Rechtfertigt die Corona-Krise steigende Rundfunkbeiträge?
Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Foto: Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Am 20. Februar 2020 empfahl die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) für die Jahre 2021 bis 2024 den monatlichen Rundfunkbeitrag privater Haushalte um 86 Cent auf 18,36 Euro anzuheben.
Der nachfolgende Artikel entwickelt ausgehend von den Stärken der Anstalten in der aktuellen Corona-Viruskrise einen Vorschlag, wie spätestens ab 2025 die steuerähnlichen Zahlungen zur Finanzierung öffentlich-rechtlicher Sender durch einen rundfunkpolitischen Strategiewechsel gesenkt werden können.
Hohes Interesse an Nachrichten- und Informationssendungen öffentlich-rechtlicher Sender
Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
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In Zeiten des Entsetzens über die menschlichen und ökonomischen Folgen der weltweiten Ausbreitung des neuen Coronavirus (COVID-19) ist in Politik und Medien die Kritik an der Angemessenheit der ab 2021 ins Auge gefassten Erhöhung der als „Beitrag“ titulierten, aber tatsächlich einer Steuer entsprechenden Abgabe privater Haushalte zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen (ÖR) Rundfunksystems weitgehend verstummt. Im Gegenteil mehren sich Stimmen, dass die Pandemie die Notwendigkeit eines starken öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems eindrucksvoll belegen würde und daher Opposition gegen die von der KEF empfohlene Anhebung um 86 Cent pro Monat geradezu kleinkariert sei.
Diese Sicht untermauern rekordverdächtig hohe Zuschauerzahlen von Nachrichten- sowie einschlägigen Informationssendungen der ARD-Sender und des ZDF. So verfolgten die 20-Uhr-Tagesschau am 21. März 9,9 Millionen Personen, was einem Zuschauermarktanteil von 27 Prozent entspricht. 6,5 Millionen Menschen sahen am 12. März um 20.15 Uhr das “ARD extra: Corona – droht Stillstand in Deutschland?” im Ersten (Marktanteil 20,5 Prozent).
Das „ZDF spezial“ zur Pandemie erreichte am selben Tag um 19.20 Uhr 4,6 Millionen Bürger (Marktanteil 17,1 Prozent). ÖR Sender stellen wertvolle Podcasts zum Virus ins Netz, etwa der NDR mit dem Experten Christian Drosten.
Sie sind im Begriff ihre Kinder- und Bildungsprogramme auszubauen, um negativen Folgen der Schließung von Kindertagesstätten und Schulen entgegen zu wirken. Sie übertragen vermehrt Kulturveranstaltungen, die ohne Publikum stattfinden, um soziale Isolation und Langeweile bei in ihrer Wohnung ungewollt eingesperrten Zuschauern zu verringern.
Wie soll es langfristig mit dem Rundfunkbeitrag weiter gehen?
In der aktuellen Ausnahmesituation mag es auf Viele ketzerisch wirken, über die langfristige Legitimität ÖR Medien und die Entwicklung der Rundfunkbeitragshöhe nachzudenken. Tatsächlich sind solche Überlegungen jedoch eher ein Zeichen des Optimismus, dass die Gesellschaft COVID-19 so rasch in den Griff bekommen wird, dass wir nach dem Ende der Epidemie wieder in einen Alltag zurückkehren können, der jenem der Vor-Corona-Zeit ähnelt.
Krisenlektion
Welche Lektion lässt sich aus der Rolle der elektronischen Massenmedien in der derzeitigen Krisenlage ableiten? Corona macht eindrucksvoll deutlich, dass die Kernkompetenz des ÖR Systems in der Bereitstellung von Nachrichten, Information, Kultur und Bildung liegt. Auf diesen Feldern heben sich die ÖR Sender derzeit positiv von Angeboten der privaten Konkurrenz ab.
Hingegen stiften die Rundfunkanstalten mit langweiligen Krimis, Quizshows und Soaps, also belangloser Unterhaltung, auch in der Krise kaum zusätzlichen Nutzen für die Gesellschaft. Das Gleiche gilt für Sportsendungen, für die teuer Rechte eingekauft wurden, die nun aufgrund des Kollabierens der kommerziellen Sportwirtschaft wertlos geworden sind.
Die CoronaPandemie stützt damit eindrucksvoll diejenigen, die seit langem für eine Beschränkung der ÖR Anstalten auf ihren „Kernauftrag“, die Vermittlung von Nachrichten, Information, Kultur und Bildung, werben.
