder entspannt", sagt Maaß. Einziger Ausweg sind neue Einnahmequellen.

Laut Online-Journalist Widmann kann man nur für spezielle Fachinformationen Geld von den Nutzern verlangen. Fraunhofer-Experte Lienemann sieht in der Informationslogistik einen wertvollen Zusatzdienst: "Der Nutzer steht oft hilflos vor einer Informationslawine. Daher wären automatische Sammelstellen, die für den Nutzer wirklich nur relevante Inhalte herausfiltern, ihr Geld wert."

Die Kommunikationsdienstleister setzen indes auf eine "Mischung aus kostenlosen - werbefinanzierten - und kostenpflichtigen Diensten", wie Web.de-Sprecher Berg erläutert. So fallen für Anrufbeantworter, Fax und Telefonate über das Internet bereits Gebühren an. Weitere "Premiumdienste" dieser Art sollen folgen. Auch Yahoo will verstärkt kostenpflichtige Zusatzleistungen anbieten - etwa die Erweiterung des E-Mail-Speichers.

Die Entwicklung hin zu einem Zwei-Klassen-Internet ist in vielen Bereichen zu beobachten. So unterscheiden Lexika und Datenbanken zunehmend zwischen kostenfreien und privilegierten Zugängen. Nutzer, die nichts zahlen, erhalten lediglich eingeschränkte Informationen und müssen Werbebanner dulden. Kostenpflichtige Volltextzugänge hingegen sind werbefrei.

Eine Kulturrevolution werde im World Wide Web aber - vorerst - nicht stattfinden, gibt Maaß Entwarnung: "Die Verbraucher müssen keine Angst haben, dass im Internet bald alles Geld kostet." Zwar würden Zusatzdienste verstärkt kostenpflichtig, aber Basisleistungen wie E-Mail, Nachrichten und Börsenkurse seien weiterhin umsonst zu haben, prognostiziert der Marktforscher. Sein Fazit: "Das Internet ist und bleibt ein Schlaraffenland."

Glaubt man Matthias Horx, Geschäftsführer des Zukunftsinstituts in Kelkheim bei Frankfurt/Main, könnte das Schlaraffenland aber langfristig in mehrere Teile zerfallen. "Es wird weiterhin eine riesige, kostenlose Spielbude voller Belanglosigkeiten, Sex und Flirts geben, also ein Trash-Internet", sagt der Trendforscher. Doch davon werden sich Horx zufolge zwei kostenpflichtige Netze abkoppeln.

"Das "Knowledge-Net" wird nur ein kleiner Teil der Bevölkerung nutzen - etwa Wissenschaftler, Rechtsanwälte und Journalisten, die bereit sind, für hochspezifische Informationen zu zahlen", so der Trendforscher in seiner Studie "Die Zukunft des Internet". Als dritten Zweig werde es ein "Entertainment-Net" mit Musik und Filmen zum Herunterladen geben, so Horx. Und auch hier gelte das Motto: "Wer nicht zahlt, bleibt draußen."