Digitalradio

Fünf Jahre DAB+ in Deutschland

Am 1. August 2011 fiel der Startschuss für DAB+ - der zweite Anlauf das terrestrische Radio in Deutschland zu digitalisieren. Neun von zehn Deutschen nutzen zum Radiohören aber immer noch das analoge UKW. Ein Rück- und Ausblick.
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  Fünf Jahre DAB+ in Deutschland
Bild: VQ
Vor fünf Jahren, am 1. August 2011, startete das digital-terrestrische Radio offiziell neu. An diesem Tag ging der bundesweite DAB+-Multiplex auf Sendung. Erstmals mit Privatradios, die bundesweit terrestrisch ausgestrahlt werden können, und zwar in einem Multiplex, der anfangs mit 27 Sendeanlagen nur die Ballungsgebiete versorgte, aber bis Jahresende mit 110 Sendern in weiten Teilen Deutschlands zu hören sein wird. Zuvor gab es bereits regionale DAB+-Ausstrahlungen in Berlin, Sachsen und Bayern, die jedoch eher Testcharakter hatten und weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit liefen. Regionale Multiplexe der ARD-Anstalten und von Privatradios ergänzen das bundesweite DAB+-Angebot, wobei die Vielfalt an Sendern je nach Region variiert. Und auch 2016 gibt es noch weiße Löcher auf der Digitalradio-Landkarte, wobei diese bis Ende dieses Jahres immer weniger werden.

Bremsklötze Privatradios

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Auch die Zukunft des Radios ist digital, hört man immer wieder. Doch die Realität in Deutschland sieht immer noch so aus, dass neun von zehn Radiohörern vorrangig das analoge UKW-Band nutzen. Und die öffentlichen Diskussionen der vergangenen Wochen erwecken den Eindruck, dass sich Deutschland bei der Digitalisierung des Radios nicht nur schwertut. Nein, es gibt immer noch Kräfte, die eine Digitalisierung des Mediums ablehnen. Diese Kritiker sind vor allem große, regionale, kommerzielle Privatradios wie die NRW-Lokalradios, RTL (Berlin) oder Antenne Niedersachsen. Die Gründe, warum sich die Veranstalter gegen DAB+ sträuben, liegen vorrangig an der eigenen komfortablen Situation: In einem Oligopol lebt sich's wohl, der Frequenzmangel im UKW-Band schützt die Etablierten vor Konkurrenz. Das ist "gut für die gegenwärtigen Platzhirsche, aber schlecht für expansionswillige, junge Radiounternehmen, und auch schlecht für die Verbraucher im Sinne einer größtmöglichen Angebotsvielfalt", schrieb zuletzt Ulrich Liebenow, Betriebsdirektor des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR), in einem Fachbeitrag des Evangelischen Pressedienstes (epd).

Ein anderer Fachautor bezeichnete das Verhalten der Privatradios zuletzt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) als "peinlich" und verweist darauf, dass sie sich mit ihrer Haltung möglicherweise ins eigene Bein schießen. Denn der Verbreitungsweg DAB+ kostet sie gerade einmal ein Zehntel der UKW-Verbreitung. Geld, das man neben einem programmlichen Ausbau auf DAB+, etwa mit attraktiven Zweit- oder Drittmarken, sehr gut auch für neue Geschäftsmodelle im Internet verwenden könnte - beispielsweise einem bundesweiten, senderübergreifenden Musikstreaming-Portal, denn zunehmend verliert der Hörfunk junge Menschen an Internet-Unternehmen wie Spotify, Deezer oder Amazon Prime Music. Und diese wiederum wollen künftig mit klassischem Radiocontent auf Abruf oder Live-Events wie der Fußball-Bundesliga dem Hörfunk Konkurrenz machen. Ein Szenekenner beschreibt das wenig zukunftsorientierte Verhalten der Privatsender auch so: "Die wollen die alte Kuh UKW ausmelken, bis sie keine Milch mehr gibt, und nach ihnen die Sintflut".

Immer mehr DAB+-Fans nach zögerlichem Beginn

Und die Radiohörer? Sie haben erst sehr zögerlich, dann aber mit wachsender Dynamik auf die neuen digitalen Angebote auf DAB+ reagiert. Erst in den vergangenen beiden Jahren gab es einen stärkeren Anstieg beim Geräteverkauf - in diesem Jahr rechnet der Handel mit knapp 1,2 Millionen Digitalradios, die über den Ladentisch wandern sollen. Zum Vergleich: Im Jahr 2012 waren es gerade einmal 350 000. Inzwischen steht in 15 Prozent der deutschen Haushalte mindestens ein Digitalradio mit DAB+, Tendenz stark steigend. Generell sind die Gerätehersteller mit die großen Treiber bei DAB+: Sie haben mit über 600 Modellen inzwischen eine große Gerätepalette in den Handel gebracht. Finanzielle Hemmschwellen wie beim alten DAB-Modus gibt es nicht mehr: Radios mit DAB+ gibt es inzwischen ab 20 Euro im Handel.

