Benutzer ejunky schrieb:
Hallo ejunky,
ich bin bei Deinen Antworten ein bißchen am Grübeln, ob Du mich mich bewußt falsch verstehst oder ob ich mich zu ungenau ausdrücke. Ich wollte mit meinem Kuchenbild eigentlich nur folgendes sagen: Alles was ein mildtätiger Staat verteilen kann, muß zuvor von irgendjemandem produziert werden. In einer Marktwirtschaft geschieht dies zum größten Teil im privaten Sektor. Die Motivation für diese Produktion entspringt dem Gewinnstreben. Wird dieser Gewinn zu einem großen Teil fortgenommen, entfällt dieses Motiv und die Marktwirtschaft verliert ihre Funktionsfähigkeit. Oder um im Bild zu bleiben:
Es kann durchaus sein, daß das Stück des Kuchens, den die Nichtbäcker erhalten, absolut kleiner wird, wenn der mildtätige Staat ihnen einen höheren Anteil am Kuchen verspricht.
Einfach deshalb, weil die Bäcker dann vielleicht keine Lust mehr haben,
um drei Uhr mit dem Backen anzufangen, sondern lieber noch ein paar Stündchen weiterschlummern. Dann können die Nichtbäcker vielleicht den mildtätigen Staat dazu bewegen, die Bäcker zu zwingen, ab drei in der Backstube zu stehen. Die Erfahrung lehrt allerdings, daß der Kuchen dann immer schlechter wird und vielleicht sogar mal anbrennt. Einige Bäcker kommen vielleicht auch auf die Idee davonzulaufen und anderswo eine Backstube zu eröffnen. Aber selbst die Bäcker, die bleiben, werden irgendwann alt und sterben und dann hat keiner mehr Lust Bäcker zu werden, weil man ja als Nichtbäcker ausschlafen und trotzdem Kuchen essen kann. Aber eben nur solange es noch Bäcker gibt.
Andererseits gebe ich Dir aber auch durchaus recht, daß die Bäcker allein schon aus gut verstandenem Eigeninteresse den Nichtbäckern einen gewißen Teil des Kuchens abgeben sollten.
Denn sonst haben die irgendwann solchen Hunger, daß sie den Bäckern einfach eins über den Kopf hauen und ihren Kuchen klauen. Das nennt sich dann soziale (oder nationale) Revolution. Der geklaute Kuchen reicht den Nichtbäckern dann eine gewiße Zeit, dann sterben sie aber doch an Hunger weil die Bäcker ja tot oder zumindest im Krankenhaus (oder wie Du anmerkst mit ihren Kapitalistenregeln im Gulag) sind. Wie Du siehst, ist die Kunst bei der Sache also, den Anteil zu finden, den die Bäcker behalten können, damit sie einen möglichst großen und guten Kuchen backen. In der Praxis nennt
sich das dann Steuerpolitik.
Gruß Müller2
Hallo ejunky,
da hast Du aber mal wieder einen wilden Ritt durch sämtliche Teilbereiche der ökonomischen Theorie hingelegt.
Und Steuer kommt von Steuern im Sinne von Lenken, es hat eine Zielsetzung.
Daß Stuern eine Lenkungsfunktion haben sollten, ist vollkommen richtig (insb. sogenannte Pigou-Steuern), wird in der realen Politik aber weitgehend übersehen. Auch Stuern die angeblich einem solchen Zweck dienen, wie etwa die Öko- oder auch die Tabaksteuer verfolgen in der Realität primär fiskalische Ziele. Dies läßt sich besonders gut an der Tabaksteuer verdeutlichen, die besonders gerne in kleinen Schritten erhöht wird um eben gerade nicht allzu viele Raucher von ihrem Laster abzuschrecken, was die Stuerbasis erodieren ließe. Tatsächlich werden in Deutschland Steuern hauptsächlich erhoben um dem Staat die Möglichkeit einer gr0ßflächigen Umverteilung zu geben. Um dies zu belegen, genügt ein einziger Blick auf den Anteil des Sozialetats am gesamten Bundesbudget.
