Sicherheit

Stille SMS: Behörden überwachen Zehntausende Handys

Die Jagd auf Kriminelle und Verbrecher wird immer öfter über das Smartphone geführt. Mithilfe von stillen SMS werden Handys geortet und auch die Zahl der Abfrage von Funkzellen in Tatort-Nähe steigt an.
Von dpa / Dominik Haag

Handy-Überwachung Immer öfter geraten Handys von Verdächtigen ins Visier der Sicherheitsbehörden.
dpa
Die deutschen Sicherheitsbehörden nehmen immer öfter Handys von Verdächtigen ins Visier. So verschickte der Verfassungsschutz im ersten Halbjahr 2018 etwas mehr als 103 000 sogenannte stille SMS zur Ortung von Handys - fast doppelt so viele wie vor vier Jahren.

Stille SMS dienen zur Erstellung eines Bewegungsprofils

Handy-Überwachung Immer öfter geraten Handys von Verdächtigen ins Visier der Sicherheitsbehörden.
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Dies geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linken hervor, die dem Handelsblatt vorliegt. Ein Jahr zuvor waren es knapp 29 000 solcher auf dem Telefon nicht direkt sichtbarer Nachrichten, meist zur Erstellung eines Bewegungsprofils.

Das Bundeskriminalamt (BKA) und die Bundespolizei nutzten dem Bericht zufolge zudem mehr Funkzellenabfragen. Dabei wird eine Liste aller Handys angefordert, die in der Nähe eines Tatorts angeschaltet waren. Laut der Regierungsantwort setzte das BKA in der ersten Jahreshälfte insgesamt 20 solcher Abfragen ein, vier Jahre zuvor waren es drei. Die Bundespolizei machte 64 Mal von dem Fahndungsinstrument Gebrauch und damit auch mehr als vor vier Jahren (unter 50).

BKA-Chef Holger Münch sagte dazu der Zeitung: "Es kann nicht sein, dass das Internet ein rechtsfreier Raum ist. Wir müssen Bürger und Unternehmen schützen."

Dafür dürfen die die deutschen Sicherheitsbehörden unter bestimmten Voraussetzungen die Handys von Verdächtigen überwachen. In den meisten Fällen geht es nicht um das Abhören von Gesprächen, sondern um die Ortung der Geräte.

Wie funktioniert die Ortung im Mobilfunknetz?

Moderne Smartphones können mit Hilfe von Satellitennavigationssystemen wie GPS oder GLONASS ihre eigene Position sehr präzise feststellen. Ermittler haben aber in der Regel keinen Zugriff auf diese Daten, sondern orten die Handys im Funknetz. Solange sich ein Mobiltelefon im Standby-Modus befindet, weiß der Provider nur grob, in welcher Gegend (Location Area) sich ein Gerät befindet. Dieser Bereich kann mehrere Quadratkilometer und viele Funkstationen umfassen. Um den Standort genauer bestimmen zu können, senden die Sicherheitsbehörden eine stille SMS an das Handy. Der Empfang der SMS bewirkt eine Rückmeldung des Mobiltelefons bei der Funkzelle. Der Provider sieht damit, in welcher Funkzelle genau das Telefon eingebucht ist und kann diese Information an die Behörden weiterreichen.

Bekommen die Betroffenen die Abfrage mit?

Nein, eine stille SMS wird nicht im Display angezeigt und löst auch kein akustisches Signal aus. Für Android-Smartphones kann man allerdings unter bestimmten technischen Voraussetzungen mit Apps wie SnoopSnitch auch die stillen SMS erkennen. Das Mobiltelefon muss eingeschaltet und mit einer gültigen SIM-Karte im Netz eingebucht sein. Wenn sich ein Mobiltelefon im Flugmodus befindet, kann es auch nicht mit einer SMS angepingt werden.

Kann man mit stillen SMS ein Bewegungsprofil erstellen?

Ja, wenn in kurzen zeitlichen Abständen stille SMS gesendet werden, sieht man relativ genau, wo sich das Handy jeweils befindet. Die Ortung ist zwar nicht so exakt wie bei GPS, reicht aber häufig für die Ermittler aus. Der Verfassungsschutz verschickte nach Angaben der Bundesregierung im ersten Halbjahr 2018 etwas mehr als 103 000 stille SMS zur Ortung von Handys. Beim Bundeskriminalamt wurde das Überwachungs­instrument in diesem Zeitraum fast 31 000 Male verwendet, bei der Bundespolizei knapp 38 000 Male. Die Zahlen beim Zoll und dem Bundes­nachrichten­dienst wurden von der Regierung als geheim eingestuft und nicht veröffentlicht.

Auf welcher rechtlichen Grundlage dürfen stille SMS eingesetzt werden?

Es gibt keine gesetzliche Norm in Deutschland, die nach ihrem Wortlaut den Einsatz von stillen SMS in Ermittlungsverfahren erlaubt. In der Strafprozessordnung sind allerdings im Paragraf 100i die erlaubten technische Ermittlungsmaßnahmen bei der Ermittlung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung festgeschrieben. Dazu gehört auch die Ortung der Handys. Zuletzt hat der Bundesgerichtshof im Februar 2018 bestätigt, dass Ermittler stille SMS einsetzen dürfen. Im konkreten Fall ging es um einen Angeklagten, der wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (PKK) zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde.

Wie sehen Datenschützer den Einsatz der stillen SMS?

Die Maßnahme wird von den meisten Datenschutzbeauftragten nicht grundlegend abgelehnt, die vorherrschende Praxis aber bemängelt. Die Berliner Datenschutzbeauftragte Maja Smoltczyk kritisierte beispielsweise die massenhafte Anwendung. Oftmals fehle die notwendige Dokumentation der Überwachung. Die Behörden seien außerdem den erforderlichen Benachrichtigungs- und Löschungspflichten nur unzureichend nachgekommen. Die erhobenen Daten müssen nach Abschluss der Ermittlungen «unverzüglich» gelöscht werden.

Sind die Ermittler auf den Einsatz von stillen SMS beschränkt?

Nein, sie können unter bestimmten rechtlichen Voraussetzungen auch feststellen lassen, welche Mobilfunkgeräte zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Funkzelle eingebucht waren. Dieses Instrument wird aber nur vergleichsweise selten verwendet, weil bei jedem Einsatz unter Umständen sehr viele Bürger betroffen sind. Für sehr zielgerichtete Einsätze stehen den Ermittlern auch sogenannte Staatstrojaner zur Verfügung, mit denen Geräte umfassend belauscht werden können.

Sind die Staatstrojaner überhaupt einsatzbereit?

Nach einer langen Pannenserie bei der Entwicklung der Überwachungssoftware stehen den Ermittlern inzwischen drei Varianten eines Staatstrojaners zur Verfügung. Neben einer Software für PCs (RCIS 1.0 Desktop) hat das BKA demnach auch eine Variante für Smartphones und Tablet Computer (RCIS 2.0 Mobile) entwickelt. Darüber hinaus dürfe das BKA auch die Software FinFisher/FinSpy einsetzen, teilte die Bundesregierung in Antworten auf Parlamentarische Anfragen mit. Das BKA hat demnach fast sechs Millionen Euro ausgegeben, um umstrittene Programme für eine Online-Durchsuchung entwickeln zu lassen, die jetzt einsatzbereit sind. Eingesetzt wurden die neu entwickelten Überwachungsprogramme aber offenbar bislang noch nie.

In einer weiteren Meldung berichten wir, wie Handys und Smartphones durch die Bundesbehörden überwacht werden können und wie stille SMS genau funktionieren.

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