Vaunet vs. DAB+

Vaunet vs. DAB+: Man müsste raus aus der Komfortzone UKW

Vor genau zehn Jahren wurden die Weichen gestellt für das Ende des analogen terrestrischen und des Satellitenfernsehens. Das Radio tut sich dagegen mit der Digitalisierung immer noch immens schwer. Ein Erklärungsversuch.
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Neue Technologien könne man politisch nicht verordnen: Der Vaunet lehnt DAB+ immer noch ab Neue Technologien könne man politisch nicht verordnen: Der Vaunet lehnt DAB+ immer noch ab
Bild: Alan Electronics
Vor genau zehn Jahren wurden die Weichen gestellt für das Ende des analogen terrestrischen und des Satellitenfernsehens, zu einem Zeitpunkt als mehr als die Hälfte der Deutschen noch analog fern sah. 2009 wurde die analoge Terrestrik abgeschaltet, 2012 folgte der Satellit. Widerstand gab es kaum. Selbst die großen privaten Sendergruppen befürchteten keine Verluste von Einschaltquoten, ganz im Gegenteil: Sie erkannten in der Digitalisierung Chancen für viele neue Geschäftsideen und Programme: Sender wie Nitro (RTL), Sat.1 Gold oder ProSieben Maxx hätte es ohne den Umstieg auf digitale TV-Übertragung nicht gegeben. Im kommenden Jahr werden dann auch die letzten analogen TV-Übertragungen im Kabel abgeschaltet.

Beim Radio tut man sich vor allem beim Privatfunk dagegen mit der Digitalisierung weiter sehr schwer, obwohl laut aktuellem Digitalisierungsbericht mehr als die Hälfte der Deutschen bereits (auch) digitale Radioübertragungswege wie DAB+ oder Internet nutzt. Fast schon gebetsmühlenartig kommt eine nach der anderen Pressemitteilung aus dem größten deutschen Privatradioverband Vaunet (früher: VPRT). Zum einen wird hier die Politik geradezu flehend dazu aufgefordert, sich nicht auf DAB+ als UKW-Nachfolger festzulegen, da Radio heute auch auf vielen digitalen IP-Wegen genutzt wird, etwa auf Smartphones. Zum anderen wird eindringlich vor dem Schreckgespenst einer UKW-Abschaltung gewarnt. Und immer wieder der Verweis auf die schlechten Einschaltquoten nach der UKW-Abschaltung in Norwegen aus dem Hochsommer, die sich aber eindeutig als saisonbedingt herausgestellt hatten. Inzwischen sind die Hörerzahlen in Norwegen wieder auf höherem Niveau und liegen nur knapp hinter denen aus der Zeit vor der UKW-Abschaltung.

Privatradio müsste raus aus der Komfortzone

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Bild: Alan Electronics
Warum also diese Ablehnung von DAB+, warum das Predigen nach immer neuen internetbasierten Modellen als die "wahre Zukunft des Radios"- zunächst UMTS, dann LTE, jetzt die Smart Speaker und 5G, wo es potenziell nicht nur weitere zehn, sondern über 100 000 Konkurrenten gibt? Es geht gar nicht vorrangig um die Digitalisierung. Es geht viel mehr um den immens schweren Gang hinaus aus der "Komfortzone UKW".

Jahrzehntelang hatte sich die Hörfunklandschaft in Deutschland nicht verändert. Private Radioveranstalter wurden doppelt vor vielen neuen Konkurrenten geschützt: Durch den Frequenzmangel im UKW-Band einerseits und die Landesmedienanstalten andererseits, die auswärtigen Veranstaltern kaum Chancen gaben, selbst wenn es noch wenige, freie Frequenzen gab. Die Gesellschafter der Hörfunkveranstalter konnten sich freuen: Mit wenig Aufwand konnten sie gute Gewinne einfahren. Noch heute ist dieser Markt äußerst gesund, weil vielen Bundesbürgern das bestehende Angebot auf UKW zur Hintergrundberieselung in Küche, Bad oder am Arbeitsplatz offenbar immer noch ausreicht. Zwar verliert UKW leicht an Bedeutung, aber auf immer noch immens hohem Niveau.