Ich habe Dich bestimmt richtig verstanden, nur hat bislang jeder aus der einen Sicht argumentiert, Du aus der Sicht des Bäckers, ich aus der des Nichtbäckers. Jetzt hast Du einen Perspektivenwechsel gewagt, und sogar vieles von dem was ich geschrieben habe nachvollzogen.
Das Gewinnstreben gibt es, es gibt auch Neid, eine ebenso menschliche Eigenart. Selbst wenn sich der Kuchen insgesamt verringern sollte (auch absolut für den Einzelnen) mag das den Leuten vielleicht sogar sympathischer erscheinen deswegen (WEnn maximal 100000 Euro pro Jahr verdient werden können, kann ich auch mit 40000 pro Jahr zufrieden sein - wenn aber 100000000 Euro pro Jahr irgendwo erreicht werden, bin ich mit 100000 unzufrieden).
Auch hier kann man Dir aus Sicht der neoklassischen Wirtschaftsheorie durchaus zustimmen. Interdependenzen zwischen den Präferenzen verschiedener Individuen, also Dinge wie Neid aber auch Altruismus, sind eine der fünf klassischen Ausnahmen, bei denen der Marktprozeß suboptimale Ergebnisse erzeugt.
Außerhalb der Theorie kann man sich allerdings fragen, ob die Existenz einer Herde von Neidhammeln eine hinreichende Begründung ist, die Tüchtigen in ihrem Schaffensdrang zu behindern, aber das ist zugegebenerweise eine Frage der Wertung.
Du hast recht, daß es auf die Justierung der Situation ankommt. Es gilt den Zustand zu finden, bei dem so wenig Leute wie möglich sich ausklinken und sagen ich mach nicht mehr mit oder gar sabotieren (hier sind beide Gruppen gleich, die Bäcker und die Nichtbäcker, beide sehen dann keinen Vorteil für sich). Steht das Gewinnstreben zu sehr im Vordergrund, drohen Verhältnisse wie in einigen extrem kapitalistischen Drittweltstaaten heute (mit den von Dir beschriebenen revolutionären Tendenzen).
Steht der Neid oder das Umverteilen stärker im Vordergrund, mag es passieren, daß einige ihre Leistung zurückfahren, und die Leistung insgesamt sinkt.
Ich glaube kaum, daß das Gewinnstreben das eigentliche Problem darstellt, auch nicht für die Nichtbäcker. Es kommt auch für die hauptsächlich auf den Anteil an, den sie auf dem Wege der Umverteilung von den erzielten Gewinnen erhalten.
Ab hier unterscheiden sich unsere Voraussagen dazu, was dann passieren wird. Ich sage, zum einen ist die Produktivität bereits so hoch, das dies kein Problem sein muß, wenn es geringer wird, zum anderen konzentriert sich die Wirtschaftsleistung (und auch das Einkommen) auch durch Überstunden auf immer weniger Menschen, während andere arbeitslos sind. Es besteht also die Möglichkeit daß diese ein Teil der Produktivität übernehmen.
Ich glaube kaum, daß die Produktivität jemals hoch genug sein kann. Ich persönlich kenne niemanden, der mir jemals gesagt hätte, er wüßte für sein Geld keine sinnvolle Verwendung mehr. Diese Annahme eines streng positiven (Grenz)Nutzen des Einkommens, kurz auch "Nichtsättigungsannahme" genannt, ist übrigens eine (allerdings hauptsächlich aus formal-mathematischen Gründen) zentrale Hypothese der neoklassischen Haushaltstheorie.
