Mobile Notrufsäule

Standort-Frage: Notruf aus dem Irgendwo

Handy-Nutzer wissen oft nicht, wo sie sind
Von dpa / Marie-Anne Winter

Bei Verkehrsunfällen geht es oft um Leben und Tod: Mit jeder Minute, in der schwer Verletzte keine professionelle Hilfe erhalten, verringern sich ihre Überlebenschancen. Umso wichtiger ist es, dass Ersthelfer schnell per Notruf den Rettungsdienst benachrichtigen. Durch die Verbreitung des Mobilfunks geschieht dies heute immer häufiger per Handy. Doch der vermeintliche Zeitgewinn durch die "mobile Notrufsäule" stellt die Hilfskräfte vor große Probleme: Denn viele Anrufer, die umgehend per Handy einen Unfall melden, wissen nicht, wo genau sie sich befinden.

Falsche Standortangaben bei Verkehrsunfällen führen nach Angaben der Björn Steiger Stiftung in Winnenden (Baden-Württemberg), die maßgeblich an der Einführung des Notrufsystems in Deutschland vor 30 Jahren beteiligt war, bei bis zu 90 Prozent der gemeldeten Unfälle zu Fehleinsätzen. Rettungswagen würden in die falsche Richtung geschickt, Verletzte nicht rechtzeitig gefunden - der schnelle Handy-Notruf verkehre sich dadurch ins Gegenteil: Die Hilfsfristen des Rettungsdienstes erhöhten sich "dramatisch".

Das Problem ist auch dem ADAC in München bekannt. Rund 30 Prozent aller Pannenrufe werden mittlerweile per Mobiltelefon abgesetzt, sagt Pressesprecher Maximilian Maurer. Die Quote dürfte bei Notrufen vergleichbar sein - wie auch die Ahnungslosigkeit der Anrufer, was ihren genauen Standort betrifft. "Selbst die Autobahnnummer ist für viele schon ein Problem", hat Maurer festgestellt. Doch während nicht zu ortende Liegenbleiber nur auf eine harte Geduldsprobe gestellt werden, wenn nicht gleich Hilfe kommt, kann es Unfallopfer das Leben kosten.

Diese traurige Erfahrung machte die Familie Steiger 1969, als ihr achtjähriger Sohn Björn bei einem Autounfall verletzt wurde. Weil es damals noch kein einheitliches Notrufsystem gab, dauerte es 57 Minuten, bis ein Krankenwagen am Unfallort eintraf. Damals war eine solche Wartezeit die Regel. Für Björn Steiger war sie zu lang: Er starb auf dem Weg ins Krankenhaus an den Folgen eines Schocks. Für die Steigers war das der Anstoß, sich mit einer nach ihrem verstorbenen Sohn benannten Stiftung für die Verbesserung der Notfallhilfe einzusetzen. Ihr Engagement führte schließlich 1973 zur flächendeckenden Einrichtung der Notrufnummern 110 und 112.

Auch bei der Notruf-Infrastruktur wurde im Laufe der Zeit einiges getan: Für Notrufe stehen heute neben den Notrufsäulen an Autobahnen mehr als 7 000 von der Björn Steiger Stiftung unterhaltene Notruftelefone an Bundes-, Landes- und Kreisstraßen zur Verfügung. Dadurch verbesserte sich auch die Hilfsfrist: Durchschnittlich beträgt heute die Zeit zwischen eingegangenem Notruf und Eintreffen des Rettungswagens am Unfallort zwischen zehn und 15 Minuten.

Eine der wichtigsten Aufgaben sieht die Stiftung heute in der Verbesserung des mobilen Notrufsystems. Dessen größtes Problem ist laut Siegfried Steiger, dass zurzeit keine direkte Ortung des Handy-Anrufers möglich ist wie etwa bei Notrufsäulen und Notruftelefonen, die über eine automatische Standortkennung verfügen. Hilfreich wäre eine solche Funktion vor allem bei Unfällen, die über Land passieren. Anders als in Großstädten, wo an jeder Straßenecke Schilder zu finden sind, könnten sich ortsfremde Autofahrer dort kaum orientieren, wenn sie kein Navigationssystem an Bord haben.

Ein weiteres Problem betrifft die Anbindung an die Polizei- und Rettungleitstellen. Zwar leiten die Mobilfunkbetreiber nach Angaben von Cathrin Glücksmann, Pressesprecherin bei E-Plus in Düsseldorf, die aus den einzelnen Mobilfunkzellen abgehenden Notrufe grundsätzlich an die jeweils zuständige Leitstelle in der Region weiter. In einigen Bundesländern würden die Handy-Notrufe auch in einer zentralen Leitstelle auflaufen. Laut Siegfried Steiger können sich Handy-Nutzer aber nicht in jedem Fall darauf verlassen.

Die Notrufnummern 110 und 112 seien nämlich nur eine Art Kurzwahl für die Telefonnummer mit Vorwahl der Leitstelle. Sind die Leitungen - etwa bei vielen gleichzeitig eingehenden Notrufen - besetzt, werde der Notruf an die nächste "freie" Leitstelle irgendwo im Bereich der Mobilfunkzelle weitergeleitet. Das könne zu Verwirrung führen. Eine Verbesserung des mobilen Notrufsystems erhofft sich Steiger durch den geplanten europäischen Notruf E 112, der auch eine GPS-Kennung für Mobilfunknetze beinhaltet. Dabei wird bei einem Handy-Notruf automatisch der genaue Standort des Anrufers übermittelt.

Bis eine automatische Ortungsfunktion für Handy-Notrufe verfügbar ist, liegt es an den Autofahrern, für den Fall der Fälle vorzusorgen. So sollten sie sich nach Angaben von ADAC-Sprecher Maximilian Maurer vor allem bei Fahrten durch unbekannte Gegenden mit der Karte vertraut machen. Um zu wissen, wo und in welcher Richtung man sich gerade befindet, sei es hilfreich, sich die Autobahnnummer sowie die Nummer der Ausfahrt, die man zuletzt passiert hat, zu merken. Wer mit der Familie unterwegs ist, könne daraus auch ein Merkspiel mit den Kindern machen - mit dem praktischen Vorteil, dass dem Nachwuchs nicht so schnell langweilig wird.