Frei Sprechen
28.05.2008 18:45

Raubkopien in China

Eine Bestandsaufnahme zum Markt illegaler Software in China
teltarif.de Leser PDeloy schreibt:
Beijing – die Stadt, welche in den letzten Monaten hauptsächlich aufgrund der anstehenden olympischen Spiele in den Medien stand, war vor ein paar Tagen Bestandteil einer ganz anderen Meldung: Der Microsoft-Konzern plant, hier für 280 Mio. US$ ein neues Forschungs- und Entwicklungszentrum aufzubauen. Dieses wäre nach Fertigstellung das größte ausländische Entwicklungszentrum des Softwaregiganten aus Redmond. Vordergründig geht es hierbei wie bei den meisten China-Investitionen ausländischer Firmen darum, in größerem Maße am stetig wachsenden chinesischem Markt teilzuhaben. In Wirklichkeit jedoch, so wird gemunkelt, will Microsoft sich mit größeren Anstrengungen dem scheinbar unerschöpflichen Markt an Raubkopien in China entgegenstellen.

Zwar berichten chinesische Medien, das Aufkommen an Raubkopien sowie die Verfügbarkeit nehme von Jahr zu Jahr ab (wobei auch offizielle Stellen nur von einer Abnahme im niedrigen einstelligen Prozentbereich sprechen). Nach einer Studie aus dem letzten Jahr jedoch machen Raubkopien noch rund ein Viertel des gesamten Software-Handelsvolumens in China aus, wobei hiervon rund die Hälfte auf illegale Kopien von Betriebssystemen (ergo: Microsoft) entfällt. Noch entmutigender für die Softwarehersteller ist eine jüngst von der BSA (Business Software Alliance) veröffentlichte Studie, welche, im Gegensatz zu den chinesischen Behörden, bei der Benutzung illegaler Software einen weltweiten Anstieg feststellt, der sich größtenteils auf die BRIC Länder (Brasilien, Russland, Indien, China) stützt. Vor allem China mit einem illegalen Softwareanteil von 82% am gesamten Softwaremarkt macht sich hier bemerkbar. Die BSA schätzt den dadurch entstandenen Verlust für die Produzenten auf über 5 Mrd. US$.

Auch wer sich in China aufhält hat kaum das Gefühl, dass der Markt für illegal kopierte Software abnimmt: Raubkopien werden auch in großen Märkten recht frei angeboten, und dies zu unschlagbar niedrigen Preisen. Dabei ist der Markt so groß, dass die Verkäufer wie bei allen anderen Produkten ganz natürlicherweise auf Qualität setzen. Die Verpackungen sind hochwertig aufbereitet und können mitunter zu der Annahme verleiten, man habe ein Original in der Hand – lediglich mit dem Unterschied, dass die Seriennummer des Produktes bequemerweise direkt auf der Packung aufgedruckt ist.

Jedoch braucht sich heutzutage keiner mehr die Mühe zu machen, die Produkte auf Märkten zu kaufen – schließlich ist alles auch online verfügbar. Meist hat man dabei die Wahl, die Software über HTTP, also direkt von einer Webseite zu laden, oder über die bekannten Tauschbörsen. Dabei werden in China oft Programme verwendet, die in Europa größtenteils unbekannt sind, im Reich der Mitte jedoch Millionen von Nutzern haben. Ein solches Programm ist zum Beispiel „Thunder“ (nicht zu verwechseln mit dem bekannten E-Mail Client vom Mozilla), welches, einmal heruntergeladen, den Benutzer täglich auf dem Laufenden hält, welche Software und welche Filme neu zum Download verfügbar sind. Beim Download einer Ressource prüft das Programm automatisch, welche Webserver die gewünschte Datei ebenfalls anbieten. Innerhalb von wenigen Minuten sind somit auch umfangreiche Dateien auf den eigenen Computer geladen.

Geht man einen Schritt zurück und setzt beim Computerkauf an, fällt auch hier auf, dass Raubkopien ganz selbstverständlich dazugehören. Entscheidet man sich für einen neuen Computer macht es keinen Unterschied, ob dieser von chinesischen oder amerikanischen Produzenten zusammengebaut wurde: Ob Lenovo oder Hewlett-Packard, Windows XP oder Vista ist bequemerweise bereits vorinstalliert – natürlich mit dem kompletten Officepaket und allen zusätzlichen Programmen (Nero, Corel Draw, etc.) welche man irgendwann einmal gebrauchen könnte. Unnötig zu erwähnen, dass man als Kunde alles auch nochmal auf CD oder DVD gebrannt mitbekommt.

Interessant ist, dass die Verwendung von Raubkopien oder kopierten Filmen bzw. Musik inzwischen so alltäglich ist, dass sich kaum noch jemand Gedanken darum macht. Wo man in Deutschland zumindest noch ein Unrechtsbewusstsein ausmachen kann (auch wenn viele das abstreiten würden) und bei einigen sicherlich auch Angst vor Entdeckung eine Rolle dafür spielt, sich nur mit legal gekaufter Software zu befassen, ist in China weder das eine noch das andere vorhanden. Man könnte annehmen, dass für den chinesischen Konsumenten nur jene Dinge auch einen Wert aufweisen, welche man greifen kann. Software bzw. Digitalmedien gehören nicht dazu. Diese völlige Gleichsetzung von Freeware und (illegal) kopierter Software führt teilweise zu interessanten Ergebnissen.