Das Problem, daß in Deutschland trotz Massenarbeitslosigkeit jährlich Milliarden von Überstunden geleistet werden, dürfte allerdings eher andere Gründe haben, als Du vermutest. Zum einen führt der hohe Grad an Kündigungsschutz bei uns dazu, daß die Unternehmen lieber teure Überstunden bezahlen als neue Arbeitskräfte einzustelle, die sie bei einem Rückgang der Auftragslage dann nicht mehr entlassen können. Die führt zu dem erstaunlichen Resultat, daß in Deutschland (anders als in anderen Industrieländern) gemäß einer Faustregel erst ab einem wirtschaftswachstum von mehr als 2,5% positive Effekte auf dem Arbeitsmarkt zu beobachten sind. Zum anderen ist das beschriebene Problem aber auch auf die mangelnde oder falsche Qualifiktion eines großen Teils der Arbeitslosen zurückzuführen. In vielen Bereichen der deutschen Industrie wird händeringend nach qualifizierten Facharbeitern und Ingenieuren gesucht, für viele freie Stellen finden sich einfach keine geeigneten Bewerber.
Man kann natürlich sagen, es sollen die arbeiten, die Leistung bringen, alles andere ist "unwirtschaftlich". Dann bleibt man die Antwort schuldig, wie man den "Rest" zufriedenstellt, sonst "stört" er, im Extremfall mit einer Revolution.
Aus Sicht der der neoklassischen Theorie ist jede Form der Unterbeschäftigung extrem ineffizient und wird als äußerst wichtiges Problem aufgefaßt.
Zu Zeiten des Wirtschaftswunders haben auch die Unproduktiven noch mitgearbeitet (fast Alle, und das läßt vermuten, daß es kein Faulheitsproblem gibt), da klappte das auch in der Marktwirtschaft.
Zu Zeiten des Wirtschaftswunders haben wirklich fast alle Arbeitsplätze bekommen, die welche haben wollten, die Reallöhne waren damals aber auch wesentlich niedriger und daher auch durch unqualifiziertere Arbeit zu erwirtschaften. (Erst in den 70igern stiegen die Reallöhne infolge der grassierenden wirren Ideen, von dem was soziale Gerechtigkeit sein sollte, stärker als die Arbeitsproduktivität). Gleichzeitig gab es noch als Nachwirkung des Weltkriegs einen massiven Arbeitskräftemangel und aufgrund der Kriegszerstörungen eine riesige Binnennachfrage. Das "Faulheitsproblem" trat deshalb nicht so in Erscheinung wie heute, weil die soziale Hängematte in den 50igern noch wesentlich unbequemer war.
Wenn das stimmt was einige Forschungsinstitute so verlauten, nämlich das in Zukunft nur 20% der Weltbevölkerung benötigt werden, um die Weltwirtschaft am Laufen zu halten, ist diese Antwort dringlicher denn je.
Was heißt denn bitte, "die Weltwirtschaft am Laufen Halten"? Ich vermute einmal, daß Du von der industriellen Fertigung sprichst. Es wird auch in Zukunft (immer mehr) Bedarf an arbeitsintensiven Dienstleistungen geben. Man muß allerdings dafür sorgen, daß die in der Industrie nicht mehr benötigten Arbeitskräfte von ihrer Ausbildung her auch in der Lage sind, hochqualifizierte Dienstleistungen zu erbringen, 80% der Bevölkerung werden nicht als Zeitungsausträger oder Putzfrauen arbeiten können.
Im autoritären Sozialismus waren die Backstuben mit Bäckern besetzt die arbeiten mußten, obwohl sie zuwenig wie sie fanden verdienten - der Kuchen brannte ab und zu an.
Völlig falsche Interpretation des Problems: Im Staatsozialismus hatten alle Arbeit, aber eben vollständig ineffiziente. Das Warenangebot war deshalb zu gering und vor allem auch am Bedarf vorbei. Geld hatten die meisten Leute im Sozialsmus eigentlich genug, es gab nur nicht das zu kaufen was sie haben wollten. (Eine Lenin-Gesamtausgabe in Kunstleder pro Haushalt genügt einfach.)
Im heutigen Kapitalismus stehen bald zwangsvermittelte Nichtbäcker in der Backstube, und der Kuchen wird wieder anbrennen, weil der Nichtbäcker für den Verdienst/Arbeitsbedingungen nicht wirklich Bäcker wird. Siehe auch Ein-Euro-Jobs oder Spargelfeld.
