Verfassungsbeschwerde

Urteil: Vorbeugende Telefonüberwachung ist verfassungswidrig (aktualisiert)

Die vorbeugende Telefonüberwachung nach niedersächsischem Polizeirecht ist nichtig
Von dpa / Marie-Anne Winter

Die vorbeugende Telefonüberwachung nach niedersächsischem Polizeirecht ist verfassungswidrig und nichtig. Das hat das Bundesverfassungsgericht heute entschieden. Nach dem Urteil verstößt die Ende 2003 in Kraft getretene Regelung gegen das im Grundgesetz geschützte Fernmeldegeheimnis. Damit gab das Karlsruher Gericht der Verfassungsbeschwerde eines Oldenburger Richters statt.

Der Richter hatte Verfassungsbeschwerde gegen die Ende 2003 in Kraft getretene Abhörmöglichkeit eingelegt. Er sah darin eine Verletzung des Fernmeldegeheimnisses, weil auch unbescholtene Bürger überwacht werden dürfen. Nach der nun als verfassungswidrig eingestuften Vorschrift durfte Niedersachsens Polizei auch ohne konkreten Tatverdacht Telefongespräche abhören sowie Verbindungsdaten, Standortkennungen von Handys, E-Mail- und SMS-Verkehr auswerten.

Die Deutsche Polizeigewerkschaft warnte vorab bereits vor den Folgen, sollte das Gesetz gekippt werden. "Die Strafverfolgung im Bereich des Terrorismus wird uns deutlich schwerer fallen", sagte der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft, Wolfgang Speck, der Berliner Zeitung. Die Polizei wäre weiterhin auf die bislang unzureichende Zusammenarbeit mit Nachrichtendiensten angewiesen, sagte Speck, dessen Verband etwa 80 000 Polizei-Angehörige vertritt.

Er versuchte dem Eindruck entgegenzuwirken, die Polizei würde die Abhörbefugnisse missbrauchen. "In Niedersachsen hat es bis jetzt nur zwei Fälle gegeben." Dies zeige, dass die Polizei gewissenhaft mit dem Abhörinstrument umgehe. Die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Nachrichtendiensten müsse nun verbessert werden. "Die Eifersüchteleien müssen ein Ende haben. Es muss zu einem wirklichen Informationsaustausch kommen, der nicht nur im Einbahnstraßen-Verkehr funktioniert", sagte Speck.

Thüringen will Karlsruher Urteil zur Telefonüberwachung prüfen

Thüringen will das Karlsruher Urteil zur vorbeugenden Telefonüberwachung genau prüfen. "Wir werden uns zunächst die Urteilsgründe anschauen und diese ausführlich analysieren", sagte der Sprecher des Innenministeriums Michael Koch. Die Entscheidung der Karlsruher Richter betreffe den Freistaat nicht unmittelbar. Sollte sich daraus jedoch auch für Thüringen ein Änderungsbedarf ergeben, werde das Polizeiaufgabengesetz entsprechend angepasst.

In Thüringen gibt es seit Sommer 2002 eine ähnliche Regelung zur vorbeugenden Überwachung von Telefonen. Nach Ministeriumsangaben bedarf es dafür einer richterlichen Anordnung. Abgehört werden darf, "soweit Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass Personen Straftaten (...) begehen wollen". Zu den besonders benannten Straftaten gehören beispielsweise Raub, Erpressung, Mord, der Verdacht auf Hoch-, Landes oder Friedensverrats. "Die Datenerhebung ist insoweit auf die Gewinnung von Hinweisen bezüglich der angenommenen Straftaten beschränkt und muss zu deren vorbeugenden Bekämpfung zwingend erforderlich sein", heißt es dazu im thüringischen Polizeirecht.