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Retro-Test Nokia 6210: Das fast perfekte Handy

Das Nokia 6210 war deswegen so beliebt, weil es viele Audioprofile hatte und ein beinahe perfektes Autotelefon war. Altertümlich war aus heutiger Sicht aber das mobile Internet per HSCSD und WAP - zwei vergessenen Techniken. Wir haben das Handy erneut angeschaut und in Betrieb genommen.
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Das vollgrafische Monochrom-Display hat eine Auflösung von 96 mal 60 Pixel. Angezeigt werden können maximal sechs Textzeilen. Über das Menü ist es möglich, Kurzmitteilungen zu senden und zu empfangen. Außerdem gibt es die üblichen Anruflisten und Möglichkeiten der Rufumleitung sowie die Audio-Profile Lautlos, Sitzung, Draußen, Pager, Kopfhörer und Allgemein. Zusätzlich zu finden sind ein Taschenrechner, Spiele wie das legendäre "Snake", ein Kalender, ein Wecker und die Option, die Infrarot-Schnittstelle zu aktivieren.

Datenblätter

Audio-Profile das Handys Audio-Profile das Handys
Bild: teltarif.de / Alexander Kuch
Was also war es, was diese Handy-Familie insbesondere bei Geschäftskunden so beliebt machte, außer den bereits erwähnten Audio-Profilen? Das Telefonbuch kann 500 Namen mit bis zu jeweils drei Nummern und einem Textkommentar speichern. Wer nicht so viele Einträge benötigte, konnte einem Eintrag auch bis zu fünf Nummern und zwei Textergänzungen zuweisen. 220 Kalendereinträge konnte das Telefon aufnehmen. Im Bereich der Kurzmitteilungen speicherte das Telefon 150 Textmitteilungen sowie 50 Picture Messages. Insbesondere Autofahrer schätzten die Möglichkeit der Sprachanwahl - hierfür konnten 10 Telefonnummern hinterlegt werden.

In netztechnischer Hinsicht ist das Nokia 6210 ein Dualband-Handy, das in den Bereichen EGSM 900 und GSM 1800 funkt, auf Reisen in die USA war es also damals noch nicht zu gebrauchen, USA-Reisende mussten auf das Nokia 6310i ausweichen, das die Frequenz um 1900 MHz unterstützte.

Aktivierung der Infrarot-Schnittstelle im Menü Aktivierung der Infrarot-Schnittstelle im Menü
Bild: teltarif.de / Alexander Kuch
Die Texteingabe beim Schreiben von SMS ging beim Nokia 6210 flink vonstatten, weil die Telefontasten einen guten Druckpunkt hatten und T9 mit deutschem Wörterbuch unterstützt wurde. So konnte das Handy einen Großteil der wichtigsten Wörter erraten.

Das Nokia 6210 unterstützt im GSM-Netz die Sprachcodecs Full Rate (FR), Half Rate (HR) und Enhanced Full Rate (EFR), wobei über EFR bei einer Unterstützung durch den Netzbetreiber im Idealfall quasi eine Sprachqualität mit ISDN-Qualität erreicht werden konnte. In unserem Retro-Test haben wir wieder mit dem Nokia 6210 im Vodafone-Netz telefoniert - und für GSM-Verhältnisse hat das Handy nach wie vor eine sehr gute Sprachqualität. Erst mit UMTS wurden später noch bessere Codecs eingeführt.

Der Akku hat eine Kapazität von 1050 mAh und erlaubte seinerzeit eine Gesprächszeit von bis zu 270 Minuten sowie eine Standby-Zeit von 260 Stunden, also gut 10 Tagen. Davon können Smartphone-Besitzer nur träumen - nach 15 Jahren ist der Akku unseres Handys dazu aber nicht mehr in der Lage. Originale Bedienungsanleitung Originale Bedienungsanleitung
Bild: teltarif.de / Alexander Kuch

Rudimentäres "Surfen" im Internet per HSCSD und WAP

Das Nokia 6210 war auch wegen seiner Konnektivität bei Geschäfts- und Privatkunden beliebt. Die Nahfunktechnik IrDA für den Datenaustausch mit Laptop, PC und anderen kompatiblen Handys haben wir bereits erwähnt. Ins Internet gehen konnte das Handy über den Standard HSCSD (High Speed Circuit Switched Data), den in Deutschland nur Mannesmann/Vodafone und E-Plus unterstützten. Hierbei wurden die GSM-Datenkanäle mit jeweils 9,6 kBit/s gebündelt, sodass mit HSCSD im Idealfall bis zu 57,6 kBits/s möglich waren.

