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Mannesmann und die Drücker


02.05.2000 11:28 - Gestartet von tobi
Vor einiger Zeit stand mal ein interessanter Artikel in der ZEIT Nr. 28 v. 08.07.99:

Originaltext findet man im ZEIT Archiv unter http://www.archiv.zeit.de/daten/pages/199928.otelo_drueckerko.html

Und so, wie das unten beschriben ist, läuft das tatsächlich
ab.


Fuß in der Tür
Wie die Telefongesellschaften o.tel.o und Mannesmann Arcor auf Kundenfang gehen Von Gunhild Lütge


Morgens um 9 Uhr schwärmen sie aus. Vor 18 Uhr sollten die Mitarbeiter nicht zurück in der Zentrale sein. Das macht einen schlechten Eindruck und bringt womöglich einen Rüffel ein.

Gute Abschlüsse werden auf ganz besondere Weise belohnt: Der oder die Glückliche darf eine Glocke läuten. Die kleine bei fünf, die mittlere für acht und die große ab zehn Aufträgen. Die kleine läutet so gut wie niemand.

Wer die große Glocke schafft, ist der Star des Tages. Alle klatschen Beifall. "Super, guter Job!", loben auch jene, die selbst nicht bimmeln durften. Der Erfolgreiche kann sicher sein, beim gemeinschaftlichen Meeting um Punkt 8 Uhr am nächsten Morgen noch einmal gefeiert zu werden. Alle wissen aber, dass vor versammelter Mannschaft auch getadelt wird.

"Willkommen im Team": Wir befinden uns in einer der Niederlassungen der Ranger Marketing und Vertriebsgesellschaft mbH.

Die Rangers sind für o.tel.o unterwegs. Das heißt, sie sind Vertriebspartner dieser noch jungen Telefonfirma, die versucht, dem Altmonopolisten Telekom massenhaft Kunden abspenstig zu machen.

Bis zum Aufstieg sind etliche Schuhsohlen platt gelaufen

Die Ranger-Gesandten kümmern sich um Besitzer kleiner Läden: Friseure, Gemüsehändler, Boutiquen, aber auch Rechtsanwälte und Ärzte. Sie sollen davon überzeugt werden, nicht nur von Fall zu Fall im sogenannten Call-by-call-Verfahren die Firma o.tel.o zu wählen, sondern sich an diese Gesellschaft fester zu binden. Preselection wird das genannt. Es reicht die Unterschrift unter einen einfachen Auftrag - und die Telekom muss bei jedem Ferngespräch den Kunden automatisch in das Netz ihres Rivalen umlenken. o.tel.o hat auf diese Weise inzwischen schon über 500 000 Kunden gewonnen; mehr als jeder andere Rivale der Telekom.

Das Potential ist noch immer riesig. Doch das wissen nicht nur die Rangers. Für sie gilt es, so schnell wie möglich ein Gebiet zu durchstreifen. Rund zehn Minuten sind für jedes Gespräch vorgesehen. Wer als potentieller Kunde zu viel fragt, gar debattieren will, gilt als verloren. Der nächste, bitte. Viele unterschreiben, ohne viel zu fragen. Ein Risiko gehen sie nicht ein. Alle können sich jederzeit wieder für eine andere Telefongesellschaft entscheiden.

Der Ranger erhält für jede Unterschrift zwischen 30 und 40 Mark. Er kann sich fest anstellen lassen. Dann erhält er sogar ein Fixum, auf das die Provision aber erst einmal angerechnet wird. Manche bevorzugen hingegen, sich als Einzelkämpfer durch die Massen der Kunden zu arbeiten. Sie müssen aber für ihre soziale Absicherung selber sorgen.

Die beiden Ranger-Chefs, Frank René Rittmann und John Keller, kamen während eines USA-Aufenthaltes auf die viel versprechende Geschäftsidee. Sie starteten 1992 in Deutschland und vertreiben Waren aller Art: Bücher, Büro- und Haushaltsartikel zählen dazu. Das summiert sich inzwischen - nach eigenen Angaben - auf stattliche 110 Millionen Mark Umsatz im Jahr.

Als in Deutschland das Telefonmonopol der Telekom fiel, erkannte Rittmann sofort seine Chance. Er begann, sein Vertriebsnetz zu spinnen, startete in Düsseldorf, am Firmensitz. Zug um Zug kommen nun immer neue Niederlassungen in anderen Städten hinzu.

