Schulfrei

Bonner Kinderklinik startet einmaliges Projekt für Krebskranke

Internet-Technik holt Unterricht ans Krankenbett
Von AFP / Frank Rebenstock

Anja spricht langsam und leise. Wie sie blass und schwach in ihrem Krankenhausbett liegt, ist schwer vorstellbar, dass sie noch am selben Tag etwas lernen kann. Aber als es heißt, es sei eine neue Videokassette aus ihrer Klasse gekommen, ist die 16-jährige nicht mehr zu bremsen und will den Film sofort anschauen. Anja ist Tumorpatientin an der Kinderklinik der Bonner Universität. Regelmäßig bekommt sie Videobänder vom Schulunterricht, dem sie seit Monaten kaum noch vor Ort folgen kann. Am liebsten würde sie auch schon am neuesten Pilotprojekt der Klinik teilnehmen, der Live-Übertragung des Unterrichts ins Krankenhaus per Internet-Technik. Aber noch ist ihre Schule bei dem bundesweit einmaligen Projekt namens "Klassenzimmer ins Krankenzimmer" nicht dabei.

Mit Videos aus der Schule arbeitet die Abteilung für Hämatologie und Onkologie nach Angaben von Projektleiterin Renate Pfeifer schon seit anderthalb Jahren. Am Dienstag startete nun auch das Projekt der direkten Vernetzung von Klasse und Krankenhaus, für das die Tomburg-Realschule in Rheinbach bei Bonn gewonnen werden konnte. Eine Schülerin dieser Schule wird derzeit in Bonn behandelt. Für das Projekt wurde an der Decke des Klassenzimmers eine Kamera angebracht die den Unterricht aufzeichnet. Die Aufzeichnungen werden per ISDN an einen Server in der Kinderklinik übertragen und können von dort mit einem Laptop abgerufen werden.

Hinter dem Projekt steht die Idee, die Kinder weiter am Leben ihrer Klassenkameraden teilnehmen zu lassen, erklärt Professor Udo Bode, Leiter der onkologischen Abteilung. Mittlerweile können 70 Prozent der rund 2000 Kinder, die jedes Jahr in Deutschland an Krebs erkranken, geheilt werden. In seinen 20 Jahren an der Klinik hat Bode aber oft erlebt, wie die durch ihre Krebserkrankung ohnehin schon isolierten Kinder nach und nach den Kontakt zu ihrem schulischen Umfeld verlieren. Da das Einzugsgebiet des Bonner Krebszentrums bis ins Sauerland und nach Trier reicht, kommen die Kinder von zu weit her. Anja beispielsweise stammt aus einem kleinen Dorf in der Eifel. Sie schüttelt den Kopf auf die Frage, ob sie schon einmal Besuch von Mitschülern bekommen hat.

Renate Pfeifer, deren Sohn selbst vor Jahren in der Klinik behandelt worden war, weiß, dass viele krebskranke Kinder nach der Genesung eine Klasse wiederholen müssen. "Dabei sind sie durch ihre Krankheit viel reifer als Gleichaltrige und werden nun zu noch jüngeren gesteckt", berichtet sie. Viele sind auch enttäuscht von den Reaktionen der Mitschüler, wenn sie nach Monaten zurückkehren. " Aus Angst etwas Falsches zu sagen, fragen die noch nicht einmal: 'Wie geht's?'." Renate Pfeifers Traum ist, dass das Modell irgendwann für alle Patienten der Kinderklinik mit ihren 17 Betten möglich wird. "Dazu brauchen wir aber noch Sponsoren für Kameras, Laptops und Leitungsgebühren." Auch Helmut Radlandski, zweiter Konrektor der Rheinbacher Schule, spricht von einer "äußerst gute Sachen, mit der man leicht helfen kann". Die Mitschüler seien sehr motiviert.

Bereits seit 1998 gibt es in Deutschland die Internetseite stern-fuer-kinder.de [Link entfernt] , die es erkrankten Kindern in mittlerweile 13 Krankenhäusern ermöglicht, Kontakt untereinander aufzunehmen und zu chatten. Professor Bode bevorzugt aber das Bonner Modell: "Ich bin dagegen, dass man solche Clubs macht von Kranken in Krankenhäusern. Die Kinder wollen doch so normal wie möglich sein." Für ihn ist das Wichtigste an dem Pilotprojekt nicht, "dass die Kinder Gedichte lernen oder komplizierte Mathe-Aufgaben lösen, sondern das Gemeinschaftsgefühl".

Auch Anja erzählt, dass ihre Mitschüler es witzig fanden, "sich für mich filmen zu lassen und auch selbst zu filmen". Und die 16-jährige ist sicher: Die Kinder, die an dem Projekt "Klassenzimmer ins Krankenzimmer" teilnehmen können, "werden sich nicht so ausgegrenzt fühlen".