Warnung

Ablenkung total: Das Gehirn im digitalen Dauerstress

Lesen, Freunde in Netz­werken kontak­tieren, mit der App navi­gieren - vieles läuft digital. Wie reagiert unser Gehirn auf die neuen Reize? Was verän­dert die Dauer­präsenz von Smart­phones im Kopf des Menschen? Eine Spuren­suche.
Von dpa /

Wenn der Mensch große Infor­mati­onsmengen verar­beiten soll, schaltet sein Gehirn gerne mal auf Abwehr. Fördert die Daten­flut im Internet damit Denk­blockaden? Mit solchen Aspekten digi­taler Medien befasst sich der Braun­schweiger Neuro­biologe Martin Korte. Im Gespräch mit der Deut­schen Presse-Agentur rät der Professor, mehr Wissen im eigenen Gedächtnis abzu­spei­chern, statt sich aufs Internet zu verlassen.

Erleben wir gerade eine Revo­lution des Gehirns, weil viele Menschen massiv Smart­phones und digi­tale Medien nutzen?

Ich sehe keine Revo­lution unseres Gehirns. Das Gehirn ist zwar hoch anpas­sungs­fähig im Laufe unseres Lebens. Menschen können sehr viel lernen. Aber die gene­tische Grund­konsti­tution unseres Gehirns verän­dert sich in Zeit­räumen von Zehn­tausenden von Jahren. Inso­fern erleben wir hier keine Revo­lution. Was ich eher glaube ist, dass wir einen Über­gangs­zustand erleben, in dem wir lernen müssen, mit einer neuen Tech­nologie umzu­gehen. Im Moment sehe ich jedoch Belege dafür, dass wir die digi­talen Medien so einsetzen, dass wir unserem Gehirn keinen Gefallen tun.

Was läuft schief?

Eine Sache ist, dass wir zu viel Wissen ausla­gern und nicht mehr selbst versu­chen, Wissen abzu­spei­chern. Das ist wichtig, um über komplexe Probleme nach­denken zu können und selber auf neue Lösungen zu kommen.

Was meinen Sie genau?

Es gibt Unter­suchungen mit Leuten, die mit dem Internet groß geworden sind, mit soge­nannten Digital Natives. Wenn man denen eine einfache Frage stellt, denken sie gar nicht darüber nach, ob sie die Antwort selbst wüssten, sondern nur über eine Inter­netsuche dazu. Wir können aber nur eine vernünf­tige Such­anfrage starten, wenn wir schon viel wissen. Sonst kriegt man 80 000 Antwort-Treffer in 0,4 Sekunden. Da braucht man andert­halb Lebens­zeiten, um sie zu lesen. Die meisten Nutzer lesen nur die ersten drei Treffer. Sie glauben dann, die rich­tige Antwort zu haben. Doch um die Antwort als gut oder schlecht einschätzen zu können, muss man schon eine Masse Vorwissen besitzen. Dieses Wissen sammelt man aber nicht mehr, wenn man sich aufs Netz verla­gert. Auch Wissen ist eine Kompe­tenz, die man erwerben muss.

Im Internet lassen sich doch viele Infor­mationen finden...

Ja. Aber Infor­mationen haben und Denken können ist ein Unter­schied. Um ein Thema wirk­lich zu durch­dringen, muss man selber im Kopf Dinge abge­spei­chert haben und damit arbeiten. Denn es ist eine immer wieder zu lesende Fehl­einschät­zung, dass unser Gehirn eine Fest­platte habe. Und die bräuchten wir jetzt nicht mehr, weil wir übers Internet ein viel höheres Spei­cher­volumen haben. Das Gehirn hat keine Fest­platte. Sondern wann immer wir auf einem Gebiet viel lernen, ein Experte oder eine Expertin werden, verän­dern sich im Gehirn sehr viele Prozesse. Unsere Wahr­nehmung auf das Thema funk­tioniert anders, unser Denken, unser Handeln. Smartphone-Nutzung bei Kindern Smartphone-Nutzung bei Kindern
Bild: dpa

Und was wandelt sich in der digi­talen Welt noch in den Köpfen?

