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Editorial: "Guten Tag, wir wollen Sie abkassieren oder loswerden"

oder: "Merkwürdiges Geschäftsgebahren eines Mobilfunk-Providers"
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Derzeit rufen Mitarbeiter von Talkline bei Kunden des alten 9,9 Cent-Tarifs an, und verlangen von diesen den Wechsel in den neuen 9,9 Cent-Tarif oder den oft noch teureren Free S-Tarif. Alternativ kann der Kunde kündigen bzw. wird von Talkline gekündigt. Der alte 9,9-Cent-Tarif ist für den Kunden in der Regel viel günstiger als der neue, da beim alten das monatlich erworbene 200-Minuten-Kontingent auch für Telefonate in andere Mobilfunknetze gilt, nicht nur für das eigene Netz oder Festnetz. Beim Free S wird Null-Grundgebühr mit einem hohen Mindestumsatz und unattraktiven Minutenpreisen ab der ersten Minute kombiniert.

Für den Kunden bedeutet die Annahme des Angebots von Talkline somit wohl fast immer eine Erhöhung der monatlichen Mobilfunkrechnung. Ist der Fremdnetz-Anteil hoch, fällt die Erhöhung empfindlich aus. Im ungünstigsten Fall kann sich die Rechnungshöhe sogar fast versechsfachen: Ein Monat, in dem genau 200 Minuten in fremde Mobilfunknetze telefoniert wird, kostet beim alten 9,9 Cent-Tarif nur den Paketpreis von 19,80 Euro, während beim neuen 9,9 Cent-Tarif 117,80 Euro und beim Free S je nach gewählter Option bis zu 118,00 Euro fällig werden.

Einzige sinnvolle Alternative für den Kunden ist somit, den Wechsel abzulehnen. Auf die daraus folgende Kündigung durch Talkline kann der Kunde auf zwei Arten reagieren: Er kann versuchen, Talkline per Gericht zur Vertragstreue und Weiterführung des Vertrags zu zwingen, was aber mit Ärger und im Falle einer Niederlage auch mit Kosten verbunden ist. Einfacher dürfte es sein, die Kündigung hinzunehmen, und zu einem anderen Anbieter zu wechseln.

Wohin?

Alternativen für den Wechsel gibt es viele: Wie bereits dargestellt, bietet MobilCom die Konditionen des alten 9,9 Cent-Tarifs weiter an. Nachteil dieses Wechsels: Die Mindestlaufzeit von 24 Monaten beginnt von vorne. Alternativ kann man zum "echten" Discounter mit 14 bis 16 Cent pro Minute gehen. Wie an anderer Stelle erläutert, sind die Discounter trotz des scheinbar höheren Preises oft die bessere Wahl, denn beim 9,9 Cent-Tarif erreicht man den günstigen Preis nur dann, wenn man jeden Monat exakt das Kontingent von 200 Minuten verbraucht. Liegt man darunter, verfallen bezahlte Minuten ungenutzt; liegt man drüber, zahlt man hohe Entgelte für die Überminuten. Zudem warten viele Discounter mit weiteren geldwerten Extras auf, etwa eine kostenlose Mailbox-Abfrage, vergünstigste Intern-Gespräche oder billigere SMS.

Zustimmung am Telefon

Aller Wahrscheinlichkeit nach werden die Verkäufer von Talkline dem Kunden kaum darstellen, wie viel teurer es für ihn aufgrund der Berechnung der Fremdnetzgespräche werden kann (siehe oben). Um so stärker werden die "Kundenberater" am Telefon hingegen die von Talkline angebotenen Zuckerl wie drei grundgebührfreie Monate oder 50 Euro Gesprächsguthaben bewerben. Entsprechend viele Kunden dürften sich am Telefon dazu beschwatzen lassen, der Änderung zuzustimmen. Der große Schock kommt dank des klugen Taktierens von Talkline wahrscheinlich erst einige Monate später, wenn die erste Rechnung eintrudelt, nachdem die Grundgebührbefreiung oder das Gesprächsguthaben ausgelaufen ist, und diese viel höher ausfällt als zuvor.

Es bleibt zu hoffen, dass auch solche Kunden sich wehren, die erst Monate später merken, worauf sie sich eingelassen haben. Deren Chancen stehen übrigens gar nicht schlecht. Zwar läuft das Widerspruchsrecht gemäß den gesetzlichen Regeln zum Fernabsatz nur für zwei Wochen. Doch diese zwei Wochen beginnen erst dann, sobald der Unternehmer dem Verbraucher gegenüber vollumfänglich seinen Informationspflichten nachgekommen ist. Insbesondere müssen "wesentliche Merkmale der Dienstleistung" (wozu im konkreten Fall des Vertragswechsels auch der Hinweis auf den Wegfall der Fremdnetzgespräche aus dem Kontingent gehören sollte!) und "das Bestehen eines Widerrufsrechts" dem Verbraucher in Textform mitgeteilt werden. Erhält der Kunde nie Brief, E-Mail oder Fax, wo das alles klar und deutlich drin steht, sollte er auch noch Monate später den Wechsel widerrufen können. Interessant wäre es, hier Urteile zu sehen, die den Anbieter nach dem Widerruf zur Neuausstellung sämtlicher Rechnungen seit dem Tarifwechsel zwingen.

Allen Telekommunikationskunden kann man hingegen raten, irgendwelchen Änderungen nie am Telefon zuzustimmen. Die Standardantwort sollte sein: "Schicken Sie mir bitte ein schriftliches Angebot, das ich mir in Ruhe ansehen kann." So viel Zeit muss sein.

Übrigens: Gut ein halbes Jahr ist es her, da schickte Debitel Postkarten an seine Kunden, um sie von einem Vertrag mit Mindestumsatz auf einen solchen mit Minutenpaket umzustellen. Hierdurch erhöhten sich bei einem Wenigtelefonierer die monatlichen Kosten um 50 Prozent. Auch Debitel wurde in einem Editorial wegen dieses Vorgehens von uns scharf kritisiert: "pacta sunt servanda", Verträge sind zu halten.