Kopierbarkeit

Editorial: Damoklesschwert Digitalkopie

Oder: Der PC als Multimediazentrale mit Tücken
Von

Die IFA zeigt, wo es lang geht: Fernseher und PC wachsen zusammen. Denn es wäre doch viel zu schade, ein sündhaft teures Flachdisplay mit 80, 100 oder gar 150 cm Diagonale "nur" als Fernseher zu nutzen. Denn erst hochauflösende Computerspiele oder Urlaubsfotos von der Digicam können die Fähigkeiten dieser Displays richtig ausreizen. Ebenso finden statt Videorecordern immer häufiger digitale Aufzeichnungsgeräte wie Festplatten- oder DVD-Recorder ihren Weg in die Wohnzimmer. Diese Geräte sind fast vollwertige PCs.

Gleichzeitig nimmt der Kabelverhau zu, die Zahl der miteinander zu verbindenden Geräte wächst. Nichts liegt somit näher, als künftig dem Computer alle zentralen Aufgaben im Home Entertainment anzuvertrauen, also die Aufzeichnung oder die Wiedergabe von Inhalten ebenso, wie deren Erstellung und Manipulation (z.B. bei Computerspielen). Entsprechende Varianten des Betriebssystems Windows XP, die per Fernbedienung steuerbar sind, hat Microsoft schon vorgestellt.

Doch was dem Verbraucher nutzt, treibt vielen Beteiligten in der Musik-, Film- und Medienindustrie den Angstschweiß auf die Stirn. Musik und Filme lassen sich kopieren, seitdem es Audio- und Videorekorder gibt. Doch verschlechtert sich hier bei jeder zusätzlichen Kopie die Qualität. Die Digitalkopie ist hingegen vom Original nicht zu unterscheiden, und sie lässt sich gar millionenfach über das Internet verbreiten. Welcher Verbraucher geht noch für viel Geld ins Kino, wenn er den Film umsonst bei einer Tauschbörse saugen kann, und ihn noch vor dem offiziellen Kinostart in ähnlich guter Qualität im Heimkino betrachten kann?

Der Verkauf von Musik-CDs ist bereits rückläufig. Die Musikindustrie schiebt die Schuld dafür auf die Musik-Tauschbörsen, die Fans bemängeln hingegen die ideenlose Einheitsware und synthetische Popgroups oder Sänger (a la "Deutschland sucht den Superstar") als Ursache.

Vermutlich haben beide Seiten recht. Denn welcher Verbraucher ist wirklich bereit, für immergleiche Sounds der gerade über die Medien gepushten Kurzzeitstars jeweils neu Geld auszugeben? Und welcher Künstler hat angesichts der Möglichkeiten der Digitalkopie noch eine Chance, eine große Zahl von Platten zu verkaufen, wenn er nicht den Weg über medienkonforme Massenware geht? Ein Künstler, der stattdessen auf Mund-zu-Mund-Propaganda setzt, muss doch heute davon ausgehen, dass seine Musik nicht nur weiterempfohlen, sondern eben auch weiterkopiert wird. Der über die Medien gepushte Jungstar kann hingegen immerhin auf ein paar CD-Käufer hoffen, oder er wird künftig vermutlich sogar an den Einnahmen der Telefonhotline beteiligt werden , auf der man für ihn voten kann. Nur selten sind alternative oder kritische Inhalte auch mediengängig, wie der "Steuersong" nach der letzten Wahl.

So bedingen sich beide Probleme - Digitalkopie und Einheitsbrei - vermutlich gegenseitig.

Die Antwort der Medienindustrie - der Kopierschutz - verschärft das Problem noch. Wer sich früher eine CD kaufte, konnte sicher sein, dass sie überall funktioniert. Also auch im Computer, im Laptop oder im Auto. Mit einer aktuellen CD gibt es hingegen mit vielen "intelligenteren" CD-Playern Probleme. Wer Musik lieber am Computer hören will, greift also besser gleich zur Tauschbörse. Oder bleibt bei seinen alten CDs. Beides drückt die Umsätze.

Ein universell wiedergebbares Medium, wie die gewöhnliche CD, ist immer auch universell kopierbar. Nicht universelle Medien lassen sich aber nicht verkaufen. Wer möchte schon einen Player, wenn der nur ganz bestimmte Musik wiedergeben kann? Und wer möchte schon Medien, wenn die nur auf ganz speziellen Playern funktionieren?

Die Lösung, die Microsoft vorschlägt: Das Betriebssystem selber soll das Kopieren der Inhalte verhindern. "DRM" - digital rights management - heißt das Zauberwort. Es funktioniert auch grundsätzlich. Nur: DRM ist Software, und Software lässt sich manipulieren. Ein kleiner Patch, ein kleines zusätzliches Utility, und schon ist der Schutz Makulatur. DeCSS macht vor, wie es bei DVDs geht.

Die nächste Runde im Wettrüsten heißt TCPA [Link entfernt] oder Palladium. Das ist ein zusätzlicher Chip, der verhindern soll, dass unautorisierte Manipulationen am Betriebssystem oder wesentlichen Anwendungsprogrammen stattfinden. Warum aber sollten Anwender bereit sein, Geld für einen zusätzlichen Chip auszugeben, der diesen die Kontrolle über den eigenen Computer raubt? Nun, die Angst vor Viren, Würmern und "illegalen Dialern" (vor denen TCPA schützen soll) oder die Einschränkung, dass künftige Windows-Versionen auf nicht-TCPA-Systemen nicht mehr funktionieren, könnten bewirken, dass die Verbraucher die Kröte trotzdem schlucken.

Das bekannteste System mit einem Vorläufer von TCPA ist die Spielekonsole Xbox von Microsoft. Doch schon kurz nach deren Einführung tauchten sogenannte Modchips auf, die deren Einschränkungen unterliefen, und beispielsweise das Starten von kopierten Spiele-DVDs ermöglichten. Deren Nachteil: Man muss die Xbox öffnen und den Chip einbauen, was bei vielen Modchips nur mit Lötkolben geht. Das ist nicht jedermanns Sache. Doch inzwischen gibt es einen so genannten Exploit, der einen Programmierfehler in einem Xbox-Spiel ausnutzt. Man leiht sich das Spiel, man kopiert ein paar gefakte "Spielstände" auf die Festplatte der Xbox, man ruft einen dieser "Spielstände" auf - und schon hat man die volle Kontrolle und kann sogar Linux installieren.

So dürfte sich DRM und TCPA auch beim PC als Sackgasse erweisen. Indem sie die Medien immer inkompatibler und eingeschränkter macht, wird das Ansehen der Musik- und Filmindustrie weiter sinken. Keine der Maßnahmen wird hingegen einen wirklich wirksamen Kopierschutz zur Folge haben. Beides sind ideale Voraussetzungen, für zunehmende Kopiertätigkeit - allen Drohungen mit rechtlichen Konsequenzen zum Trotz.