Getrennte Finanzierung von Kern und Zusatzangeboten
Folglich sollte die KEF für die Beitragsperiode ab 2025 nur noch Aufwendungen für ein unverschlüsselt ausgestrahltes ÖR-Angebot auf den genannten Feldern unter Nutzung der herkömmlichen Rundfunkverbreitungswege Satellit, Kabel und Terrestrik sowie Internet berücksichtigen. Dies würde zu einer deutlichen Absenkung des Rundfunkbeitrags führen.
Um die Existenz großer Teile der ÖR Rundfunkanstalten mit einem Personalbestand mehr als 25 000 Mitarbeitern nicht schlagartig zu gefährden und damit die Wahrscheinlichkeit der Unterstützung einer Neugestaltung des Rundfunkbeitrags nach Corona in der Politik positiv zu beeinflussen, sollte es den Sendern allerdings gestattet werden, Zusatzangebote jenseits ihres Kernauftrags zu vermarkten. Sie werden aber nicht durch den Rundfunkbeitrag, sondern durch von den Privathaushalten freiwillig gezahlte Abonnemententgelte, Werbung oder Sponsoring finanziert.
Welche Finanzierungsquellen die ARD-Sender und das ZDF mit welchem Gewicht anstreben, wie umfangreich das Unterhaltungs- und Sportsendungsangebot ausfällt, und wie es organisiert wird (z.B. getrennt für einzelne Bundesländer oder deutschlandweit), obliegt dann allein der unternehmerischen Dispositionsfreiheit des Managements der Rundfunkanstalten. Entscheidungen über die Zuordnung von konkreten ÖR Sendeformaten zum gebührenfinanzierten Basis- oder zum anderweitig finanzierten Ergänzungsangebot könnten nach Diskussionen mit dem Management der Anstalten in Gremien fallen, deren Mitglieder von den Rundfunkräten der ARD-Sender bzw. dem Fernsehrat des ZDF bestimmt werden. Decoder für verschlüsselt ausgestrahlte Sendungen könnten vom „Beitragsservice“ der ÖR Sender an Haushalte verschickt werden, die „ÖR Plus“ Sendungspakete abonnieren oder einzelne Sendungen sehen möchten.
Somit würden die Anstalten ohne das Polster des Rundfunkbeitrags bei Unterhaltungs- und Sportsendungen in Konkurrenz zu privaten Sendern stehen. Der Wettbewerbsdruck schafft Anreize für die ÖR Sender, die Produktion der Zusatzangebote möglichst effizient ohne nicht marktgerechte Dopplungen auf der Ebene der Bundesländer so zu organisieren und Formate so zu gestalten, dass sie private Haushalte zum Abonnementabschluss oder die Wirtschaft zum Buchen von Werbeausstrahlungen motivieren.
Der Erfolg von Netflix in Deutschland ist ein Indiz dafür, dass die Zuschauer keineswegs nur anspruchslose Inhalte goutieren, sondern durchaus bereit sein werden, für „Qualitätsinhalte“ zu bezahlen.
Direkte Subvention einkommensschwacher Haushalte
Gegen das umrissene „duale Modell“ für Angebote ÖR Anstalten lässt sich einwenden, dass eine Bezahlschranke für Unterhaltungs- und Sportsendungen einkommensschwache Haushalte von deren Konsum ausschließt.
Gerade in der Gruppe der Zuschauer, die heute die ÖR Sender intensiv nutzen (Personen über 50 Jahre), verfügen viele nur über ein niedriges Einkommen. Hier steht es der Politik jedoch frei, aus Steuermitteln einkommensschwachen Haushalten die gezahlten Entgelte der „ÖR Plus“ Sendungspakete, die Zuschauer abonniert haben, auf Antrag zu erstatten.
Perspektiven
Die Corona-Pandemie und vor allem die mit ihr einhergehende Unsicherheit, wie lange es bis zu ihrer Beherrschung dauern wird und welche Folgen sie haben wird, belasten die Bürger Deutschlands in diesen Tagen psychisch und gesundheitlich sehr. Es ist zu hoffen, dass der Ausnahmezustand bald überwunden sein wird.
In Deutschland sollten dann die hochwertigen Sendungen ÖR Anstalten zum Virus einen wichtigen Anstoß zur Reform ihrer strategischen Ausrichtung sowie einer daraus resultierenden Senkung des Rundfunkbeitrags ab 2025 geben, der ebenso unerwartet wie die Pandemie unsere Gesellschaft auch rundfunkpolitisch signifikant verändern könnte.
Zur Person
Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott leitet den Lehrstuhl für Unternehmens- und Technologieplanung an der Mercator School of Management Duisburg der Universität Duisburg-Essen.