Zwei bis drei Tage laufen die Neuen im Windschatten erfahrener Kollegen mit, die als Trainer fungieren. Dann müssen sie alleine los, augerüstet mit einem Faltprospekt - und einer Menge Auftragsformulare. Trainer wird, wer nach einer bestimmten Zeit häufig die Glocken läuten konnte, möglichst natürlich die große. Die nächste Karrierestufe: eine eigene Niederlassung. Doch bis es so weit ist, sind etliche Schuhsohlen platt gelaufen.

Ganz egal, in welchem Status oder auf welcher Hierarchiestufe man sich befindet, das Du ist obligatorisch, und man spricht sich mit Vornamen an. Etliche finden den amerikanischen way of work ganz prima - manche schalten einfach auf Durchzug. Wer geschickt ist, kann schnell viel Geld verdienen, muss aber die Regeln akzeptieren.

Keine Scheu haben die Niederlassungsleiter, ihre Mitarbeiter schon nach kurzer Zeit wieder in jene Gebiete zu schicken, die von den eigenen Leuten gerade erst abgegrast wurden. Ob es Fehlplanung oder ein Härtetest ist, darüber darf gerätselt werden. Und so kann es schon mal geschehen, dass eine entsetzte Geschäftsfrau stöhnt: "Ich kann den Namen o.tel.o nicht mehr hören!" Doch das scheint die Rangers nicht zu irritieren. Morgen sind sie schon wieder auf einer anderen Baustelle.

Das Wort "Drückerkolonne" mag Rittmann ganz und gar nicht. Zwar weiß er von Wettbewerbern, die ihre eigene Verwandtschaft "auch in Turnhosen losschicken". Bei den Rangers aber legt man großen Wert auf gute Kleidung - und ein entsprechendes Image. Es ginge ganz und gar nicht darum, "nur eine schnelle Mark zu machen", beteuert er.

Im Kampf um jeden Kunden gerät der Telekom-Rivale o.tel.o allerdings auch schon mal an, vorsichtig ausgedrückt, ziemlich exotische Verkäufer. So wird von einer Veranstaltung eines anderen Vertriebspartners übermittelt, dass sich plötzlich Nebelschwaden um die Teilnehmer hüllten. Passend zum künstlich erzeugten Dunst, lief ein Rambo-Film; ohne Ton, versteht sich. Denn die verbale Botschaft fürs harte Telefonmarketing wollte man schließlich noch selbst vermitteln.

Weil das Geschäft als lukrativ gilt, kommen sich immer neue Vertriebsmannschaften in die Quere. Zum Beispiel in Hamburg. So muss eine Anzeige der Firma teleOrga den Rangers geradezu als Provokation erschienen sein. Die Firma lockte neue Mitarbeiter zunächst mit stattlichen 88 Mark Provision pro Anschluss.

TeleOrga ist für Mannesmann Arcor tätig. Der Chef, Gerhard Ehrl-Santa, kommt ursprünglich aus der Immobilienbranche. Doch anstatt sich zur Ruhe zu setzen, will es der 59-Jährige noch einmal wissen: "Der Telekommunikationsmarkt ist eine neue Herausforderung." Das Schöne an der Sache sei: "Wir bringen den Kunden Geld und nehmen ihnen keines", sagt der Vertriebsprofi gut gelaunt. Allerdings musste er sein Provisionsmodell für die Mitarbeiter inzwischen variieren.

Der teleOrga-Chef versteht sich im Vergleich zu den Rangern als die andere, deutsche Variante. Auch er beschäftigt neben- und hauptberufliche Mitarbeiter, zum Teil als Handelsvertreter. Einmal im Quartal gibt es ein "Pflichtseminar" für alle. Und im Gegensatz zu den Bedingungen bei Ranger, müssen sich die teleOrga-Kunden sechs Monate lang vertraglich an die neue Telefongesellschaft binden. "Eine seriöse Gesellschaft ist auf gute Kundenbeziehungen angewiesen", sagt Ehrl-Santa. Auf die Stornoquoten käme es an. "Drückermethoden mögen wir deshalb nicht", fügt er hinzu.

Das Pikante an dieser Sache: Ranger und teleOrga arbeiten zwar - auf den ersten Blick - für zwei unterschiedliche Firmen. Die aber gehören längst zusammen: Arcor hat o.tel.o geschluckt. Weil es aber auch weiterhin beide Marken geben wird, hat Arcor nun ein Problem: Es gilt zu verhindern, dass sich die engagierten Vertriebspartner jetzt womöglich gegenseitig Kunden abspenstig machen.






















© beim Autor/DIE ZEIT 1999 Nr. 28
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