Kehrseite der Medaille

Insolvenz, Ausbeutung & Co.: Das sind die Schatten­seiten der Discounter­isierung

Discount-Tarife, billige Smartphones und Tablets im Supermarkt, Online-Shopping ohne Versandkosten: Was für Schnäppchenjäger und weniger zahlungskräftige Verbraucher wie das Paradies klingt, ist für andere ein Horror. Wir beleuchten in diesem Artikel einmal die Kehrseite der Schnäpp­chen­kultur-Medaille.
Von

Unser bisheriger Bericht klang so, als ob die Netzbetreiber vom ruinösen Preiskampf völlig unberührt wären. Doch weit gefehlt - allerdings machen die Netzbetreiber ihre Kompromisse an anderen Stellen. Schlechte Beratung im Shop oder an der Hotline kann sich ein Netzbetreiber auf Dauer nicht leisten - zur Kosteneinsparung bleibt lediglich die Verlagerung des Service-Betriebs ins Ausland. Vodafone beispielsweise betreibt ein großes Callcenter in Ägypten.

Doch auch bei der alltäglichen Nutzung bekommen Kunden mitunter einen Eindruck von den Sparmaßnahmen. In den vergangenen zwei Jahren häuften sich Beschwerden darüber, dass in einigen Regionen Deutschlands beispielsweise über das Vodafone-EDGE-Netz trotz guter Funkversorgung kaum noch Datenverkehr stattfindet. Nach regelmäßiger Berichterstattung durch teltarif.de und massiven Kundenbeschwerden musste das Unternehmen zugeben, dass es mehr oder weniger sein ganzes Investitionsvolumen in den LTE-Ausbau gesteckt und dabei die bestehenden Netze vernachlässigt hatte. Auf der CeBIT 2013 sprach Vodafone-Chef Jens Schulte-Bockum schließlich reumütig von einer notwendigen grundlegenden Restaurierung des Bestandsnetzes - das Wort "Restaurierung" lässt den damaligen Zustand der älteren Netze nur erahnen. Hinter vorgehaltener Hand wird auch die Rolle der britischen Konzernmutter dabei kontrovers diskutiert.

Dennoch gibt es kein gesetzlich festgelegtes Verfahren, was zugunsten des Kunden im Falle einer ungenügenden Netzversorgung greifen würde. Eine Kündigung wegen "Nichterfüllung des Vertrags" mag allenfalls bei einem LTE-/HSPA-Zuhause-Vertrag rechtlich durchsetzbar sein - bei einem echten Mobilfunkvertrag bleibt der Kunde hier auf die Kulanz des Netzbetreibers, beispielsweise auf Grundgebühren-Rückerstattungen angewiesen. Das betrifft auch die regelmäßig von teltarif.de in allen Mobilfunknetzen auftretenden Netzausfälle, die sich zum Teil über mehrere Stunden erstrecken.

Hardware vom Supermarkt oder Online-Händler: Auch hier gibt es Opfer

Bei Versandzentralen gibt es immer wieder Berichte über ungesetzliche Arbeitsbedingungen Bei Versandzentralen gibt es immer wieder Berichte über ungesetzliche Arbeitsbedingungen
Bild: dpa
Im Rahmen der Schnäppchen-Checks berichtet teltarif.de regelmäßig über günstige Hardware-Angebote bei Supermärkten und vergleicht diese mit Offerten im stationären Handel sowie bei Online-Shops. Das Fazit lautet in den letzten Monaten zwar meist, dass der Kauf im Supermarkt hier kaum noch ein echtes Sparpotenzial bietet - doch die negativen Begleiterscheinungen betreffen alle Vertriebswege.

Bei teuren Smartphones und Tablets können die Hersteller keine Kompromisse bei der Ausstattung und Qualität machen - trotzdem überrascht der mitunter rasend schnelle Preisverfall innerhalb weniger Wochen wie aktuell beim LG G3. Doch auch ohnehin günstige Einsteiger- und Mittelklasse-Geräte bleiben vom Preisverfall nicht verschont, was für den preisbewussten Kunden auf jeden Fall ein Vorteil ist. Doch bezüglich ihrer Belastbarkeit sind viele Geräte kaum noch auf Belastbarkeit, Aufrüstbarkeit und eine jahrelange Versorgung mit Firmware-Updates ausgelegt. Hersteller wie Samsung, die mit sehr vielen Geräten den Markt förmlich überschwemmen, kalkulieren damit, dass der Kunde nach zwei Jahren das Handy wegwirft und ein neues kauft - Berge von Elektroschrott, der sachgerecht entsorgt werden muss, sind die Folge. Bilder von Kindern, die auf Müllkippen wiederverwertbare Rohstoffe aus Elektrogeräten herauspulen, gehen in regelmäßigen Abständen um die Welt.

