Übernahmen

Internet: Abschreiben leicht gemacht

Ideenklau ist im Internet weit verbreitet
Von dpa / Marie-Anne Winter

Im Web finden sich unter Millionen Seiten auch unzählige mit wissenschaftlichen Texten. "Seit es das Internet gibt, treten mitunter Fälle auf, dass Vorträge und wissenschaftliche Arbeiten übernommen werden", stellt Endress Wanckel fest. Der Rechtsanwalt von der Kanzlei Frömming und Partner in Hamburg befasst sich seit zehn Jahren mit Streitfällen in Sachen Urheberrecht. Der plumpe Klau mittels "kopieren und einfügen" sei zum Glück selten. "Er ist leicht beweisbar und eindeutig rechtswidrig."

Die Universitäten haben reagiert: Um der Übernahme fremder Texte vorzubeugen, wird zunehmend auf die Aufgabenstellung in Prüfungen geachtet. "Ist eine Fragestellung spezieller und regionaler, sinkt die Chance, bereits fertige Ausarbeitungen im Internet zu finden", erklärt Prof. Horst Degen. Nach Erfahrung des Vorsitzenden des Prüfungsausschusses der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Universität Düsseldorf ist der Ideenklau aus dem Netz eine Randerscheinung.

Dennoch sei es schon vorgekommen, dass er einen Assistenten damit betraut habe, Stichworte einer Arbeit in eine Suchmaschine einzugeben, "um mal zu schauen, was man im Internet dazu findet". Dass eine schriftliche Arbeit nicht nur aus einer Feder stammt, fällt meistens auf: "Wenn man einige Seiten gelesen hat, merkt man, wenn sich Passagen stilistisch verändern."

Das Internet hilft nicht nur beim Klau

"Die Technik hilft beim Klauen - sie hilft aber auch, schwarze Schafe zu ermitteln", sagt Prof. Manuel René Theisen von der Fakultät für Betriebswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München. In den USA sei es üblich, Abschlussarbeiten mit einer speziellen Prüfsoftware zu untersuchen. Um die Übernahme fremder Arbeiten aus dem Netz einzuschränken, hält auch Theisen speziellere Prüfungsaufgaben für einen gangbaren Weg - etwa indem von Studierenden eigene Untersuchungen verlangt werden.

Wer sich die Arbeit zumindest erleichtern will, kann Hausarbeiten, Referate oder Präsentationen im Internet auch gleich bestellen. "Ghostwriting ist so alt wie die Schrift", sagt Daniel Ridders, Mitbetreiber der Internetseite hausarbeiten24.com aus Münster. Seine Mitarbeiter schreiben Arbeiten nach Kundenwunsch, die als Vorlage für die eigene Ausarbeitung dienen sollen. "Eine Hausarbeit kann ebenso wie Klamotten oder eine CD bestellt werden. Ein Mausklick reicht", sagt der studierte Wirtschaftsrechtler.

Kontrolle bleibt schwierig

Wie viele Arbeiten bei ihm in Auftrag gegeben werden, deren Umfang durchaus der einer Diplom-Arbeit entspricht, will Ridders nicht verraten. "Wir können nicht kontrollieren, was jemand damit macht."

Alarmierend sei, mit welcher Selbstverständlichkeit diese Möglichkeiten genutzt werden, findet Prof. Theisen. Dass sich Betrugsmanöver etwa durch eine bessere Betreuung der Studierenden unterbinden ließen, hält er allerdings für eine romantische Vorstellung: "Dazu müsste man eine 1:1-Betreuung anbieten."

Nachdem an einem Fachbereich der Universität Hannover Hausarbeiten aufgetaucht waren, die aus dem Internet stammten, dürfen Lehrende der Philosophischen Fakultät nun auch für solche Arbeiten eine Originalitätserklärung verlangen. Bislang sind sie nur für Diplom- und Magisterarbeiten üblich. Studierende bestätigen damit, dass sie eine Arbeit selbstständig und nur unter Verwendung der angegebenen Quellen angefertigt haben.

Dass Quellen aus dem Internet genutzt werden, sei grundsätzlich kein Problem - solange sie angegeben werden, sagt Martin Lähnemann, Studiendekan der Philosophischen Fakultät der Universität. "Die Texte in Internet sind von höchst unterschiedlicher Qualität. Es stellt schon eine Leistung dar, gute Arbeiten zu erkennen." Das Datennetz habe einen neuen Weg der wissenschaftlichen Recherche eröffnet. "Heute enthalten die abgegebenen Arbeiten 75 bis 80 Prozent Literaturquellen aus dem Internet."

Kein Recht zur Übernahme von Texten

Was für Fachbücher und sonstige gedruckte Werke gilt, hat auch im weltweiten Datennetz Gültigkeit. Ein Verzicht auf die Quellenangabe kollidiert mit dem Urheberrecht. "Eine Veröffentlichung im Internet gibt niemandem das Recht zur Übernahme", erklärt Anwalt Endress Wanckel. Zitate könnten zwar übernommen werden - aber immer nur mit Quellenangabe.

Wer Texte in gedruckter oder digitaler Form der Allgemeinheit zugänglich macht, habe indes nur wenig Chancen festzustellen, wenn daraus abgeschrieben wird. "Die Kontrollmöglichkeiten sind begrenzt und mühsam. Man kann nur mit offenen Augen durch die Welt gehen und Veröffentlichungen zu ähnlichen Themen kritisch prüfen", sagt Wanckel.

Der Verzicht auf eigene geistige Anstrengungen kann hingegen eine junge Karriere rasch beenden, wenn die Abschlussarbeit oder Teile davon vom Ghostwriter oder aus dem Netz stammen. "Die meisten Fälle kommen nicht raus, und wo es auffliegt, fliegen die Leute raus", erklärt Sascha Tillmanns, Senior Berater bei Kienbaum Consultants International in der Niederlassung Stuttgart. Das sei zwar bitter, wenn jemand gut ins Team passt und fachlich gut ist, doch Firmen könnten dies nicht dulden.