Radio Equipment Directive

(Kein) Verkaufsstopp von Smartphone & Router: Das ist der Hintergrund

Seit 1999 werden die Bestimmungen, wie sich Geräte mit Funkschnittstellen innerhalb der EU verhalten sollen, harmonisiert. Doch nun gibt es Ärger um die Vorschriften oder besser deren Aktualisierung. Sogar von einem Verkaufsstopp für Smartphones, WLAN-Router und Co. war die Rede.
Von Jan Rähm

Verkaufsstopp oder nicht? Das steckt hinter dem EU-Chaos Verkaufsstopp oder nicht? Das steckt hinter dem EU-Chaos
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Wer innerhalb der europäischen Union elektronische Geräte mit einer Funkschnitt­stelle wie WLAN, Bluetooth, DECT oder anderen Technologien auf den Markt bringen möchte, muss Regeln und Grenzen beachten, sonst wird das nichts mit Interaktion und störungsfreiem Betrieb. Eben solche Regeln und Grenzen für Elektronik und andere Technik mit Funkschnitt­stellen gibt die Europäische Kommission seit 1999 mit der Radio & Telecommunications Terminal Equipment Directive (R&TTED) und seit 2014 mit der Radio Equipment Directive (RED) vor. Die jüngere der beiden Direktiven verweist aktuell auf 100 Standards. Die bereits im vergangenen Jahrtausend verabschiedete R&TTED umfasst mehr als 200 technische Spezifikationen. Allerdings ist sie zum 13. Juni 2016 ausgelaufen, während die noch nicht fertig war. Dies war absehbar und deswegen gab es auch eine einjährige Übergangszeit, in der sich Hersteller auf beide Direktiven berufen konnten. Doch zum 13. Juni 2017 nun endet auch die Übergangsfrist - und dass obwohl etliche Standards noch nicht aktualisiert, erweitert oder erneuert wurden. Unternehmen stellt das vor einige Herausforderungen.

Ohne RED keine CE-Kennzeichnung

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"Das Problem ist, dass die RED die Grundlage für die CE-Kennzeichnung der Hersteller von Funk-Produkten ist," erklärt Kira Terstappen-Richter, Public Affairs Manager beim Berliner Elektronik­hersteller AVM. Und weiter: "Jetzt ist absehbar, dass bis zum Ende der Übergangsfrist Mitte Juni 2017 ein großer oder nicht unerheblicher Teil der harmonisierten Normen nicht fertiggestellt sein wird und daher eine Konformitäts­prüfung der Funkprodukte im Rahmen einer Hersteller Selbsterklärung nicht mehr möglich ist." Bisher haben die Hersteller auf Basis der bestehenden Standards ihre Produkte selbst getestet und anschließend eine Konformitäts­erklärung abgegeben. Im Gegenzug durften sie die sogenannte CE-Kennzeichnung auf den Geräten anbringen.

Aktuell fehlt jedoch noch ein großer Teil der Standards. Für Produkte, die bereits verkauft werden, ist das kein Problem. Da sie den Normen entsprechen, die bei Marktstart galten, dürfen sie weiter vertrieben werden. Medienberichte, die von einen Verkaufsstopp von Smartphone und WLAN-Routern sprechen, sind also falsch. Allerdings können ab Juni keine neuen Geräte mehr hinzukommen oder nur nach Einzelprüfung. Eine Einzelprüfung können die Hersteller bei entsprechend zertifizierten Einrichtungen, den "Notified Bodies", in Auftrag geben. Diesen Weg empfiehlt die Europäische Kommission den Herstellern, solange die RED nicht fertig ist. Der EU-Kommissionssprecher in Deutschland Reinhard Hönighaus räumt jedoch ein: "Es ist uns bewusst, dass die Kapazitäten dafür begrenzt sind und dass sich das vor allem für Produkte lohnt, die ein großes Volumen haben für den Massenmarkt." Genau hier setzt die Kritik von AVM-Managerin Terstappen-Richter an. Sie geht jedoch noch weiter: "Die sogenannten Notified Bodies sind unseres Erachtens nach keine wirkliche Alternative, weil sie einen erheblichen finanziellen Mehraufwand mit sich bringt und Zeit verschlingt. Es ist auch die Frage, gegen welche harmonisierten Normen Notified Bodies prüfen möchten, wenn diese nicht zur Verfügung stehen."

Hersteller brauchen Vorlaufzeit von einem Jahr

Der EU-Sprecher verspricht: "Die Kommission ist sehr hinterher und sehr bemüht, die Normen, die noch fehlen, schnellstmöglich bereitzustellen." Für die Normen verantwortlich ist die Europäische Standardisierungsbehörde ETSI. Sie erarbeitet die Standards zusammen mit den Industrie. Die fühlt sich allein gelassen. So sagt beispielsweise der Geschäftsführer des Netzwerkausrüsters Lancom Ralf Koenzen: "Aus unserer Sicht ist das Verhalten der EU-Kommission mehr als unglücklich - um es nicht eigentlich skandalös zu nennen. Es werden hier einfach politische Ränkespiele und Machtspiele auf dem Rücken von Hersteller und ganzen Märkten eigentlich ausgetobt werden und offensichtlich auch überhaupt kein Verständnis für die Problematik dort herrscht." Denn die Industrie brauche, so Koenzen, eine Vorlaufzeit von einem Jahr und mehr, um neue Geräte an Standards und Normen auszurichten und um Messungen durchzuführen.