Durch die gesunkenen Margen beim Elektronik-Verkauf müssen die Hersteller die Geräte meist in Billiglohnländern produzieren lassen: Berichte von chinesischen Wanderarbeitern, die nach einer 12-Stunden-Schicht nachts aus dem Bett geholt werden, um ein neues iPhone zu produzieren, gehören ebenso zu den Schattenseiten wie Kinderarbeit bei Zulieferern und mangelnde Arbeitsschutzbedingungen, beispielsweise im Umgang mit gefährlichen Chemikalien.

Zulieferer und Versandzentren: Niedrige Löhne und Verstoß gegen Arbeitnehmerrechte

In Deutschland wird darüber hinaus vermehrt die sogenannte Lieferkette unter die Lupe genommen: Vor dem Empfänger hatte als letztes der Zusteller das Paket in der Hand. Nicht nur Insider, sondern auch eingeschleuste Journalisten berichten vermehrt davon, dass - außer den viel zu niedrigen Löhnen - eine fast unzumutbare Arbeitsbelastung, Druck am Arbeitsplatz und eine oft ungenügende Einweisung die Folge sind.

Doch auch in der Lieferketten-Position davor gibt es regelmäßig negative Berichte: Versandhändler wie Amazon oder Zalando stehen in der Kritik, den Angestellten verbriefte Arbeitnehmerrechte zu verweigern - Berichte über Streiks sind die Folge. Ohnehin wird ein Großteil des Versandgeschäfts - beispielsweise vor Weihnachten - von schnell angelernten Saisonkräften erledigt. Eine dauerhafte Arbeitsperspektive ist damit meist nicht verbunden, auch fest angestellte und besser bezahlte Mitarbeiter müssen damit rechnen, dass der Konzern das Versandzentrum gegebenenfalls kurzfristig ins europäische Ausland verlegt, um Kosten zu sparen und Subventionen zu kassieren.

Fazit: Erhobener Zeigefinger alleine reicht nicht

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Trend zur Discounterisierung durchaus Schattenseiten mit sich bringt, die weder der Verbraucher noch der Gesetzgeber noch Verbraucherverbände innerhalb kurzer Zeit abstellen können. Das Erheben des moralischen Zeigefingers alleine wird hier also keine schnelle Besserung bewirken, im Rahmen dieses Überblicksartikels konnten wir auch nicht auf alle Entgleisungen eingehen.

Doch wer kann an den beschriebenen Umständen überhaupt etwas ändern? Der Kunde ist mit seinem Kaufverhalten vielleicht gar nicht so machtlos, wie er vielleicht manchmal denkt. Doch auch regelmäßige kritische Nachfragen bei Herstellern, Providern und Lieferanten können gegebenenfalls Denkprozesse bei den Unternehmen in Gang setzen. Wenn sich die Erkenntnis durchsetzt, dass Qualität immer auch einen gewissen Preis kostet, könnten vielleicht ganz schlimme Entartungen abgestellt werden.

Aufrufe zum Konsumverzicht führen meist auch nicht weiter, da von einer Marktbereinigung als erstes die Angestellten eines insolventen Unternehmens betroffen sind. Doch ein bewusstes Nachdenken darüber, ob es wirklich alle drei bis vier Monate das neueste Topmodell sein muss, könnte vielleicht die Schwemme gesichtsloser Massen-Geräte etwas eindämmen, die meist schon nach wenigen Monaten auf dem Schrottplatz landen.

Im Rahmen unseres Discounter-Themenmonats haben wir zuletzt eine ausführliche Übersicht über mobiles Internet mit Prepaid-Discountern im Ausland zusammengestellt.

Mehr zum Thema Schnäppchen