Zwanghaft

Tippen statt Reden: Angst vor Telefonieren als echte Phobie

Manche können fast alles - nur nicht tele­fonieren. Dabei macht auch hier Übung den Meister, sagen Experten. Und wer andere zum Tele­fonieren vorschickt, handelt alles andere als clever.
Von dpa /

Wegen Phobie: Lieber Tippen statt Telefonieren Wegen Phobie: Lieber Tippen statt Telefonieren
Bild: ViewApart - Fotolia.com
Schnell eine Pizza bestellen oder den Friseur­termin ausma­chen - ein Anruf genügt. Keine große Sache, könnte man meinen. Für manche aber doch. Für Stephanie Cao zum Beispiel. Sie ist jung, hübsch, sprach­gewandt und hat auf YouTube mehr als 3000 Abon­nenten. Die 23-jährige Berliner Studentin hat keine Hemmungen, im Internet ein mehr­minü­tiges Video von sich einzu­stellen. Aber sie hat Angst, einen Arzt­termin tele­fonisch zu verein­baren.

Wie andere auch tippt sie lieber ins Smart­phone oder nimmt lange Wege zur Termin­verein­barung auf sich. Haupt­sache nicht tele­fonieren. Tele­fonphobie nennt man das. Vieles spricht dafür, dass das Phänomen Zukunft hat.

Text: Weg des geringsten Wider­stands

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Tele­fonphobie wird für sich alleine bislang klinisch nicht erfasst. Sie könnte aber durchaus zu einer neuen Ausprä­gung der Sozi­alphobie werden, meint Nadine D. Wolf, auf Phobien spezia­lisierte Ober­ärztin der psych­iatri­schen Klinik am Uni-Klinikum Heidel­berg. Grund ist das verän­derte Kommu­nika­tions­verhalten.

Phil­ippe Wampfler, Medi­enpäd­agoge und Dozent an der Uni Zürich, beschreibt die Verän­derung so: "Früher hatte man drei Möglich­keiten, wenn man sich den Rasen­mäher des Nach­barn ausleihen wollte: tele­fonieren, einen Brief schreiben oder rüber­gehen. Heute schreibt man schnell eine WhatsApp. Das ist der Weg des geringsten Wider­stands."

Nach der JIM-Studie 2018 - JIM steht für Jugend, Infor­mation Medien - tauschen sich 95 Prozent der Jugend­lichen zwischen zwölf und 19 Jahren in Deutsch­land regel­mäßig allein über diese Kommu­nika­tions­platt­form aus - im Schnitt erhalten sie 36 Nach­richten pro Tag. Nur jeder Fünfte nutzte täglich noch das Smart­phone zum Tele­fonieren.

"Herz schlägt bis zum Hals"

"Ich denke, Menschen hatten auch früher Hemmungen, jemanden anzu­rufen", meint Medi­enpäd­agoge Wampfler. "Aber nach der Schul­zeit oder dem Studium und im Job haben sie gelernt, zu tele­fonieren. Einfach, weil sie es mussten. Das geht heute ange­nehmer."

Wenn Tele­fonphobie zunimmt, liegt das nach seiner Meinung an der soge­nannten Affor­danz, dem Ange­bots­charakter der Medien. Das muss nicht zum Problem werden. Aber es kann. Das Internet ist voll von Berichten Betrof­fener, Blogs zum Thema und von guten Tipps gegen die Tele­fonangst.

Stephanie Caos Video, in dem sie beschreibt, warum sie Tele­fonieren hasst, spricht offenbar vielen aus dem Herzen: "OMG - Ich bin so erleich­tert", schreibt eine junge Frau. Sie dachte, sie sei die einzige mit dem Problem. Selbst wenn ihr Freund mit ihr tele­fonieren will, vertröstet sie ihn und sagt, "dass es zurzeit nicht geht".

Und in "GLAMunity", einem Glamour-Forum für Frauen, berichtet eine Frau: "Schon vor der Aufnahme des Tele­fonhö­rers schlägt das Herz bis zum Hals." Die Zeit, die sie über den nötigen Anruf nach­grübelt, dauert fast immer länger als der eigent­liche Anruf. Eine andere, der es nach eigenem Bekunden genauso geht, erle­digt alles per E-Mail oder schiebt es auf ihren Mann ab.