Das Zweite, was sich im Gehirn verän­dert, ist, dass das Arbeits­gedächtnis kleiner wird: Unser Konzen­trati­onsver­mögen, die Zeit, wie lange wir uns konzen­trieren können, ohne uns abzu­lenken, wird kleiner. Es gibt Unter­suchungen, die zeigen, dass eine Reihe von Nutzern am Computer etwa 40 Sekunden einer Sache nach­gehen, bevor sie sich ablenken lassen. Man kann erwarten, dass das nicht zu einer sinn­vollen Arbeits­produk­tivität führt.

Um wie viel kleiner wird das Arbeits­gedächtnis?

Es gibt eine große Studie, dass wir hier von 15 auf 11 Sekunden abge­fallen sind. Wenn man Probanden bittet, ohne dass sie wissen, worauf es ankommt, sich einen Begriff eine bestimmte Zeit zu merken, dann sieht man: Früher haben sie es 15 Sekunden geschafft. Jetzt schaffen die meisten nur noch elf Sekunden. Da sind wir deut­lich abge­fallen.

Sie sagen: Es gibt Berge von Infor­mationen im Internet, die Menschen schwer bewerten können. Zugleich sind Menschen oft unkon­zentriert und machen viele Sachen gleich­zeitig. Diese Dinge spie­geln sich im Kopf?

Das Gehirn ändert seine Verar­beitungs­wege als Reak­tion auf das, was von außen rein­kommt. Wenn das Gehirn sich über­fordert fühlt von der Infor­mati­onsmenge, die es verar­beiten soll, dann passiert nicht, dass man sich hinsetzt und versucht, diffe­renzierter zu denken. Statt­dessen schaltet das Gehirn in einen Modus, undif­feren­ziert zu denken und die Infor­mationen eher abzu­wehren. Das heißt zum Beispiel für aktu­elle Debatten: Man wird es bei jemandem, der sich über­fordert fühlt, nicht schaffen, diffe­renziert etwa über einen US-Präsi­denten Donald Trump nach­zudenken. Gerade wenn man 100 Fakten vorlegt, wo dieser Poli­tiker gelogen hat, wird das Gehirn mit Vorliebe die riesige Daten­menge so stark redu­zieren, dass es nur noch schwarz-weiß gibt. Zu hohe Komple­xität führt oft zum Auswei­chen ins Verein­fachen.

Und wie sicher ist, dass das mit digi­taler Technik zu tun hat?

Ganz genaue Messungen dazu gibt es nicht, also keine 100-prozen­tige Sicher­heit über Ursache und Wirkung, weil man nur Korre­lationen, also Bezie­hungen, herstellt. Man kann zum Beispiel sagen, dass es seit 2007/08 deut­lich zuge­nommen hat, dass sich mehr Menschen über­fordert fühlen von Infor­mationen. Wir haben auch seitdem verstärkt Diskus­sionen über Schwie­rigkeiten mit sehr verein­fachten Darstel­lungen im Internet bis hin zu Falsch­darstel­lungen, also Fake News. Dieses Datum ist nicht zufällig, weil 2007 das iPhone einge­führt wurde. Kurz danach hatten in den west­lichen Gesell­schaften mehr als 50 Prozent der Leute ein Smart­phone. Seitdem wir das Internet im Telefon bei uns tragen können, ist die Infor­mati­onsmenge, mit der wir uns ständig umgeben, gewachsen.

Aber bewiesen ist die Verbin­dung nicht?

Man muss bei Korre­lationen immer aufpassen. Es gab auch eine große Wirt­schafts­krise und den Banken­zusam­menbruch 2008. Für mich ist das mit dem Smart­phone jedoch eine sehr über­zeugende Korre­lation.

Geht es also mit unseren Gehirnen abwärts?

Ich bin da nicht so pessi­mistisch. Es ist ja nicht die Schuld digi­taler Medien, dass wir uns von Infor­mationen über­lastet fühlen, sondern es geht um unsere Art der Nutzung. Bei jeder Tech­nologie braucht es eine Zeit, um sich an die tech­nischen Gege­benheiten zu gewöhnen.

Zur Person

Martin Korte (54) ist Professor in der Abtei­lung Zellu­läre Neuro­biologie an der TU im nieder­säch­sischen Braun­schweig. Er unter­sucht die zellu­lären Grund­lagen von Lernen, Gedächtnis und Vergessen. Der Hirn­forscher berät Schul­behörden zu Fragen digi­taler Medien.

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