Die Industrie selbst sei jedoch nicht ganz unschuldig, so EU-Sprecher Hönighaus. Schließlich sei seit 2014 bekannt, dass es neue Sicherheitsnorm für Handy, Router, Fernseher, Radios und mehr geben werde: "Seitdem weiß die Industrie, dass sie für die höheren Sicherheitsanforderung neue Norm entwickeln muss." Die Kommission könne das nur anschieben und den Auftrag an die europäischen Normungsorganisationen geben. Die hätte dann zusammen mit der Industrie diese Normen entwickeln müssen. "Das macht ja nicht der europäische Gesetzgeber", erklärt Hönighaus. Er greife nicht so tief in die technischen Vorgaben, sondern gebe die Ziele vor." Welche Normen es dafür brauche, das müssten die Normungsorganisationen selbst entscheiden. Er räumt jedoch ein: "Leider sind in diesem Fall erst die Hälfte der erforderlichen Normen schon soweit, dass sie veröffentlicht werden konnten."

Der schwarze Peter wird herumgereicht

Wer nun daran schuld ist, dass die Normen zum Stichtag nicht fertig und verabschiedet sind, lässt sich nicht recht klären. Der schwarze Peter wird munter im Kreis von ETSI, Wirtschaft und EU-Kommission herumgereicht. Einzig die lokale Politik bekommt etwas Dank, aber auch Kritik. So lobt beispielsweise Lancom-Geschäftsführer Ralf Koenzen das Verhalten der politischen Stellen in Deutschland: "Bundesnetzagentur, Bundesregierung, auf allen Ebenen auch Bundeswirtschaftsministerin Zypries setzen sich hier wirklich ein. Aus unserer Sicht ein bisschen spät, weil der Zug eigentlich schon vor einem halben Jahr abgefahren ist für uns. Da schon hätten die Weichen gestellt werden müssen."

Wurden sie aber nicht. Die Hersteller hoffen nun darauf, dass die Gültigkeit der alten Radio & Telecommunications Terminal Equipment Directive von 1999 verlängert wird. Denn ein Gerät zu entwickeln und zu zertifizieren, das gelingt selten in wenigen Monaten, niemals in den paar Wochen, die noch bis zum 13. Juni bleiben.

Übergangsfrist wird nicht einfach ausgesetzt

Anfang April teilte die EU-Kommission per Pressemitteilung mit: "Für die noch fehlenden Normen gilt: Wenn die ETSI diese nicht fristgerecht vorlegt, so kann die Kommission übergangsweise die alten Bestimmungen weiter gelten lassen." Das "kann" in der Formulierung irritiert Kira Terstappen-Richter von AVM: "Das klingt erstmal sehr positiv, weil das durchaus eine Lösung wäre, die dem Problem Abhilfe schafft. Das Problem ist, dass in dieser Klarstellung der EU-Kommission drinsteht, dass die EU-Kommission die Geltung der alten Norm weiterführen kann. Das heißt aber nicht, dass es auch sein muss." Dass Terstappen-Richters mit ihrer Zurückhaltung richtig liegt, bestätigt EU-Kommissionssprecher Reinhard Hönighaus. Man wolle keinen Präzedenzfall schaffen: "Wir wollen jetzt nicht einfach ganz allgemein die Übergangsfrist für diese Richtlinie aussetzen und die alte Richtlinie weiter gelten lassen." Denn wenn die Kommission das täte, dann "machen wir die ganze Gesetzgebung mit Rat und Parlament wieder auf," so Hönighaus. Damit würde man Präzedenzfälle schaffen. "Was dann passiert ist, dass dann immer, wenn es am Ende irgendwie eng wird, kommt die Industrie und sagt, ach setzt das Gesetz erstmal noch mal aus für ein, zwei Jahre. Das haben wir dann immer und überall in jeder Gesetzgebung." Es sei im Interesse aller, dass die Normungs­organisationen auch Schritt hielten.

Deswegen wird jetzt noch einmal Druck gemacht. Bis Juni sollen wenigsten etwa drei Viertel der Normen fertig sein oder zumindest soweit sein, dass sie technisch im Amtsblatt veröffentlicht und damit verbindlich werden können. Und der Rest? Reinhard Hönighaus verspricht: "Die ETSI hat zugesichert, dass sie bis maximal zwei Jahre die restlichen erforderlichen Normen liefert."

Update 27. April: Bundestag hat entschieden

Der Bundestag hat für Deutschland eine Regelung verabschiedet, die Klarheit schaffen soll.

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