Sozi­alphobie: Angst vor Ableh­nung am Telefon

Auch eine Karls­ruher Studentin, die ansonsten vor großem Publikum problemlos Solos singt, bekennt: "Ich hatte eine Zeit lang so sehr Angst vor dem Tele­fonieren, dass ich eine Freundin über­redet habe, für mich irgendwo anzu­rufen. Mitt­lerweile geht es." Sie ärgert sich, dass sie sich manchmal so in die Angst hinein­stei­gert: "Weil man weiß, dass es total bescheuert ist, dass man einfach nicht anrufen kann."

Für die Heidel­berger Psych­iaterin Wolf gibt es eine Reihe von Gründen, warum jemand Hemmungen vor dem Tele­fonieren hat: "Angst, abge­lehnt zu werden, Angst davor, sich am Telefon pein­lich oder ernied­rigend zu verhalten, oder einfach auch davor, dass man am Telefon ganz im Zentrum der Aufmerk­samkeit steht und mit unbe­kannten Personen spricht."

Sie sieht Tele­fonphobie als eine Art der Sozi­alpho­bien, die gerade bei jungen Menschen verbreitet sind: "Es gibt Hinweise, dass bis zu 17 Prozent der Jugend­lichen zwischen 14 und 20 Jahren darunter leiden." Junge Frauen mehr als Männer. Von Erröten, Zittern, Stot­tern bis hin zur Angst vor Erbre­chen oder Einnässen - die Symptome vor gefürch­teten Situa­tionen können nach Erfah­rung der Medi­zinerin für Betrof­fene gravie­rend sein.

Übung im Tele­fonieren ist verloren gegangen

Das neue Verhal­tens­muster sollte aus Sicht der Medi­zinerin nicht grund­sätz­lich patho­logi­siert werden. Ärzt­lichen Rat sollte man suchen, wenn die Angst so groß ist, dass es den Alltag einschränkt. "Dann sollte man unter thera­peuti­scher Anlei­tung Tele­fonieren wieder neu lernen", sagt sie. Helfen könnten nieder­gelas­sene Psych­iater oder Psycho­thera­peuten - und ergän­zend Selbst­hilfe­gruppen, in denen man sich mit Gleich­gesinnten austau­schen kann.

Tele­fonphobie kommt nach Beob­achtung von Medi­enpäd­agoge Wampfler vor allem im beruf­lichen und admi­nistra­tiven Bereich oder bei Fremden vor. Doch was macht Tele­fonieren so schwer? "Hemmungen und Ängste in Bezug auf Tele­fonieren werden größer, weil die Übung mit dem Umgang der Technik des Tele­fonie­rens verloren geht", vermutet er.

Hinzu kommt nach Angaben von Psych­iaterin Wolf: "Bei der schrift­lichen Kommu­nika­tion sind mehr als 90 Prozent der Kommu­nika­tions­muster wie Mimik, Gestik oder Beto­nung von Aussagen ausge­blendet." Man ist nicht sichtbar - und so weniger angreifbar. Beim Tele­fonat muss dagegen flexibel und spontan reagiert werden. "Das ist eng geknüpft an Sozi­alkom­petenz."

Tele­fonieren üben statt vermeiden

Ihr zufolge ist es zunächst wichtig, dass Betrof­fene den Teufels­kreis durch­brechen, der durch eine stän­dige Vermei­dungs­stra­tegie entstehen kann. Sie empfiehlt, der Angst entge­genzu­treten und das Tele­fonieren bewusst zu üben. "Dazu kann man sich zum Beispiel Stich­wörter notieren oder sich einen einlei­tenden Satz aufschreiben. Und ganz wichtig: Lächeln hilft!"

Wer andere zum Tele­fonieren vorschickt, handelt nach Meinung der Experten nur auf kurze Sicht clever. Und eigent­lich macht Tele­fonieren ja auch den jungen Leuten Spaß: "Man will noch mit der Freundin quat­schen", sagt Wampfler. "Nur tech­nisch läuft das teils anders ab - über Video­tele­fonie oder stun­denlang per Smart­phone mit Kopf­hörer."

YouTuberin Stephanie Cao tele­foniert nach wie vor nur, wenn es unbe­dingt sein muss. Möglichst morgens gleich nach dem Aufstehen. "Da bin ich noch sehr entspannt."

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