Und jetzt?

Scheurles Rücktritt: Steht jetzt ein Wechsel in der Wettbewerbspolitik an?

Wirtschaftsministerium und Deutsche Telekom zeigen sich überrascht
Von Marie-Anne Winter

Wie wir gestern abend bereits berichtet haben, tritt der Chef der Bonner Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post, Klaus-Dieter Scheurle, zum Jahresende ab. Das Bundeswirtschaftsministerium teilte am Donnerstag in Berlin mit, dass Scheurle künftig einen Posten in der Privatwirtschaft übernehmen wird. Scheurle stand seit ihrer Gründung im Jahr 1998 an der Spitze der Behörde. Nach seinem Ausscheiden soll Scheurles Stellvertreter, Matthias Kurth, die Geschäfte leiten, bis der Beirat der Regulierungsbehörde einen neuen Präsidenten vorgeschlagen habe. Kurth wurde in Medienberichten bereits als offizieller Nachfolger gehandelt. Als SPD-Mitglied stehen Kurths Chancen besser, als die des zweiten Stellvertreters Gerharnd Harms (FDP).

Bundeswirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) äußerte "Überraschung und Bedauern" über den Entschluss Scheurles und dankte ihm "für seinen tatkräftigen Einsatz für den Wettbewerb auf dem Telekommunikations- und Postmarkt". Müller sagte weiterhin, dass die Regulierungsbehörde unter Scheurles Führung einen entscheidenden Beitrag für den Aufbau wettbewerblicher Strukturen auf dem ehemaligen Monopolmarkt geleistet und dazu beigetragen habe, "dass die Kundenpreise für Telekommunikationsdienstleistungen drastisch gefallen sind".

Nach Angaben des "Handelsblatts" (Freitagausgabe) hatten sich Müller und Scheurle bereits kurz nach der UMTS-Mobilfunkauktion im August auf den Weggang verständigt. Allerdings folgte dem Bekanntwerden dieser "Gerüchte" bisher immer ein Dementi. Nun scheint es aber endlich wahr zu sein: Scheurle hat sich, beflügelt durch seine Popularität im Gefolge der Auktion, die Finanzminister Hans Eichel (SPD) Milliardenbeträge in die Staatskasse spülte, nach einer neuen Stelle umgesehen.

Scheurles Kurs war allerdings von Anfang an nicht unumstritten. Sowohl die Deutschen Telekom und auch die Deutsche Post äußersten mitunter heftige Kritik am Vorgehen der Regulierer. Die Telekom wurde beispielsweise dazu verpflichtet, ihren Wettbewerbern eine Internet-Großhandelspauschale anzubieten. Außerdem hatte Scheurle angekündigt, auf einen verstärkten Wettbewerb im Ortsnetz zu drängen. Noch befinden sich nach Angaben der Telekom-Konkurrenten derzeit fast 98 Prozent der Ortsnetze in den Händen des Ex-Monopolisten.

Auch das Ringen um das Porto für Standardbriefe sorgte für Konflikte: Ende März ließ Scheurle verlauten, dass er das Porto für Standardbriefe wieder auf 1 Mark senken wolle. Postchef Klaus Zumwinkel dagegen verlangte sogar ein höheres Entgelt für die Beförderung von Standardbriefen. Wirtschaftsminister Müller legte daraufhin das eigentlich im September zur Prüfung anstehende Porto für Standardbriefe per Weisung bis Ende 2002 auf 1,10 Mark fest.

Mehrere Zeitungen berichteten am Donnerstagabend vorab, Scheurle habe ein Angebot einer oder mehrerer Investmentbanken erhalten, sich aber noch nicht endgültig entschieden. Die "Süddeutsche Zeitung" nannte die Schweizer Großbank Crédit Suisse als voraussichtlichen künftigen Arbeitgeber. Die "Financial Times Deutschland" berichtete über Verhandlungen mit der Unternehmensberatung Roland Berger.

Der gebürtige Stuttgarter Scheurle war nach einem Jurastudium zunächst im Bundesjustizministerium tätig und wurde 1993 persönlicher Referent des ehemaligen Bundespostministers Wolfgang Bötsch (CSU). Zum 1. Januar 1998 übernahm er dann die Leitung der, aus dem aufgelösten Postministerium hervorgegangenen, Regulierungsbehörde.

Scheurles potentieller Nachfolger Matthias Kurth begann seine Karriere als Richter am Landgericht Darmstadt. 1994 wechselte er als Staatssekretär ins hessische Wirtschaftsministerium. Nach einem Abstecher in die Privatwirtschaft, er war zeitweilig in der Geschäftsführung von COLT-Telecom, trat er zum 1. März seinen neuen Job als Vize-Präsident der Regulierungsbehörde an.