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NOKIA ist nicht NOKIA


15.12.2016 08:01 - Gestartet von DL7FOS
Folgende Aussage findet sich im Artikel: "Verschläft Nokia schon wieder das Smartphone-Zeitalter..." - Das ist sachlich einfach falsch.

Zunächst ist Nokia nicht Nokia. Wie selbst im Artikel beschrieben wird ist der dritte Eigner HMD Holding, nicht Microsoft und nicht Nokia. Sicherlich erwerben die Inhaber der Marken auch gewisse Rechte, aber es sollte klar sein, dass die Headquarters mit den Entscheidungen der Vorbesitzer nichts zu tun haben. Ein Blick auf historische Marken aus dem Bereich Unterhaltungselektronik macht dies deutlich, ob Blaupunkt,, Telefunken, Dual oder Schaub-Lorenz haben diese Aufkleber nichts mehr damit zu tun, was einst die Pioniere damit vor hatten. Max Grundig hatte sicherlich auch andere Ambitionen als die Fertigung von Handys. Daher ist schon alleine deshalb davon auszugehen, dass Nokia eine dritte Aira erleben wird.

Zum Begriff Smartphone muss man ZUDEM eine ganz wichtige Betrachtung mit berücksichtigen, DASS NICHT Apple oder Google das Smartphone erfunden haben, sondern lediglich mit den sich erschlossenen technischen Möglichkeiten anders definierten. Touchscreen-Modelle gab es seit Mitte der 90er Jahre, der von HTC gebaute MDA und XDA waren wohl die ersten massentauglichen Vertreter. Während Microsoft aber die Ergonomie an die Desktop-Betriebssysteme ausrichtete ging Apple mit dem fingertauglichen iOS auf Nachfolge des iPod Touch, den man als Testmarkt für das iPhone sehen könnte, ganz neue Wege. Microsoft kopierte dies dann mit Windows Mobile 6.5, später Phone 7 und heute Windows 10 Mobile, obgleich bei den letzteren Versionen auch eine Konvergenz zum Desktop zu beobachten war. Apple macht es heute umgekehrt, so erinnert MacOS Sierra heute eher an iOS und erhält Funktionen des iPhone on top.

Die ersten Nokia-Smartphones fielen hier vollkommen aus dem Rahmen. Symbian basierte auf einem Konzept von IBM und war weder Windows, noch auf Touch-Bedienung ausgelegt. Das ging über ein Jahrzehnt gut, viele Unternehmen setzten auf Symbian auch deshalb, weil man dieses skalieren und an die eigenen Unternehmensanforderungen ausrichten konnte. Das ging soweit, dass Nokia speziell für Unternehmen Versionen der ESeries ohne Kamera angeboten hat, so dass man Smartphones zu dieser Zeit klar im Unternehmensumfeld prädestiniert sehen konnte. Aber auch blinde und sehbehinderte Anwender profitierten davon, denn mobile Screenreader machten es möglich, dass diese Geräte mit Sprachausgabe nutzbar wurden. Auch Nokia brachte in enger Zusammenarbeit mit Code Factory einen Nokia Screenreader auf den Markt, der für ausgesuchte Modelle kostenlos genutzt werden konnte. Die Geräte werden auch heute noch von vielen blinden und sehbehinderten Anwendern gerne genutzt, trotz dass natürlich schon bei der Übernahme durch Microsoft klar war, dass Symbian ein Ende haben sollte.

Nokia hatte eigentlich mit zwei wesentlichen Problemen zu kämpfen. Zum Einen wollte man natürlich den Touch-Trend nicht verpassen, stattdessen man mit Symbian einen klaren Tastatur-Trend hätte setzen können. Symbian Anna und Belle liefen so inkonsistent, dass ich das ansonsten wunderbare Nokia E6 nach dem Update auf Belle verkauft habe, weil die Bedienung hin zum Touchscreen bei diesem kleinen Display nicht mehr gut funktionierte. Auch wurden die Geräte immer langsamer, da Nokia es nicht schaffte, bei den Symbian 3-Geräten den alten Ballast abzuschmeißen. Während dessen vollführte Nokia auch von Jahr zu Jahr einen Image-Wandel, einst war es Nokia Music mit der NSeries und Einsteigermodellen, dann war es Mobile Gaming mit den N-Gage-Modellen und zuletzt die mobile Navigation und spezielle Navigator-Modelle sollten den Kauf von Navteq etwas einbringen. Die angekündigten Premium-Dienste kamen aber nicht, weil offenbar die Verkaufszahlen zurück fielen, das war dann schon die Zeit von Android und iOS.