Dienste: Der Internet-Zugang des Handys Dienste: Der Internet-Zugang des Handys
Bild: teltarif.de / Alexander Kuch
Wichtig zu wissen ist, dass HSCSD ein leitungsvermittelter Dienst war, kein paketvermittelter wie GPRS, EDGE und alle nachfolgenden Technologien. Die Abrechnung erfolgte also nicht per Datenmenge, sondern zeitbasiert. Und die Netzbetreiber, die Investitionen in ihre Netze finanzieren mussten, nutzten dies, um hohe Beträge zu kassieren. Das teltarif.de-Tarifarchiv beherbergt Tarife aus dieser Zeit wie den Vodafone Fun oder den Vodafone Sun, bei denen Surfen per HSCSD 19 Cent pro Minute kostete, was sich auf 11,40 Euro pro Stunde summiert. Drücken ließ sich der Preis dadurch, dass man eine BestCitySpecial-Option bei Vodafone buchte und eine lokale Einwahlnummer nutzte.

In netztechnischer Hinsicht hat HSCSD damals bei uns gut funktioniert, auch wenn wir es wegen der hohen Preise nicht regelmäßig genutzt haben. Sorgen bereitete uns eher die Datenverbindung zwischen Computer und Handy. Zum Einen gab es das Original-Datenkabel von Nokia nur mit seriellem COM-Port, nicht mit USB. Vor dem Anschließen mussten also zuerst die Modemtreiber installiert werden, nach dem Anschließen musste der PC neu gestartet werden, doch auch dann erkannte der PC das Handy nicht immer. Stand die Datenverbindung, durfte das Handy auf dem Tisch am besten nicht mehr bewegt werden, um die waklige Docking-Verbindung auf der Handy-Seite nicht zu unterbrechen. Wenn dann alles lief, tickte nicht nur beim Provider, sondern auch im Kopf des Nutzers stets der Gebührenzähler mit und reguläre Webseiten wurden mit durchschnittlich 28,8 bis 33,6 kBit/s auch nicht gerade rasend schnell geladen. Im Übrigen brach die Datenverbindung oft ab, wenn ein Anruf hereinkam. Für E-Mail und Messaging per ICQ war es aber okay. In heutigen mobilen Datenflats sind zeitbasierte Verbindungen übrigens nicht enthalten und werden separat abgerechnet. Auch der Faxversand war über das Handy-Modem des Nokia 6210 möglich.

Serielles Datenkabel und Nokia PC Suite Serielles Datenkabel und Nokia PC Suite
Bild: teltarif.de / Alexander Kuch
Und was konnte man auf dem Handy selbst mit dem Internet machen? Das Nokia 6210 unterstützte WAP 1.1. Dieser Standard hat sich aber kaum durchgesetzt, erstens weil die Preise für HSCSD und GPRS damals so hoch waren und weil die WML-Seiten auf Monochrom-Displays wie beim Nokia 6210 nicht gut aussahen und praktisch nur Textinformationen beinhalteten. Nokia hat sich im Handy-Menü auch nicht getraut, das als "Internet" zu verkaufen, der Menü-Eintrag mit der rotierenden Weltkugel heißt "Dienste". Erst ab WAP 2.0, das auf HTML basierte, und vor allem seit der Einführung von Farbdisplays bei Handys machte das "Surfen" mit dem Handy etwas mehr Spaß, wobei der Fokus auf Textinformationen erhalten blieb, bis sich UMTS und HTML-Browser auf Handys durchsetzten.

Das Nokia 6210 dürfte also im Internet in den allermeisten Fällen als Datenmodem für ein Laptop gedient haben. Testen konnten wir das mit dem Nokia 6210 im Rahmen unseres Retro-Test allerdings nicht mehr, weil uns kein PC mit serieller Schnittstelle zur Verfügung stand. Bastler haben später noch eine USB-Variante des Datenkabels entwickelt, aber der Wackelkontakt am Dockinganschluss des Handys blieb.

Fazit: Das fast perfekte Handy

Insbesondere Geschäftskunden freuten sich über die vielfältigen Telefonie- und SMS-Funktionen des Nokia 6210 sowie über dessen lange Akkulaufzeit. Das umfangreiche Telefonbuch, der Kalender und die flexiblen Audio-Profile hatten zur Folge, dass viele Geschäftskunden das Handy nicht mehr hergeben wollten und ängstlich Ersatzteile oder Zweitexemplare horteten.

Das schlanke Design mit der versteckten Antenne setzte Maßstäbe und die einfache Integration der 6000er-Reihe ins Auto samt Sprachanwahl war legendär. Später nicht durchgesetzt hat sich das Surfen per leitungsvermitteltem HSCSD und WAP, heutzutage dominieren paketbasierte Abrechnungsmodelle, Flatrates und HTML-Seiten. Trotzdem waren diese Techniken für einige Nutzer der Einstieg ins mobile Internet, dazu wurde das Handy meist an einem Laptop als Modem betrieben.

Weitere Infos zum WAP-Standard erhalten Sie auf unserer Ratgeberseite zu WAP.

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