Richterliche Abwege

Editorial: Vom Ehekrach zum Krieg gegen WhatsApp

Das Familiengericht Bad Hersfeld schießt übers Ziel hinaus - weil andere staatliche Behörden leider total untätig sind. Was müsste passieren, damit WhatsApp sich an deutsches Datenschutz­recht hält?
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Ehekrieg gegen WhatsApp? Ehekrieg gegen WhatsApp?
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In der letzten Woche ist ein Urteil (Aktenzeichen F 111/17 EASO) des Amtsgerichts Bad Hersfeld in so gut wie allen Medien zitiert worden: In einer familien­rechtlichen Streitigkeit um Umgang und Sorgerecht wurde der Mutter aufgetragen, ihrem 11-jährigen Sohn die Nutzung von WhatsApp faktisch zu verbieten. Denn der Mutter wurde auferlegt, von allen Kontakten (bzw. den jeweiligen Eltern), die im Telefonbuch des Kindes gespeichert sind, eine schriftliche Ein­verständnis­erklärung einzuholen, dass deren Nummer(n) im Telefonbuch des Kindes gespeichert werden, und infolge der Nutzung von WhatsApp auch regelmäßig auf Server von WhatsApp übertragen und dort weiter verarbeitet werden dürfen. Nun liegt es in der Natur, dass Kinder ab einem gewissen Alter auch Kontakte unabhängig von den Eltern aufbauen wollen, und entsprechend schwierig bis faktisch unmöglich dürfte es für die Mutter sein, die genannte Erklärung von allen Kontakten ihres Sohnes einzuholen.

Nun ist es nach deutschem Datenschutz­recht tatsächlich unzulässig, dass WhatsApp die Nutzer mehr oder weniger dazu nötigt, WhatsApp den Zugriff auf ihr Telefonbuch zu erlauben, und diese Daten dann an eigene Server zu übertragen. WhatsApp müsste nach deutschem Datenschutz­recht den Nutzern auch eine datensparsame Möglichkeit der Nutzung anbieten, bei der auf den Transfer der Kontaktliste verzichtet wird. Von daher besteht ohne die genannte Erklärung tatsächlich grundsätzlich die Gefahr, von einer Person abgemahnt zu werden, deren Daten wider­rechtlich an WhatsApp übertragen worden sind.

Abmahngefahr marginal

Ehekrieg gegen WhatsApp? Ehekrieg gegen WhatsApp?
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Nur: Der Sohn, der WhatsApp auf seinem Handy installiert, und damit seine Kontaktliste faktisch an WhatsApp übermittelt, führt damit so gut wie sicher keine gewerbliche Daten­verarbeitung durch, und unterliegt somit auch nicht dem Bundesdaten­schutzgesetz. Schon das reduziert die Abmahngefahr drastisch. Zudem können diejenigen Kontakte, die selber aktiv WhatsApp nutzen, kaum eine Abmahnung wegen ihrer eigenen Daten beantragen, schließlich haben sie diese selber an WhatsApp übertragen. Der mögliche Abmahner müsste also im Kontakt zu dem Sohn stehen (sonst ist er von dem illegalen Datentransfer ja gar nicht betroffen) und selber nicht Nutzer von WhatsApp sein und dem Sohn (oder stellvertretend seinen Eltern) eine gewerbliche WhatsApp-Nutzung nachweisen und auch noch entsprechend feindselig gegenüber dem Sohn bzw. seiner Familie sein, dass er für die Durchsetzung seiner Rechte den Weg der Abmahnung wählt, statt zum Beispiel eines persönlichen Konflikt­gesprächs: "Bitte lösche meinen Kontakt aus Deinem Telefonbuch, da Du WhatsApp nutzt und ich nicht möchte, dass meine Rufnummer übertragen wird".

Nun sind familien­gerichtliche Entscheidungen bei Streitigkeiten zu Umgang und elterlicher Sorge immer am Kindeswohl zu orientieren. Klar ist es zum Wohl des Kindes, wenn eine Abmahngefahr eliminiert wird. Andererseits ist die WhatsApp-Abmahngefahr minimal, sie dürfte weit unter eins zu einer Million liegen. Zugleich ist die Gefahr, dass der Sohn unter seinen Klassenkameraden wegen der vom Gericht geforderten merkwürdigen WhatsApp-Zustimmungs­erklärung stigmatisiert wird, extrem hoch, sicher über 50 Prozent. Von daher widerspricht die genannte Entscheidung ganz klar dem Kindeswohl. Sie würde in einer Berufung oder Revision korrigiert werden müssen.