Das zweite Problem war Steve Ilop in Person, der durch geschickte Aussagen den Verkauf von Nokia-Smartphones mit Symbian abgeschwächt hat. Bevor das Nokia E7 als eigentlicher Communicator-Nachfolger veröffentlicht wurde äußerte Steve Ilop öffentlich, dass dies der letzte Communicator sei, den Nokia produzieren würde, woraus viele schlossen, es wäre das letzte Symbian-Modell. Auch das sorgte dafür, dass der Absatz des ansonsten fast gut durchdachten Gerätes nicht so positiv war, wie Nokia sich dies erhoffte. Mit dem eigentlich letzten Highlight, dem 808 PureView, brachte Nokia ein Gerät für die Fotografen heraus, Microsoft hat diese Technik später in den Lumia-Modellen übernommen.

Es ist daher nicht korrekt davon zu schreiben, dass Nokia einen Trend verpasst habe. Klar ist das im Ergebnis schon so, aber die Umstände sind weder an minderwertigen Telefonen zu suchen, noch an vielleicht rückständigen Ideen. Wer im Netz zum Beispiel nach alten Forenbeiträgen zum Nokiia N96 mit dem Zusatz VoIP sucht wird viele Nutzer finden, welche in Vorgängermodellen den SIP-CLient nutzten, so dass man mit virtuellen Telefonanschlüssen wie Sipgate und andere in Wireless-Netzen erreichbar waren. Auch ich bediente mich dieser Möglichkeit um Kunden fern ab vom Bürostandort telefonisch zu bedienen. Das N96 brachte in den Produktdaten auch die Möglichkeit der VoIP-Nutzung mit, im Endprodukt hatte Nokia aber diese Funktionen komplett entfernt. Hintergründe seien angeblich die Mobilfunkbetreiber gewesen, die Nokia dazu gedrängt hätten. Viele Nutzer waren darüber so verärgert, dass sie sich mit dem N97 gar nicht mehr beschäftigt haben, das wiederum den Kern für VOIP mitbrachte, man musste aber das Frontend dafür manuell nachinstallieren.

Natürlich konnte Symbian sich später kommerziell nicht mehr gegenüber den bunten und einfach mit dem Finger bedienbaren Betriebssystemen behaupten. Vergleicht man aber ein Nokia N8 mit einem aktuellen Lumia-Modell wird man viele Elemente aus Symbian in Windows Phone wiederfinden, Microsoft hat einiges von der Ergonomie kopiert, wie den Rückwärts-Pfeil. Im Ergebnis muss man denke ich schon festhalten, dass die relative Erfolglosigkeit von Nokia im Smartphone-Genre schon an Microsoft und einigen Fehlentscheidungen zu suchen ist. Wenn Nokia jetzt auf Android setzt, das wurde früher ja auch von Microsoft weitgehend verhindert, werden sie sich ganz einfach in die Masse einreihen und sich hoffentlich durch gute Ideen davon abheben. Die Partnerschaft zu Here Maps wäre da sicher eine gewinnbringende Möglichkeit. Ein Android-Modell, das dem Communicator oder der ESeries gleicht, könnte aus meiner Sicht ein Erfolg werden, hier grast BlackBerry ja im Moment die Tastaturnutzer ab.

Abschließend sei angemerkt, dass Nokia mit dem Booklet 3G ein hervorragendes Netbook am Start hatte, was durch GPRS und Windows 7 glänzte und lüfterlos lief. Die Verarbeitungsqualität war auf Augenhöhe mit heutigen Macbooks. Einzig der begrenzte Arbeitsspeicher und die recht langsame Festplatte veranlassten mich, es wieder zu verkaufen. Die Nokia Tablets, die ohne Symbian auskamen und stattdessen auf ein Linux-Derivat setzten (Nokia 800), waren für mich nicht interessant.