Streaming-Flatrate

Editorial: Wird StreamOn zu StreamOff?

Die Telekom macht ausgerechnet Video-Streaming, was jetzt schon die mobilen Netze verstopft, kostenlos. Kann das gut gehen? Werden künftig auch andere Datendienste in Mitleidenschaft gezogen?
Von

Die Telekom bietet mit StreamOn eine neue Funktion für MagentaMobil-Kunden an Die Telekom bietet mit StreamOn eine neue Funktion für MagentaMobil-Kunden an
Bild: teltarif.de
Auf den ersten Blick klingt es nach einem tollen, fast selbstlosen Angebot: Mobilfunkkunden der Deutschen Telekom können in vielen Verträgen künftig die kostenlose Option StreamOn buchen. Mit dieser wird das Streamen von Musik und Videos von bestimmten Plattformen (insbesondere YouTube, Netflix und Amazon Prime Video) kostenlos: Das mit dem Streaming von Audio- und Videoinhalten der StreamOn-Partner verbrauchte Datenvolumen wird nicht auf das Inklusivvolumen des jeweiligen Vertrags angerechnet. Hat man freilich mit der Nutzung anderer Internet-Inhalte das Drossellimit überschritten, wird auch das Streaming von den StreamOn-Partnern gedrosselt.

Die Telekom bietet mit StreamOn eine neue Funktion für MagentaMobil-Kunden an Die Telekom bietet mit StreamOn eine neue Funktion für MagentaMobil-Kunden an
Bild: teltarif.de
Eine Kröte muss der Verbraucher allerdings mit StreamOn schlucken: Der Datentransfer für das kostenlose Streaming von den StreamOn-Partnersites zu dem StreamOn-Kunden wird im Netz erkannt und insbesondere beim StreamOn Music&Video die Datenrate merklich limitiert, so dass die ausgelieferten Inhalte maximal etwa DVD-Qualität erreichen können. In den Verträgen zwischen der Telekom und den Inhalte-Partnern werden letztere zudem verpflichtet, Technologie zur adaptiven Anpassung der Bitrate einzusetzen. Es wird erwartet, "dass sich die Bandbreite der Auslieferung an die verfügbaren Kapazitäten der Datenverbindung [...] anpasst." Sind nur geringe Kapazitäten frei, kann die Qualität des Streams also auch noch unter DVD-Qualität sinken. Wer Videostreaming in bestmöglicher Qualität genießen will, kann zwar StreamOn vorübergehend ausschalten, muss dann aber für den Transfer zahlen.

Zudem stellt sich die Frage, was passiert, wenn alle aktiven Nutzer in einer Mobilfunkzelle zusammen mehr Bandbreite anfordern, als zur Verfügung steht. Werden dann alle Datentransfers in dieser Zelle, also kostenpflichtige normale Datennutzung und kostenfreie StreamOn-Streams, gleichermaßen in der Bitrate beschränkt, so dass am Ende alle Streams (kostenlos wie kostenpflichtig) ruckeln? Oder werden die kostenfreien Streams zuerst eingeschränkt?

Netzneutralität gefährdet

Aus Sicht der Netzneutralität wäre es nicht zulässig, StreamOn-Datenpakete anders zu behandeln als andere Inhalte. Die wirtschaftliche Realität ist jedoch, dass ein hochpreisiger Anbieter wie die Deutsche Telekom es nicht zulassen wird, dass kostenloses Streaming eine Mobilfunkzelle überlastet und in der Folge auch die Datenrate bei den zahlenden Kunden in dieser Zelle massiv einbricht. Im kommenden 5G-Netz wird es zur Verhinderung solcher induzierter Netzüberlast sogenannte "network slices" geben: Das sind logische Teilnetze innerhalb des realen Mobilfunknetzes, die auf bestimmte Eigenschaften optimiert werden können.

