Themenspecial VoIP Diskussion

sipgate: "Telefonkunden droht durch NGN neue Servicewüste"

Der VoIP-Provider kämpft weiter um den Ruf der Internet-Telefonie
Von Björn Brodersen

Enttäuschte Nutzer von Voice over IP verfügen nach Ansicht von sipgate über mehrere Möglichkeiten, die Sprachqualität ihrer Internet-Telefonate zu verbessern. Diese Möglichkeiten reichen vom Bandbreiten-Management der DSL-VoIP-Router, dem Öffnen bestimmter Ports bei Einsatz einer Firewall bis hin zum Kauf neuerer Geräte, die Merkmale wie die HD-Telefonie unterstützen. Bei anhaltenden Problemen könnten sie sich auch an den Kundendienst von sipgate wenden, der auf telefonischem Wege Hilfe leistet (01803-Hotline).

Aktuelle DSL-Hardware reserviert in der Tat eine feste Bandbreite für die Telefonie, so dass gleichzeitig datenintensive Internetanwendungen und Telefonate über den Anschluss ohne Qualitätseinbußen möglich sind. Allerdings haben die Geräte keinen Einfluss mehr auf die Datenübertragung im öffentlichen Internet. Gibt es hier Engpässe, so kann es durchaus zu Störungen oder Qualitätseinbußen bei Telefonaten kommen. Einen entscheidenden Einfluss auf die Gesprächsqualität hat auch der eingesetzte Codec, der die analogen Sprachsignale in Audio-Formate umwandelt und die Daten gleichzeitig komprimiert. Wideband-Codecs helfen aber dem VoIP-Nutzer zum Beispiel nur, wenn nicht nur er, sondern auch der Gesprächspartner über entsprechende Hardware verfügt.

NGN bietet nicht nur auf Kundenseite, sondern auch netzseitig das Merkmal Quality of Service (QoS). Dafür sorgen spezielle Hardware, Software und Protokolle im Vermittlungsnetz des Anbieters. Dafür muss der Nutzer hier - wie von sipgate herausgestellt - teilweise auf die spezielle Hardware des Breitband- und Telefon-Anbieters zurückgreifen und ist für die Nutzung an den heimischen Anschluss gebunden. Auf NGN setzen mittlerweile Vollanschluss-Anbieter wie Arcor, o2 und - dort, wo das Unternehmen auf die Infrastruktur von Telefónica und QSC zurückgreift - HanseNet. Übrigens gibt es mit Anbietern wie zum Beispiel 1&1 Firmen, die NGN-Anschlüsse per SIP realisieren - mit allen damit verbundenen Vorteilen (nomadische Nutzung) und Nachteilen (kein netzseitiges QoS, kein zuverlässiger Notruf in Verbindung mit nomadischer Nutzung). Echte Festnetzanschlüsse bieten dagegen von den größeren Anschluss-Anbietern nur noch die Deutsche Telekom und Versatel an.

"Traditionelle Internet-Telefonie steht für Freiheit in der Nutzung"

Bleibt die Frage, warum sipgate sich zurzeit so vehement um den Ruf der klassischen Internet-Telefonie bemüht und die NGN-Anbieter so scharf angreift. Ein stärkeres Gewinnstreben der Konkurrenz wird das Unternehmen schwerlich ernsthaft als verwerflich einordnen können. Verzeichnet sipgate etwa einen Rückgang bei den abgewickelten VoIP-Minuten oder den Kundenzahlen? Schließlich bieten die Telefonfirmen inzwischen auch echte Festnetz-Flatrates zu konkurrenzfähigen Grundpreisen an. Auf unsere Nachfrage heißt es bei sipgate lediglich: "Zu Kundenzahlen und Minutenumsatz sagen wir traditionell nichts, wir sind aber mit dem Geschäftsverlauf sehr zufrieden." Als Beweis dafür soll die zunehmende Zahl der Mitarbeiter dienen: Ende 2006 verfügte sipgate nach eigenen Angaben über etwa 35 Mitarbeiter, inzwischen sind es rund 60. Zudem sollen in diesem Jahr weitere 15 bis 20 Mitarbeiter eingestellt werden..

Insgesamt hat, das ergab jüngst eine Auswertung des Branchenverbands BITKOM, die Nutzung von IP-basierter Telefonie 2007 um 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr zugenommen - die Statistik macht allerdings keinen Unterschied zwischen Telefonie per VoIP (zum Beispiel über einen SIP-Provider) und Telefonie über NGN. 2007 habe bereits jeder achte Deutsche (13 Prozent) die Möglichkeit genutzt, über das Internet zu telefonieren.

Mit der neuerlichen Kritik zielt sipgate nach eigener Aussage weniger auf die NGN-Technik als auf die NGN-Anbieter selbst ab. "Die Festnetz-Anbieter stellen mit NGN auf IP-vermittelte Telefonie um, die Kunden werden darüber jedoch weitgehend im Unklaren gelassen und meinen, immer noch über das Festnetz zu telefonieren", sagt Pressesprecher Wilhelm Fuchs. Zudem werde die Entwicklungsarbeit bei NGN auf dem Rücken der Kunden gemacht, was zu Lasten der tradionellen VoIP-Anbieter gehen könne, da der Kunden gegegebenenfalls NGN und VoIP vermische. Als Beispiel führt er Berichte von Nutzern über schlechte Gesprächsqualität bei den NGN-Anschlüssen von HanseNet an. Daher sei eine Differenzierung für VoIP-Provider wie sipgate wichtig. "Wenn IP-Telefonie, dann doch lieber das Original, das Verbrauchern alle Freiheiten in der Nutzung sowie sogar den Einsatz anderer VoIP-Anbieter, mehr Service und Funktionen, einen offenen Endgeräteeinsatz und die schnelle Integration von allgemeine Neuentwicklungen bietet", empfiehlt Fuchs.

HanseNet: "Keine Bevormundung des Kunden"

Den Vorwurf der "Bevormundung" des Kunden möchte der Anbieter HanseNet zumindest für seine eigenen Anschlussangebote nicht gelten lassen. "Wir sehen nicht, dass wir den Kunden zu einem Bündel zwingen. Mit Alice Light bieten wir ein Breitband-Zugang auch ohne Telefonanschluss an. Wenn sich der Kunde aber aktiv für einen Telefonanschluss entscheidet, so wollen wir dem Kunden einen einfach zu installierenden Anschluss nach seinen Bedürfnissen bieten", sagt Pressesprecher Carsten Nillies. Zudem verhindere HanseNet nicht, dass die Kunden VoIP nutzen. Es zeige sich aber, dass die Kunden eher alles aus einer Hand als zwei verschiedene Anbieter für den Breitband-Zugang und den VoIP-Anschluss wählen.

"Zentrale Punkte unseres Dienstes sind nicht mit VoIP vergleichbar", so Nillies. "Zum Beispiel ist die Installation von VoIP-Diensten heute immer noch nur etwas für Experten. Die Installation von Alice kann heute von jedermann vorgenommen werden." Insofern ist auch HanseNet an einer Unterscheidung zwischen klassischer Internet-Telefonie und seinem über das Breitbandnetz realisierten Telefonangebots gelegen. Wenigstens in diesem Punkt sind sich die beiden Anbieter einig.