So wird zum Beispiel im Bereich der Webseitenprogrammierung bei kaum einer chinesischen Webseite von Open Source- bzw. kostenlos benutzbarer Software wie PHP und MySQL Gebrauch gemacht (welches in Europa hingegen die „Traumkombination“ schlechthin ist, oft zusammen mit Linux und Apache zur LAMP-Umgebung zusammengefasst). Stattdessen wird in den allermeisten Fällen ASP und MS SQL eingesetzt. Dies ist nur auf den ersten Blick verwunderlich, wenn man sich vor Augen führt, dass die dazugehörigen Serverdienste nicht kostenlos zu haben sind. Auf den zweiten Blick wird nämlich klar, dass die Verwendung der Software ohne entsprechendem Erwerb einer Lizenz für chinesische Webentwickler die normalste Sache der Welt ist.

Nun lässt sich trefflich streiten, auf welche Weise sich diese Situation ändern lässt (geht man einmal natürlicherweise davon aus, dass man für Software, dessen Entwicklung sich auf den Verkauf stützt, auch bezahlen sollte). Zwar erhöhen auch die chinesischen Behörden auf ausländischen Druck hin den Druck auf die Anbieter von Raubkopien. Meist sind letztere jedoch ordnungsgemäß und offiziell registrierte Unternehmen, welche diese Kopien in Millionenauflage produzieren und somit den Verdacht nähren, dass die Regierung es mit der Unterbindung der Produktion und des Verkaufs nicht ganz so ernst nimmt. Schließlich ist nicht zu vergessen, dass sich mit den verkauften Produkten auch Gewinne erzielen lassen (diese liegen im Milliardenbereich) und diese Gewinne zu nicht unerheblichen Anteilen den untersten Einkommensschichten zugute kommen, was wiederum der Regierung gelegen kommt.

Sieht man sich einmal chinesische Software an bekommt man das Gefühl, dass die chinesischen Produzenten besser wissen, wie sich mit Software, für welche die Nutzer keinen Cent (oder Renminbi) bezahlen, dennoch Geld machen lässt. Dies beinhaltet zum Beispiel die Einblendung von Werbung bei der Benutzung des Programms. Dennoch könnte sich wohl kaum jemand vorstellen, bei der Benutzung eines Betriebssystems ständig von Werbeeinblendungen unterbrochen zu werden. Der Microsoft-Konzern bleibt jedoch, wie erwähnt, nicht untätig. Durch Lobby-Tätigkeiten in den USA wird versucht, politischen und wirtschaftlichen Druck auf die chinesische Regierung auszuüben. Dieser Druck wird aber im gleichem Maße schwächer, als China wirtschaftlich bedeutender wird. Zudem setzt sich die Regierung öffentlichkeitswirksam für Open-Source Software im Regierungsumfeld ein.

Da Microsoft nicht, wie in einigen anderen Ländern, gewillt ist, die eigenen Produkte der chinesischen Kaufkraft entsprechend günstiger anzubieten, setzt der Konzern auf die weiter steigenden Einkommen chinesischer Bürger sowie auf neue Technologien aus dem anfangs erwähnten neuen Forschungs- und Entwicklungszentrum in Beijing, um den Anteil an legal installierten Betriebssystemen zu erhöhen. Es bleibt abzuwarten, ob somit in Zukunft der Anteil an illegaler Software -wie von offiziellen Stellen prophezeit- abnimmt.

Kommentare zum Thema (1)
Menü
Zählweisen
Kai Petzke antwortet
30.05.2008 09:55
Benutzer PDeloy schrieb:
Nach einer Studie aus dem letzten Jahr jedoch machen Raubkopien noch rund ein Viertel des gesamten Software-Handelsvolumens in China aus,
[...]
Vor allem China mit einem illegalen Softwareanteil von 82% am gesamten Softwaremarkt

Die unterschiedlichen Zahlen ("rund ein Viertel" = 25% laut der einen Studie, 82% laut der anderen) dürften vor allem damit zusammenhängen, wem der jeweilige Studienautor nahesteht: Dem chinesischen Staat oder Microsoft. Dabei nimmt jeder das Maßsystem, das dem gewünschten Ergebnis am nächsten kommt: Die China-nahe Studie schaut auf den UMSATZ mit schwarzkopierter Software. Da aber illegale Kopien deutlich billiger angeboten werden als das Original und im Freundeskreis oft ganz ohne Bezahlung weitergegeben werden, kommen entsprechend kleine Zahlen heraus.

Die Microsoft-nahe Studie zählt hingegen schwarz installierte Software-Pakete. Wenn's aber eh nichts kostet, dann kopiert man schon mal das eine oder andere Software-Paket quasi "auf Vorrat" mit, egal, ob man es unbedingt braucht oder nicht. Folglich erhält man auf diesem Weg beeindruckende Zahlen über Schwarzkopien.

Die Wahrheit liegt - wie immer - irgendwo in der Mitte: Der Umsatz auf dem Schwarzmarkt kann definitiv nicht als Maßstab für dessen Schaden herangezogen werden, denn eine legale Lizensierung der Software wäre teurer und damit umsatzträchtiger für den Software-Konzern gewesen. Aber nicht jede billig oder umsonst erstandene Schwarzkopie wäre auch gekauft worden, wenn der reguläre Preis hätte bezahlt werden müssen. Und von daher kann der Schaden auch nicht durch Multiplikation der Stückzahl mit dem Listenpreis ermittelt werden.


Kai