Gäbe es 5G und die zugehörigen Network Slices schon, dann würde StreamOn mit Sicherheit in einem solchen Slice implementiert werden, einem eigenen logischen Netz, dem nur ein Teil der Gesamtkapazität der Zelle zugewiesen wird. Dadurch wird dann verhindert, dass StreamOn-Nutzer im StreamOn-Slice die Zelle überlasten und somit auch die Transfers der Nutzer im "generellen Internet"-Slice massiv beeinträchtigt werden. Auch anders herum würde bei Überlastung des generellen Slices zumindest eine bestimmte Mindestkapazität für Streams im StreamOn-Slice verfügbar bleiben.

Ob dieses Network Slicing mit der Netzneutralität vereinbar ist, hängt davon ab, welche Algorithmen zur Aufteilung der Bandbreite verwendet werden. Denn in der Regel erfolgt die Bitratenaufteilung zwischen den Network Slices dynamisch. So lange genügend Bandbreite für alle da ist, bekommt jeder Slice die angeforderte Bitrate vollumfänglich zugeteilt. Wird es hingegen eng, bestimmen die Algorithmen, wie die real verfügbare Bandbreite aufgeteilt wird.

Ein Beispiel: Für StreamOn sind 30 Prozent der Bandbreite einer Zelle garantiert, für andere Internet-Dienste 60 Prozent und weitere 10 Prozent für Sonderdienste. Werden dann konkret in einer Zelle nur 20 Prozent der verfügbaren Bandbreite für andere Internet-Dienst verwendet, kann StreamOn die anderen 80 Prozent voll nutzen. Geht aber der allgemeine Datenbedarf in der Zelle hoch, wird die Bitrate für StreamOn entsprechend reduziert. Sie fällt jedoch nie unter die im Beispiel genannten 30 Prozent der Gesamtkapazität. Je kleiner nun das Minimum für den StreamOn-Slice konfiguriert ist, desto stärker kann StreamOn von der allgemeinen Datennutzung in der Zelle beeinträchtigt werden.

Es handelt sich hier nur um ein Gedankenexperiment. Die Telekom macht in ihren AGB zu StreamOn zwar Angaben darüber, dass Verkehrserkennung eingesetzt wird, aber nicht dazu, ob diese auch zum Network Slicing verwendet wird. Mittelfristig ist aber davon auszugehen, dass bei allen Netzbetreibern Zero-Rating-Dienste wie hier StreamOn jeweils per Network Slicing implementiert werden. Und dann besteht die Gefahr, dass die Mindestbitraten für den kostenlosen Slice zu niedrig eingestellt werden, so dass dieser dann nicht mehr kontinuierlich sinnvoll nutzbar ist.

Dauerhaft nutzbar

Grundsätzlich ist es aus Sicht des Autors wünschenswert, dass StreamOn über einen eigenen Network Slice realisiert wird. Die Alternative wäre, alle Daten gleich zu behandeln, mit der Folge, dass exzessives kostenloses Streaming das mobile Telekom-Netz verstopfen könnte und dann auch für voll zahlende Transfers nicht mehr genügend Datenkapazität zur Verfügung steht. Die Folge davon wiederum ist, dass die Kunden sich nicht zu sehr auf StreamOn verlassen sollten: Die Deutsche Telekom wird nur in geringem Umfang bereit sein, ihr Netz auszubauen, um StreamOn-Kunden jederzeit und überall zufrieden zu stellen. StreamOn-Netzüberlastungen könnten daher künftig deutlich häufiger auftreten als Überlastungen des kostenpflichtigen mobilen Internetzugangs.

Dennoch ist StreamOn ein guter Dienst und meines Erachtens ein großer Schritt in die richtige Richtung, um das mobile Internet aufzuwerten und derzeit oft brachliegende Netzkapazität sinnvoll zu nutzen. Ob StreamOn gut kalkuliert ist, und daher dauerhaft Bestand hat, oder ob StreamOn in absehbarer Zeit ein weiteres Kapitel in der unendlichen Geschichte des "Flatrate-Sterbens" sein wird, werden wir sehen! Zu hoffen ist natürlich, dass der Dienst bleibt!

Weitere Editorials