Eigentliches Ziel: Vorbeugen einer Handysucht

Es ist nicht Aufgabe des Familien­gerichts, in einer eh schon schwierigen Situation (Vater und Mutter sind seit zwei Jahren geschieden, und sich uneinig über die "Handy-Erziehung" des gemeinsamen Sohns) die Situation durch quasi unerfüllbare Auflagen noch weiter zu verkomplizieren. Stattdessen hat das Gericht in solchen Konflikten zwischen den beiden Eltern zugunsten des Kindes zu vermitteln und nicht in einem blinden Alleingang das vermeintliche "Recht und Gesetz" durchzusetzen, wie hier zum Nachteil aller Beteiligten.

Im konkreten Fall hatte der Kindsvater das Familien­gericht unter anderem deswegen angerufen, weil er eine beginnende Handysucht bei seinem Sohn bemerkte, gegen die die Mutter seiner Meinung nach nicht entschieden genug vorging. Zudem führte sie zu Erziehungs­konflikten: Der Sohn fand es nämlich doof, dass der Vater ihn wiederholt aufforderte, das Handy auch mal wegzulegen, während ihm die Mutter wohl alles erlaubte. Der Sohn soll sich auch öfters den Wecker für 04:30 Uhr früh gestellt haben, um entsprechend in der Nacht zu chatten.

Die Befragung des Sohns durch das Gericht bestätigte die Sichtweise des Vaters. In der Folge der Mutter aufzuerlegen, ebenfalls die Handy-Nutzung des Sohns stärker zu kontrollieren und ihm geeignete Grenzen zu setzen, ist natürlich völlig richtig und angebracht. Doch reagiert das Gericht in seinen Maßnahmen über. So wird der Mutter auferlegt, dem Sohn nächtens das Handy wegzunehmen und ihm, damit er pünktlich aufwacht, einen analogen Wecker zu geben. Nun gibt es zum Erreichen des Zieles, dass der Sohn nachts nicht mit dem Handy spielt, auch andere Maßnahmen. Dazu gehören insbesondere regelmäßige Gespräche mit dem Sohn inklusive der Kontrolle, dass er die in den Gesprächen getroffenen Vereinbarungen auch einhält, alternativ die Installation von Apps zur elterlichen Kontrolle oder die Nutzung einer SIM-Karte, mit der nur tagsüber mobile Daten­verbindungen möglich sind. Wenn es aber mehrere Möglichkeiten zum Erreichen eines erzieherischen Zieles gibt, liegt es nicht in der Zuständigkeit des Familien­gerichts, genau eine davon vorzugeben. Auch der analoge Wecker verhindert zudem nicht, dass das Kind diesen auf eine andere Zeit als vereinbart stellt, um dann zum Beispiel ein spannendes Buch zu lesen. Ja, Medien­missbrauch gab es auch schon vor Zeiten des Smartphones, das wird von vielen oft vergessen.

Und was ist mit WhatsApp?

Und was ist mit WhatsApp selber? Der eigentliche Stein des Anstoßes für das Bad Hersfelder Urteil ist ja, dass WhatsApp seinen Nutzern nach deutschem Datenschutzrecht unzulässiger­weise die Zustimmung zu einem Datentransfer aufnötigt: "Gebe mir Vollzugriff auf das Telefonbuch!" Wie kann WhatsApp gezwungen werden, seinen Dienst in Deutschland so anzubieten, dass er mit deutschem Datenschutz­recht kompatibel ist? Nun, sicher nicht, indem Familienrichter solche Familien, die sich über die Handynutzung ihrer Kinder streiten, in WhatsApp-Beugehaft nehmen.

Richtig wäre der Weg, WhatsApp selber zu verklagen. Sollte bei einer solchen Klage dann herauskommen, dass WhatsApp in Deutschland illegal ist, besteht natürlich die Gefahr, dass sich WhatsApp um das Urteil nicht kümmert und die App unverändert weiter­vertreibt. Im nächsten Schritt könnte aber Google und Apple auferlegt werden, den Vertrieb von WhatsApp über App Store und Play Store in Deutschland einzustellen. Da beide Konzerne in beträchtlichem Maß Umsatz in Deutschland machen, könnten entsprechende Zwangsgelder bei Nichteinhaltung des WhatsApp-Verbots relativ leicht gegen die beiden genannten Konzerne vollstreckt werden. Spätestens nach dem drohenden App-Store-Rauswurf würde WhatsApp sicher einlenken und eine veränderte, Datenschutz-konforme App für den deutschen Markt anbieten.

Nun gilt der Grundsatz: Wo kein Kläger, da kein Richter. Es ist an den Datenschutz­behörden, allen voran dem Bundes­beauftragten für den Datenschutz, sowie dem Verbraucher­zentrale Bundesverband, eine entsprechende Unterlassungsklage gegen WhatsApp einzureichen. So lange diese das nicht tun, ist es erst recht nicht Aufgabe, von Kindern (!), von ihren Freunden und Freundinnen irgendwelche WhatsApp-Einverständnis­erklärungen einzuholen. Wenn sich schon die staatlichen Organisationen keine Klage gegen WhatsApp trauen, was soll dann der einzelne Bürger tun?

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