Absurditäten

Trash-Kultur im Internet

Der Blödsinn treibt elektronische Blüten
Von dpa /

Das Internet gilt als nutzbringendes Medium: Es liefert Informationen rund um die Uhr, ermöglicht das Einkaufen in aller Welt und erlaubt die Kontoführung vom heimischen Schreibtisch aus. Doch es bietet auch jede Menge Platz für kompletten Unsinn. Die Beliebtheit von Websites mit liebevoll zusammengestellten Datenbeständen zum Thema skurrile Frisuren oder bizarren Bildern von dekorierten Betrunkenen zeigt, dass elektronischer Trash durchaus seine Anhänger findet.

Am Anfang von Martin Purrers Website stand ein Foto. Die Abbildung zeigte einen schlafenden und alkoholisierten Freund, dem Kumpel eine Klorolle als Kopfschmuck aufgesetzt hatten. "Ich dachte: Wieso soll ich das nicht der Allgemeinheit zugänglich machen und ins Internet stellen?", sagt der Philosophie- und Geschichtsstudent aus Augsburg.

Das war im April. Mittlerweile sind auf seiner Website http://www.betrunkene-dekorieren.de [Link entfernt] mehr als 190 Betrunkenen-Fotos zu bestaunen. Mal wurden die weggetretenen Zeitgenossen mit einem Eiersalat im Nacken geschmückt, mal mit einem vierstöckigen Bierdosenturm auf der Stirn. Purrer, der sein Internet-Angebot als "vorpupertär" bezeichnet und selbst nicht wirklich Ernst nimmt, hat eigenen Angaben zufolge ein breites Fan-Spektrum. So kämen viele Besucher von Uni-Providern. Daher lautet sein Fazit: "Web-Seiten wie meine sind salonfähiger geworden."

Joachim Höflich, Professor für Kommunikationswissenschaften an der Universität Erfurt, sieht in der Begeisterung für triviale Inhalte eine Gegenbewegung zum Kommerz im Internet. Dabei gelte das Motto "Je irrsinniger, desto besser". Skurrile Seiten mit "Trash"-Charakter würden in bestimmten Kreisen regelrecht "gehandelt" - etwa auf Schulhöfen und in Chat-Räumen. Allerdings müssen sie laut Höflich so schlecht sein, dass sie schon wieder gut sind.

Einen derartigen Kultstatus hat etwa die schräge Frisurengalerie unter http://www.fiese-scheitel.de erreicht. Rund 400 000 Besucher haben sich seit dem Start im vergangenen Jahr beispielsweise an den Haarmatten der WM-Fußballer von 1978 erfreut oder an umstrittenen Styling-Variationen wie dem "Vokuhila" (Vorne kurz, hinten lang).

"Ich will die Leute zum Schmunzeln bringen", sagt "Oberscheitel" Marcus Bruhne, Gründer von fiese-scheitel.de. Kommerzielle Motive verfolge er nicht, und der Erfolg der Frisuren-Galerie sei keineswegs geplant gewesen. Viele der Haar-Skurrilitäten findet der 25-jährige Student der Kommunikationstechnologie aus Wuppertal auf Flohmärkten: "Mein größter Fundus sind Schallplattencover und alte Fußball-Alben." Immer häufiger würden ihm auch Privatleute Fotos zusenden - in der Hoffnung, in der "Hall of Scheitel" aufgelistet zu werden.

"Die von Schund und Trash ausgehende Faszination gab es schon immer", erklärt Roland Mangold, Psychologie-Professor an der Universität Mannheim. Allerdings habe sie im World Wide Web eine neue Ausdrucksmöglichkeit gefunden: "Das Internet bietet jedem ein Forum der Selbstdarstellung, ohne dass dabei Quoten wie im Rundfunk eingehalten werden müssen."

Ein weiteres Beispiel für elektronische Albernheiten ist die Website http://www.butterbrot.de/. Inhaber Alexander Hüsing ruft hier zur Rettung der "belegten Graubrotscheibe" auf. "Das Butterbrot ist eine bedrohte Spezies und durch Baguette, Sandwich, Croissant und schnelle Snacks vom Aussterben bedroht", sagt der Journalist aus Heidelberg. Aus diesem Grund sucht er Gleichgesinnte, "die sich ebenfalls outen und öffentlich zum Butterbrot bekennen". Unter der Rubrik "scharfe Schnitten" finden sich unter anderem Varianten mit Zungenwurst und Curry-Ketchup, Banane oder "Gurkenmatsch". Liebhaber können die Butterbrote sogar "adoptieren".

Für die Homepage-Inhaber bietet das Zusammentragen und Veröffentlichen von Skurrilitäten, die Möglichkeit "sich selbst zu inszenieren", wie Friedrich Krotz vom Hans-Bredow-Institut in Hamburg es ausdrückt. Die Surfer wiederum können Neugierde und Voyeurismus ausleben und dem Alltag ein paar Mausklicks lang entfliehen, ergänzt Psychologie-Professor Mangold. Hinzu komme - etwa bei Angeboten wie betrunkene-dekorieren.de oder fiese-scheitel.de - eine Kombination aus Ekel, Abscheu, Spaß und Schadenfreude.

"Absurditäten sind immer einen Hingucker wert", sagt auch Kommunikationsforscher Krotz. Er wundere sich nicht über die Vielfalt der Online-Skurrilitäten, denn das Internet sei "eine Abbildung von allem, was man in der Realität findet". Zudem verleite das World Wide Web als eigenständiger Kommunikationsraum dazu, "eher mal die Sau rauszulassen". Der Platz dazu ist unbegrenzt. Für Orientierung in der virtuellen Müllkippe Internet sorgen Kataloge, die sich auf Trash-Seiten spezialisiert haben, etwa http://www.netdreck.de/ oder http://trash-online.de/.