Die Nutzung selbst ist jedoch noch eher gering: Laut letztem Digitalisierungsbericht der Landesmedienanstalten ist DAB+ nur für 1,8 Prozent der Deutschen die meistgenutzte Empfangsart beim Radio, in diesem Jahr dürfte es aber auch hier einen Anstieg geben. Im Vergleich zu UKW, das für 73,9 Prozent der Deutschen der meistgenutzte Empfangsweg ist, wirkt DAB+ aber immer noch wie ein Exot. Anders als beim digitalen Fernsehen, das in diesen Tagen 20 Jahre alt wurde und inzwischen von 88,9 Prozent der Deutschen genutzt wird, ist das Digitalradio eine wenig marktgetriebene Technologie. Die meisten nutzen Radio zum Nebenherhören, oft mit einem Programm, das sie oft seit über 20 Jahren hören. Zapping wie beim Fernsehen findet kaum statt, Mut zum Experimentieren auch nicht.

Interessant sind jedoch Umfragen aus Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg, die belegen, dass Kunden erst begeistert auf DAB+ und dessen Möglichkeiten reagieren, nachdem sie mit der Technologie zum ersten Mal in Kontakt getreten sind.

Vorteile von DAB+ gegenüber UKW überwiegen klar

Die Vorteile des Digitalradios gegenüber der alten UKW-Verbreitung liegen auf der Hand: DAB+ beendet die notorische Frequenzknappheit und ermöglicht deutlich mehr Programmangebote. Es ist technisch stabil, rauschfrei und gewährleistet exzellenten Empfang, wobei die Klangqualität von der ausgestrahlten Datenrate und der Zuführung des Audiosignals abhängig ist. DAB+ transportiert über Text- oder Farbdisplays erheblich mehr Zusatzinformationen als dies auf analogem Weg möglich ist. Es braucht deutlich weniger Sendeleistung und ist kostengünstiger. Lediglich das von UKW bekannte technische Overspill, also eine Reichweite außerhalb des eigentlichen Sendegebiets, fällt bei DAB+ in der Regel etwas kleiner aus.

Ein öffentlich kommunizierter Zeitplan, unterstützt von allen Marktbeteiligten, gilt in Kombination mit attraktiven neuen Programmangeboten als Erfolgsrezept, meint Ulrich Liebenau vom MDR. Wo es eine klare Roadmap gebe, dort entwickele sich der Markt für DAB+ schneller als in anderen Staaten. Dieser Einsicht folgend, hat sich die ARD auf den Weg gemacht, im Schulterschluss mit Politik, Autoindustrie, Regulierungsinstitutionen und privatem Rundfunk die zügige Weiterentwicklung des Digitalradios in Deutschland voranzutreiben.

MDR-Betriebsdirektor fordert klare Roadmap

Die Diskussion um DAB+ dürfe laut Liebenau aber nicht auf ein Abschaltdatum für UKW verkürzt werden. "Es hilft, die Digitalisierung des Hörfunks als einen Prozess zu verstehen, an dessen Ende eine hinreichende Anzahl von Nutzern über DAB+ beziehungsweise Internet erreicht werden und man dadurch die parallele Verbreitung über UKW beenden kann".

Um dieses Ziel zu erreichen und die Simulcast-Phase UKW/DAB+ so kostengünstig wie möglich und - unter besonderer Berücksichtigung der Interessen der Zuhörerinnen und Zuhörer - so lange wie nötig zu gestalten, hat die ARD unter Federführung des MDR und im Dialog mit weiteren Marktteilnehmern ein zweistufiges Modell für die Einführung von DAB+, bestehend aus einer Ausbau- und einer Migrationsphase, entwickelt.

Dafür muss man jedoch zunächst einmal die "Bremsklötze", die es nicht nur in den eigenen ARD-Reihen, sondern wie beschrieben vor allem im kommerziellen Radiolager gibt, vom Umstieg überzeugen. Ein hartes Stück Arbeit. Und ohne diese Bereitschaft dürfte auch nach zehn Jahren DAB+ im Jahr 2021 das Fazit noch lauten: Ein klar dominierter UKW-Markt steht einem immer stärkeren, aber im Vergleich immer noch kleinen Digitalradio-Markt entgegen. Und das wäre in der Tat peinlich für eine führende Industrienation, in der die gesamte Medienwelt digitalisiert ist - außer dem Radio.