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Kultobjekt Handy und die Revolution des Alltags

Ein neues Buch über die "beste Erfindung der Welt"
Von dpa / Marie-Anne Winter

Das Handy hat die Welt verändert. Dieser Satz, von Technikexperten lapidar hingeworfen, klingt reichlich großspurig angesichts der kleinen Geräte, die in Zügen und Bussen nervtötend klingeln. Doch es ist etwas dran: Der Winzling hat die Menschen fast überall und jederzeit erreichbar gemacht. Das bedeutet eine Revolution des Alltags, stellt die britische Design-Expertin Henrietta Thompson in ihrem Buch Hero Handy fest. Das mobile Telefon hat die Art, wie wir Beziehungen pflegen, ebenso verändert wie unsere Arbeit oder die Art, politischen Unmut auszudrücken. Es hat neue Formen geschaffen, Gebete zu lesen, aber auch Terroranschläge auszuführen.

Schon fast vergessen sind die Zeiten, in denen Deutsche belustigt auf die Handy-Manie der angeblich schwatz- und protzsüchtigen Italiener in Straßen und Restaurants herab blickten. In Italien war der Siegeszug des "telefonino" schon Anfang der 90er Jahre nicht mehr zu stoppen. Wenig später ging der Boom auch in Deutschland los. Mit dem Preisverfall wurde aus dem Statussymbol für wenige ein Massenprodukt - Trennungen per SMS-Kurznachricht eingeschlossen.

Vom Mobiltelefon zum mobilen Alleskönner

Bis zu zwei Milliarden Nutzer weltweit sprechen für sich. Kulturpessimisten stöhnen allerdings, dass es dadurch privat immer schwerer wird, sich verbindlich für Zeiten und Orte zu verabreden. Der Grund: Handy-Junkies glaubten, sich alle Optionen so lange wie möglich offen halten zu müssen.

Aktuell scheint zudem die nächste Technik-Revolution im vollem Gange: der rasante Wandel der Kommunikationsgeräte zu mobilen Alleskönnern. Genau das ist laut Henrietta Thompson der richtige Punkt, um die Geschichte des Mobiltelefons niederzuschreiben. Denn vielleicht, so argumentiert die Chefredakteurin der Designzeitschrift Blueprint [Link entfernt] , wird das tragbare Telefon in naher Zukunft diesen Namen gar nicht mehr zu Recht tragen, wenn es außerdem Fotoapparat, mobiler Mini-TV-Bildschirm, Türschlüssel und Blutdruck-Messer in einem ist.

Mit 500 Abbildungen, die historische und futuristische Handys zeigen, ist der britischen Autorin ein optisch eindrucksvolles Buch im Mini-Format (18 mal 12 Zentimeter) gelungen. Sie zeichnet ein spannendes Stück Design-Geschichte nach. Das Lesen der interessanten Fakten macht allerdings etwas Mühe, weil die kleine Schrift auf mehrfarbigem Untergrund schnell verschwimmt. Geschildert werden auch Technik-Details aus dem Inneren der "Cellphones", außerdem Entwicklungen der Hersteller und die Gewohnheiten der Nutzer von Japan bis Afrika.

Wenig Platz für Zweifel

Trotz seiner optischen Kraft und Fakten-Fülle hat das Buch allerdings ein deutliches Manko: die manchmal übergroße Euphorie der Autorin. Zwar erwähnt Thompson auch Handy-kritische Aspekte wie technische Überwachbarkeit und Mangel an Ruhe. Doch bei den Zukunftsvisionen kommen Stimmen zu kurz, die die Thesen vom Verschmelzen von neuer Funktionen in einem Gerät bezweifeln. Wollen die Menschen wirklich nur ein Multifunktionsgerät, das als Schlüssel, Adressbuch, Fernbedienung, Wecker, Bargeld-Karte, Musikspieler und anderes mehr fungiert? Gab es für Fernseher und Computer nicht ähnliche Prognosen, die bisher nicht wahr wurden?

Zukunftsforscher wie Matthias Horx verweisen jedenfalls darauf, dass Handys auch überladen und zu kompliziert werden können. Echte Fans des Kultobjektes lassen sich durch solche Warnungen nicht beirren. Für sie kann "die beste Erfindung der Welt" - so der Untertitel des Buches - nur noch großartiger werden.