Microsoft 2.0

Was wird aus Microsoft ohne Bill Gates?

Der Software-Gigant steht vor nie gekannten Problemen
Von dpa / Marie-Anne Winter

Microsoft hat auch schon bessere Zeiten erlebt. Trotz Rekorden an der Börse bläst dem weltgrößten Softwarekonzern im Zeitalter des Web 2.0 der Wind von immer neuen Seiten entgegen. Und nun kehrt auch noch Bill Gates, Unternehmensgründer, Chef-Visionär und Chief Software Architect, dem Unternehmen den Rücken zu. Am 27. Juni wird der Veteran des Computerzeitalters seinen letzten Arbeitstag auf dem Microsoft-Campus in Redmond haben. Nach 30 Jahren maßgeblichen Einflusses in die Geschicke des Unternehmens hinterlässt sein Rückzug eine große Lücke und wirft die große Frage nach der Zukunft des Unternehmens auf. Wird es ohne Gates ein "Microsoft 2.0" geben, und wie wird es aussehen?

Wie ein Mantra wiederholen führende Microsoft-Manager, dass das Unternehmen ab Juli seinen eingeschlagenen Kurs unverändert fortsetzen wird. "Auch wenn Bill seine Zeit bei Microsoft reduziert, wird sich sein Einfluss auf das Unternehmen niemals verringern", heißt es offiziell aus Redmond. Gates ist vielen Entwicklern im eigenen Haus noch heute ein leuchtendes Vorbild, und seine Meinung gilt als Maß für nahezu alle Innovationen des Unternehmens. Auch wenn seine Nachfolge längst geregelt ist, dürfte der Verlust von Gates nicht unerheblich sein. "Ein Microsoft ohne Gates ist dabei, ein richtungsloses Microsoft zu werden - zumindest kurzfristig", schätzt Microsoft-Kennerin Maria Jo Foley in ihrem Buch "Microsoft 2.0".

Das Ende klassischer Software ist in Sicht

Auch heute noch macht Microsoft den weit überwiegenden Teil seines milliardenschweren Umsatzes mit dem Windows-Betriebssystem und seinen Office-Produkten. Doch anders als noch vor fünf, sechs Jahren steht Microsoft heute ganz neuen Herausforderungen durch zahlreiche Rivalen gegenüber, die die Geschicke des Unternehmens auch negativ beeinflussen könnten. Nach den geplatzten Übernahme-Gesprächen mit Yahoo! ist das Ziel, im Online-Werbemarkt zum Marktführer Google aufzuschließen, zunächst wieder in weite Ferne gerückt. Ohnehin machen agile Internet-Firmen wie Google seit geraumer Zeit mit kostenlos im Netz angebotener Office-Software dem Redmonder Riesen Konkurrenz.

Inzwischen mehren sich die Stimmen, die das Ende von Software in der herkömmlichen Form bereits für die kommenden Jahre vorhersagen. Neue Anbieter wie etwa SalesForce, die Software-Anwendungen für Unternehmen nicht mehr als Paket verkaufen und lizenzieren, sondern sie als Service übers Netz liefern, haben in jüngster Zeit beachtlichen Erfolg verbucht. Das Marktforschungsinstitut Gartner erwartet für diese Art der "Software als Service" bis 2011 eine Wachstumsrate von 22,1 Prozent - das ist mehr als das Doppelte des erwarteten Zuwachses bei Unternehmenssoftware insgesamt. Noch im laufenden Jahr will SalesForce mit seinem Umsatz die Marke von einer Milliarde Dollar überschreiten.

Zu komplex, um erfolgreich zu sein

Doch für die nahe Zukunft dürften diese Herausforderungen keine unmittelbare Gefahr für Microsoft darstellen. Das Unternehmen verzeichnete zuletzt einen Jahresumsatz von 52 Milliarden Dollar und beschäftigt insgesamt 80 000 Mitarbeiter. Trotz aller strategischer Fehler, die Microsoft gemacht hat, läuft Windows auch heute noch auf mehr als 90 Prozent aller PCs weltweit, selbst im Browser-Markt hält der Internet Explorer noch einen Marktanteil von 75 Prozent. Auch wenn Microsoft ab sofort seine Entwicklungsabteilungen schließen und keinen Cent mehr für Marketing ausgeben würde, so schätzt Foley, dürfte es noch Jahre dauern, bis der Konzern seine Position im Markt verlieren würde.

Über längere Sicht könnten allerdings ausgerechnet die heutigen "Milchkühe" Windows und Office dem Unternehmen zum Verhängnis werden und es daran hindern, im sich schnell wandelnden Internet-Geschäft voranzukommen. Ohnehin sei Microsoft mit seiner Heerschar von Angestellten und Entwicklern zu einem schwerfälligen Tanker inmitten neuer agiler Herausforderer geworden, schätzt Microsoft-Spezialistin Foley.

Mit dem aktuellen Windows Vista ist auch nach rund anderthalb Jahren Marktpräsenz für den Softwaregiganten der erhoffte überwältigende Erfolg bislang ausgeblieben. Im Gegenteil: Von Gartner-Analysten hagelte es zuletzt im Mai harsche Worte. Windows werde immer größer und komplexer, konstatierte Gartner-Analyst Neil MacDonald. Und: "Komplexität ist der Feind der Schnelligkeit."

Während die Software-Entwickler Altlasten aus fast 20 Jahren mit sich herumschleppten, müsste Windows etwa im Netz, auf Handys oder neuen mobilen Geräten heute Aufgaben erfüllen, für die es nie gedacht war. Ohnehin seien Entwicklungszyklen von über fünf Jahren wie zuletzt bei Vista überhaupt nicht mehr akzeptabel. Der Rat der Analysten: Um mit Windows weiterhin Erfolg zu haben, müsste das Betriebssystem "radikal" überarbeitet werden.