Unsichtbar

Editorial: Ab in die terrestrische Nische

Die privaten Fernsehsender verlieren seit Jahren Marktanteile. Künftig wollen sie für ihren terrestrischen Empfang per DVB-T2 Geld verlangen. Ist das die richtige Strategie?
Von

Arbeiten die Privatsender an ihrer eigenen Abschaffung Arbeiten die Privatsender an ihrer eigenen Abschaffung?
Bild: dpa
Die Vorbereitungen für die zweite Generation des digitalen terrestrischen Antennenfernsehens, DVB-T2 laufen auf Hochtouren. Ab Juni sollen, pünktlich zur Fußball-EM, erste Programme über Antenne in Full-HD empfangbar sein. Doch eine Ankündigung trübt die Vorfreude: RTL, Pro7, Sat.1, Vox und Co. werden dank Grundverschlüsselung nur mit Dekoder-Karte zu empfangen sein. In einer Anfangszeit werden diese Karten zwar noch kostenlos vertrieben werden. Im Laufe des Jahres 2017 wird aber auf ein Abomodell mit einer monatlichen Grundgebühr umgestellt werden.

Selbst, wenn das "Free"-TV-Abo nur einige Euro im Monat kostet: "Free" ist es dann nicht mehr. Das hat zwei Konsequenzen: Zum einen werden die öffentlich-rechtlichen der privaten Konkurrenz (hoffentlich) verbieten lassen, mit der Vokabel "free" für sich zu werben, genauso, wie man für einen Drosseltarif nicht mit der Vokabel "unbegrenzt" oder "unlimitiert" werben darf (das hatten wir erst letzte Woche). Zum anderen treiben die Privatsender mit der Maßnahme die Nutzer direkt in die Hände der Konkurrenz, insbesondere der Internet-Streaming-Dienste. Sind RTL & Co. wirklich so kurzsichtig?

Man muss bei der Einschätzung von DVB-T bedenken, dass dieses vor allem für Zweit- und Drittgeräte der Empfangsweg der Wahl ist. Der Hauptfernseher im Wohnzimmer ist meist an eine Satellitenanlage oder ans Kabelfernsehen angeschlossen. Beide lassen sich aber nicht ohne weiteres mit weiteren Fernsehern verbinden. Ein 20-Zoll-Fernseher für Küche oder Schlafzimmer kostet nur knapp über 100 Euro. Bei Abverkaufsaktionen sind sie auch immer wieder als Schnäppchen für 99 Euro zu haben.

Dank DVB-T ist die Installation solcher Zusatzgeräte denkbar einfach: Stecker in die Steckdose, den Magnetfuß der DVB-T-Antenne sich auf einen Metallgegenstand festsaugen lassen, Sendersuchlauf, fertig. Künftig wird der Käufer solcher Kleingeräte hingegen noch einen Kartenantrag ausfüllen, die Smartcard per Post erhalten, in das Gerät einlegen und dann Monat für Monat bezahlen. Selbst, wenn die "Privaten" am Ende nur 4,99 Euro im Monat kosten sollen: Im Lauf von zwei Jahren kommt da mehr Geld zusammen, als der Fernseher selber gekostet hat!

Bei den kostenpflichtigen Internet-Streamingdiensten lassen sich hingegen meist eine handvoll Geräte ohne Zusatzkosten anmelden: Der große Smart-TV im Wohnzimmer, ein Zweitgerät in der Küche mit TV-Stick, Laptop, Desktop-PC, Tablet und Smartphone können alle auf denselben User-Account bei Netflix laufen. Zwar ist die Zahl der gleichzeitigen Streams auf zwei limitiert, aber mehr als einem Programm auf einmal kann man als Einzelperson eigentlich eh nicht richtig folgen. Und kostenloses Streaming von YouTube kennt sowieso nur die Bandbreite des eigenen Internetanschlusses als Limit.

Schwierige Marktsituation für die Privaten

Arbeiten die Privatsender an ihrer eigenen Abschaffung Arbeiten die Privatsender an ihrer eigenen Abschaffung?
Bild: dpa
Die privaten "Free"-TV-Sender befinden sich in Deutschland zudem in einer schwierigen Marktsituation: An der Haushaltsabgabe für die öffentlich-rechtlichen Sender wird sich mangels Impulsen aus der Politik so schnell nichts ändern. Die öffentlich-rechtlichen können somit dank gesicherter Einnahmen weiterhin ein aufwändiges Programm für die Generation 50+ produzieren. Die jüngeren Zuschauer sind hingegen zu einem immer größeren Anteil auf YouTube & Co. unterwegs. In der Mitte dazwischen ist immer weniger Platz für die Privatsender. Entsprechend ist der Marktanteil aller großen "Free"-TV-Sender in Deutschland in den letzten Jahren konstant rückläufig.

