Schulz und Böhmermann wechseln zu Spotify
Pressefoto von ZDFneo
Eine Meldung sorgt für Aufruhr in der Hörfunk- und Medienszene: Die Moderatoren Olli Schulz und Jan Böhmermann
beenden ihre beliebte Personality-Radiosendung "Sanft & Sorgfältig" bei der ARD. Der federführende
Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) reagierte völlig überrascht
auf die Kündigung des prominenten Duos. Die Sendung war eine der wenigen Syndication-Shows im ARD-Radio: Sie lief
neben der rbb-Welle Radioeins bei den ARD-Jugendwellen N-Joy (NDR), You FM (Hessischer Rundfunk), Puls
(Bayerischer Rundfunk) und Bremen Vier (Radio Bremen).
Schulz und Böhmermann so oft und wann immer man will
Schulz und Böhmermann wechseln zu Spotify
Pressefoto von ZDFneo
Schulz und Böhmermann werden ihre Show wohl weiterführen, allerdings nicht mehr im Radio: Laut Informationen mehrerer
Branchendienste soll "Sanft & Sorgfältig" von Mitte Mai an exklusiv Nutzern des Streamingdienstes
Spotify zur Verfügung stehen. Jeder User des Streamers hat dann die Möglichkeit, die aktuelle
Ausgabe der Show in seine Playlist einzubinden – wann immer und so oft er will.
Die Nachricht erreichte die Redaktionen just zu einer Zeit, in der Medienpolitiker und Hörfunkveranstalter
über die Zukunft des Radios streiten. Sie stellt aber nun eine andere Frage: Brauchen wir
den klassischen Hörfunk überhaupt noch? Die Entwicklung war schon länger abzusehen: Bereits seit vergangenem Jahr stellt
Spotify neben Musik auch Wort-Inhalte aus den Bereichen Unterhaltung, Nachrichten und Kultur bereit und hat dazu globale
Partnerschaften unter anderem mit Vice Media, der BBC oder Vogue geschlossen. In Deutschland gibt es
Partnerschaften mit dem Deutschlandradio, Mediakraft Networks und dem Bayerischen Rundfunk. Weitere nationale
und internationale Partner folgen in Kürze.
Experten sehen darin den Anfang vom Ende des klassischen Radios: In Zukunft könnten sich Millionen Radiohörer ihr
eigenes À-la-Carte-Programm online zusammenstellen: Die "besten Hits von heute" haben dann ausgedient, es läuft
ein individualisiertes und auf den eigenen Musikgeschmack zugeschnittenes Programm, das garniert werden kann mit
Weltnachrichten, Sportmeldungen, Comedy und einzelnen Personality-Shows. Das bekannte Morning Show-Duo sorgt
dann weiter für beste Unterhaltung, aber nicht länger eingebettet in die "best getesteten" Hits von Rihanna und Coldplay,
sondern in die eigene Musik-Playlist. In den Funkhäusern könnte demzufolge ein Wandel eintreten: Radiostationen senden
dann vielleicht gar kein Live-Programm mehr, sondern produzieren vornehmlich non-linearen Audio-Content, den sich
Streaming-Nutzer in ihre Playlists einbinden können.
Schlecht ausgebaute Netze und Datendrossel als Spielverderber
Zunächst muss das Moderatoren-Duo Böhmermann und Schulz aber hinter einer Paywall beweisen, was der Hype um ihre Show
tatsächlich wert ist. Ist der Fankreis wirklich stark genug, um hier die nötige Zugkraft zu entwickeln? Nicht unterschätzen
darf man auch die heutigen noch begrenzten technischen Möglichkeiten des Streamings und vor allem die Kosten. Aufgrund
vielerorts noch zu schlecht ausgebauter Netze ist vor allem beim Mobilempfang störungsfreies Streaming bislang oft
nur in Städten oder entlang wichtiger Verkehrsrouten möglich. Eine Verbindung mit EDGE und erst recht GPRS reicht
zur störungsfreien Übertragung nicht aus. Hinzu kommt die Drosselung des Highspeed-Volumens als größter Spielverderber.
Wie berichtet schränkt auch die Telekom ab Ende dieses Monats die Nutzung von Spotify ein,
sobald das enthaltene Datenvolumen aufgebraucht ist und die Daten-Drossel greift. Lediglich das Hören von Offline-Playlists
oder -Alben ist nicht von der Drosselung betroffen. Auf längeren Autofahrten bedeutet das aber, dass der Nutzer so lange auf
aktuellen Audio-Content, etwa Nachrichten, verzichten muss, bis er sich wieder in einem WLAN-Netz aufhält.
Kann DAB+ das klassische Radio retten?
Nutznießer dieser technischen Restriktionen könnte im Endeffekt dann doch eine klassische Hörfunktechnologie sein: das
vor allem in Kommerzsenderkreisen - noch - unbeliebte DAB+. Während im analogen
UKW-Band keine Frequenzen mehr für individuelle Spartenprogramme frei sind, gebe es diesen Platz bei DAB+ zunächst
nahezu unbeschränkt. Frequenzen für bis zu sieben Bouquets stehen pro Region in Deutschland zur Verfügung. Je nach
Datenrate wären damit überall zwischen 80 und 120 Radiostationen möglich. Der Empfang wäre kostenfrei und
uneingeschränkt möglich, und es könnten - zumindest theoretisch - auch Untersparten bedient werden: Jazz, Alternative,
Smooth Pop, Heavy Metal. Die Radioveranstalter stehen vor der Wahl: Überlässt man das gesamte Feld "Musik" künftig
komplett den Streamingdiensten und wandelt sich zum reinen externen Content-Lieferanten? Oder versucht man es doch
noch einmal mit einer linearen Hörfunktechnik, die mehr Individualisierung bietet? Die Zukunft bleibt spannend.