Auch hier muß ich wiedersprechen. Das Problem bei 1€-Jobs oder Zwangsvermittlung aufs Spargelfeld besteht darin, daß bei uns der von den Arbeitsmarktökonomen so bezeichnete "Anspruchslohn" so hoch ist, daß er in einigen Bereichen nicht mehr erwirtschaftet werden kann. Auch wenn mir durchaus klar ist, daß man von Hartz IV nicht besonders üppig leben kann, stellt er doch ein arbeitsloses Grundeinkommen dar und bildet somit die Untergrenze für den Anspruchslohn, also den Lohn für den man bereit ist, eine Arbeit aufzunehmen. Tatsächlich liegt dieser Anspruchslohn meist darüber, weil die meisten Leute gerade bei unerfreulicher Arbeit wie Spargelstechen ihren inneren Schweinehund erst überwinden, wenn sie dafür einen Anreiz in gewißer Höhe erhalten. Es gibt allerdings genügend unqualifizierte Arbeitsplätze deren Produktivität nicht ausreicht, um diesen Anspruchslohn zu erwirtschaften. In unserem Beispiel liegt das daran, daß sich Spargel für 50€/kg kaum verkaufen läßt. Trotzdem ist es gesamtwirtschaftlich sinnvoll, wenn diese Arbeit getan wird. Man kann dann den Anspruchslohn senken, indem man das arbeitslose Grundeinkommen senkt. Das geht bei uns nicht, weil (noch) ein gesellschaftlicher Grundkonsens darüber besteht, daß jedem notfalls auf Kosten der Gemeinschaft ein "menschenwürdiges" Leben garantiert wird. (Wenn Du Dir etwa die postings von Handyschlampe ansiehst, wirst Du bemerken, daß dieser Konsens allerdings offenbar bröckelt.) Die zweite, bei uns gängige Methode ist, daß man Leute ins Land holt, deren Anspruchslohn deutlich niedriger liegt. Das ist aus nationalökonomischer Sicht bei gleichzeitger Massenarbeitslosigkeit aber nicht sinnvoll. Die dritte Möglichkeit ist, daß man versucht durch Kombilöhne Anreize zu schaffen, damit auch Leute eine Arbeit aufnehmen deren (Wertgrenz)produktivität unterhalb des Anspruchslohns liegt.
Ich vermisse bislang Konzepte, die Vorteile von Kapitalismus und Sozialismus zu verbinden. Der Versuch mit der "sozialen Marktwirtschaft" (Marktwirtschaft so weit es geht Sozialismus wo die Leute nicht klarkommen (Hatz IV), aber immmer mit Zwangsmaßnahmen) war das bis dahin Weitestgehenste, heute reicht das nicht mehr.
Na dann schlag mal was vor, die meisten bisher unternommenen Versuche eines "Dritten Wegs" waren bisher zum Scheitern verurteilt.
Beide, der autoritäre Sozialismus und der jetzige Kapitalismus zwangen/zwingen die Menschen zur Arbeit und immer gibt es damit Probleme (krank feiern, fröhliches Abhängen im Kombinat/auf ABM, oder gar Sabotage).
Die bisherigen Systeme sind gescheitert und die Freiwirtschaft und das BGE sehen mir nicht danach aus, als ob sie die Produktivität der Menschen behindern würden, eher ermöglichen sie weit mehr Menschen überhaupt erst eine Mitwirkung.
Leider "zwingt" nicht das Wirtschaftssystem die Leute zum Arbeiten, sondern die einfache Tatsache, daß wir nicht im Schlarffenland leben, daß einem die gebratenen Tauben also nicht in den geöffneten Mund fliegen. Auch Deine "Freiwirtschaft" ist nichts anderes, als eine Art des dritten Wegs und verurteilt an ihren Effizienz- und Motivationsproblemen zu scheitern.
Gruß Müller2