In dieser Situation ist es zwar in gewisser Hinsicht verständlich, dass RTL & Co. versuchen, neue Erlöswege zu erschließen, und insbesondere die vergleichsweise teure terrestrische Ausstrahlung nicht kostenlos durchführen wollen. Doch aus wirtschaftlicher Sicht ist dieser Schritt wenig verständlich, gefährdet er doch die Marktanteile der Sender. Denn jeder Fernseher, für den im Zuge der anstehenden DVB-T2-Umstellung kein DVB-T2-Receiver, sondern ein Streaming-TV-Stick wie Fire TV angeschafft wird, ist für die privaten Sender ein verlorener Fernseher. Zwar lassen sich auf den Smart-TV-Sticks auch die Mediatheken von RTL, Sat.1 & Co. einrichten. Nur findet der Zuschauer beim Durchzappen auf dem Smart-TV-Stick dank YouTube & Co. viel mehr mögliche Inhalte als beim Durchzappen bei einem DVB-T2-Receiver.

Entsprechend wird der Marktanteil der Privatsender künftig noch schneller sinken, wenn sie nicht in den Kanal DVB-T2 investieren und ihr Programm dort unverschlüsselt und kostenfrei ausstrahlen. Denkbar wäre zwar auch, dass die Privatsender nach der bereits 2017 beginnenden DVB-T-Abschaltung ihr Programm doppelt via DVB-T2 ausstrahlen: free-to-air in SD und verschlüsselt in HD. Doch genau dieses scheint bisher nicht geplant zu sein.

Die Medieneinheit schwindet

Nun wird es die Kritiker des Privat-TV sicher nicht stören, dass die als "Verdummungs-TV" gescholtenen Sender an ihrer eigenen beschleunigten Abschaffung arbeiten. Andererseits sollte man sich auch anschauen, was als Alternative bei YouTube & Co. nachkommt. Denn dort ist auch nicht alles Gold, was glänzt bzw. klickt. Den Mainstream-Medien wirft man zu Recht vor, zu oft Meldungen und Meinungen ungeprüft voneinander zu übernehmen, statt unabhängige Originalquellen zu recherchieren, und so zu einem journalistischen Einheitsbrei zu verkommen.

Anders herum auf Youtube: Quellen gibt es en masse, aber die journalistische Aufarbeitung, die die Quellen auch einordnet und bewertet, lässt oft zu wünschen übrig. So findet man zu jedem Thema sofort dutzende, wenn nicht gar hunderte oder tausende unterschiedliche Bewertungen. Aber in der Regel kann nur eine davon richtig sein. Beispiel: In der vergangenen Woche wurde der Nachweis von Gravitationswellen als wissenschaftliche Entdeckung des Jahres gefeiert. In den Mainstream-Medien gab es keine Kritik dazu. Auf YouTube finden sich hingegen sofort zahlreiche alternative Behauptungen:

  • Man habe nur einen Effekt des "electric universe" gemessen,
  • Es gebe keine Gravitationswellen, weil es auch keine Gravitation gebe, und die Erde überhaupt flach sei, oder
  • Gravitationswellen können Erdbeben und andere Katastrophen auslösen.

Auffällig ist, dass diese Kritiken gleich alles in Frage stellen, nicht nur das Experiment an sich, sondern auch noch gleich einen guten Teil der modernen Physik, die eigentlich als bestätigt gilt. Wer nicht glaubt, dass die Erde rund ist, der kann ja gerne einen der Menschen fragen, die schonmal zur ISS geflogen sind. Oder sind nicht nur die LIGO-Messungen fake, sondern auch die gesamte Weltraumfahrt?

Andererseits gibt es auch Preziosen auf YouTube, die wirklich über das hinausgehen, was die Mainstream-Medien zu Gravitationswellen zu vermelden hatten. Hier zum Beispiel von PBS Digital Studios:

Statt einlullendem Einheitsbrei der Einheitsmedien bietet YouTube also Kakophonie, aus der sich die Nutzer die besten Kanäle selber suchen müssen. Beides ist nicht optimal.

Weitere Editorials