Internet-Politik

Hoffnung Internet: Demokratie ohne Parteien

Online-Plattformen bietet neue Formen der Mitsprache
Von ddp / Marie-Anne Winter

Mit den Volksentscheiden in Bayern und in Hamburg haben die Bürger die Politik selbst in die Hand genommen und damit eine neue Debatte über alternative Formen der Demokratie entfacht. Unabhängig davon, wie man zum Ausgang der Volksentscheide steht, wird der Ruf nach mehr Mitsprache in der Politik lauter. Eine aktuelle Umfrage der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass sich knapp die Hälfte der Deutschen politisch gerne mehr einmischen würde - von Politikverdrossenheit keine Spur. Allerdings herrscht nach wie vor große Skepsis gegenüber politischen Parteien.

Der neu gewählte Bundespräsident Christian Wulff stellte nach seiner Vereidigung in seiner Ansprache fest: "Die politische Willensbildung unseres Volkes braucht möglichst viele unterschiedliche Bahnen, auf denen sich neue Ideen, Argumente und Mehrheiten von der Graswurzelebene bis in die Parlamente und Kabinettssäle verbreiten." Die Umfrage von TNS Emnid im Auftrag der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass insbesondere die Jüngeren auf mehr Mitsprache drängen. 59 Prozent der unter 50-Jährigen fordern mehr direkten Einfluss auf politische Entscheidungen.

Parteien zu weit weg von Alltagsproblemen

Nur neun Prozent der Befragten gaben jedoch an, sich schon einmal in Parteien und politischen Organisationen engagiert zu haben. "Mancherorts sind die Parteien etwas zu weit weg von den Alltagsproblemen der Bürger. Das gilt vor allem für den bundespolitischen Betrieb", sagt der Politologe Knut Bergmann, der bei der parteiunabhängigen Stiftung Neue Verantwortung ein Projekt zur Zukunft der Parteien leitet. "Demokratie lebt nun einmal vom Mitmachen", konstatiert er. Frau mit Megafon Bürger wollen gehört werden
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Die Möglichkeiten, sich einzumischen, sind zahlreich. Dazu gehört das Petitionswesen, also das Recht, sich mit Bitten und Beschwerden an die Parlamente zu wenden. Bürgerplattformen bieten die Möglichkeit, Bewohner eines Stadtteils oder einer Kommune zu vernetzen, damit diese ihre Interessen formulieren und vor allem auch gegenüber Politik und Wirtschaft durchsetzen können. In einigen Kommunen können Bürger zudem Einfluss über sogenannte Bürgerhaushalte nehmen, indem sie über Teile der frei verwendbaren Haushaltsmittel mitbestimmen können.

Einer der Vordenker in Sachen Bürgerplattformen ist Leo Penta. Seit fast 30 Jahren initiiert er erfolgreich Bürgerplattformen - früher in den USA, seit rund zehn Jahren in Deutschland. "Bürgerplattformen sind weder für noch gegen die Politik. Sie wollen ein kompetenter Verhandlungspartner für die Politik sein", sagt Penta. Es gehe darum, kreative und effektive Partnerschaften zwischen Politik, Wirtschaft und der Zivilgesellschaft zu knüpfen. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass die Bürger mit ihren Anliegen oftmals nicht wahrgenommen würden. "Die Bürgerplattformen sind keine Alternative zu Parteien, sondern vielmehr eine Ergänzung", fasst er zusammen.

Bürgerplattformen als Katalysator für politische Belange

Frank Frick ist bei der Bertelsmann Stiftung zuständig für "Good Governance". Er bezeichnet die Bürgerplattformen als "Katalysator für politische Belange". Es sei nicht unwahrscheinlich, dass die Politik von der Intelligenz der Plattformen "eingeholt und überholt" werden könnte. Bergmann wiederum verweist darauf, dass die Bürgerplattformen allein schon deswegen "gewinnbringend" seien, weil sie Menschen in die Politik hineinbringen könnten, die sich sonst nicht beteiligen könnten oder wollten.

Auch das Internet dient als Experimentierstube für neue demokratische Betätigungsformen. Auf Plattformen wie avaaz.org oder Campact oder dem iParlament können Nutzer frei von der Seele weg über zahlreiche Themen diskutieren oder sich bestehenden Kampagnen anschließen. Es werden Unterschriften gesammelt, Petitionen verfasst oder einfach für Aktionen "in der realen Welt" mobilisiert - so geschehen etwa bei der Menschenkette gegen Atomkraft [Link entfernt] im April dieses Jahres. "Der Ansatz von Campact ist, Menschen mit wenig Zeit ein Angebot zu machen, Einfluss auf die Politik zu nehmen", sagt der Pressesprecher von Campact, Yves Venedey.

Die Experten sind sich einig: Deutschland ist auf einem guten Weg. "Die Welt wird bunter, die klassische Parteienbindung spielt immer weniger eine Rolle", betont Frick. Ein Alarmzeichen sei das nicht. Er ist überzeugt: "Es werden sich neue Formen der Beteiligung innerhalb oder außerhalb der Parteien ergeben, die die Regierung unter Druck setzen können". Auch Bergmann geht davon aus, dass insbesondere die Bürgerplattformen - ähnlich wie andere kommunalpolitische Aktionsformen - den Kompetenzverlust und die fehlende Reichweite der Parteien "in Teilen wieder wettmachen" können.