Privatfunk wünscht Personalisierung

Auf der anderen Seite das Thema Digitalisierung. Der Privatfunk wünscht sich hier vor allem eins: Personalisierung. Um es einfach zu erklären: Man will keine anonymen Hörer mehr, sondern man möchte wissen, was Theo Müller aus Frankfurt für Vorlieben hat, in welchem Stadtteil er wohnt, was er arbeitet, um ihn gezielt mit personalisierten Inhalten - und Werbung - zu bedienen. Das alles kann ein klassisches, lineares Modell wie DAB+ nicht gewährleisten. Also gaukelt man der Öffentlichkeit vor, dass es bereits immens viele Internetradio-Hörer gibt. Was auch nicht ganz verkehrt ist: 37 Prozent der Deutschen haben laut Digitalisierungsbericht im letzten Jahr Webradiostreams eingeschaltet, während der Anteil von Personen in Haushalten mit Zugang zu mindestens einem DAB+-Gerät erst bei 18,1 Prozent liegt. Allerdings gilt laut der Befragung bereits jemand als Webradio-Hörer, der nur einmal kurz auf einer Dienstreise den Stream seines Heimatsenders eingeschaltet hat. Über die Verweildauer sagt das wenig aus.

Auch beim neuen, vom Privatfunk fast schon in den Himmel gehobenen Trendprodukt Smart Speaker wird getrickst: Laut einer Nutzeranalyse im Auftrag einer privaten Hörfunkgruppe heißt es, die meist genutzte Form des Audio-Entertainments auf Amazon Echo und Co. sei das Radio. Dabei hat man die Musikstreamer Spotify und Amazon Prime Music in der Analyse aber nicht zusammen aufgeführt, sondern getrennt, und zudem nur die kostenpflichtige Spotify-Variante abgefragt. Andere Streamer wie Deezer hat man erst gar nicht aufgenommen. Amazon Prime und Spotify kommen zusammen auf weit höhere Einschaltzahlen als das Radio. Dass Smart Speaker neben dem Audiokonsum auch noch für viele andere Dinge wie die Steuerung von Smart Home angeschafft werden, darüber verliert die Studie ebenfalls kein Wort.

Mitglieder kritisieren Vaunet-Haltung zu DAB+

Allerdings gibt es zunehmend "Abtrünnige" in den Reihen des Vaunet: Mehrere Verbandsmitglieder haben die Haltung zu DAB+ und vor allem den Austritt aus dem Digitalradio-Board von Bund und Ländern kritisiert. Und immer mehr Vaunet-Mitglieder beteiligen sich nun doch am digital-terrestrischen Radio. Selbst die bislang kritische Mediengruppe RTL Radio Deutschland überraschte mit der Aufschaltung ihrer Programme in Berlin und Brandenburg. Von einer neuen Liebe zum bislang verhassten Kind kann aber dennoch keine Rede sein. Es geht vielmehr darum dort zu sein, wo sich auch die Hörer aufhalten. Und immer mehr Hörer nutzen DAB+, vor allem mobil im Auto. Aktuell dürfte knapp die Hälfte aller Neuwagen bereits mit dem digital-terrestrischen Radio an Bord ausgeliefert werden, zum Jahresbeginn waren es bereits 40 Prozent. Nutzerstudien zeigen: Wer einmal DAB+ eingeschaltet hat und dort ein gutes Angebot und Netzausbau geboten bekommt, der kehrt nicht mehr zu UKW zurück.

Bald könnten auch wichtige Weichen aus der Politik gestellt werden, durch die Verabschiedung von Regelungen zur Interoperabilität, wonach jedes künftig verkaufte höherwertige Radio zumindest auch Zugang zu digitalem DAB+-Empfang bieten muss. Wenn das Vorhaben in der aktuellen Legislaturperiode erneut scheitern sollte, dann eher aufgrund eines Bruchs der Großen Koalition denn an Einwänden des Privatradioverbands Vaunet. Parteiübergreifend sind sich die Volksvertreter einig, dass dem digitalen Radio mit dieser Maßnahme auf die Sprünge geholfen werden muss.

Die Zukunft ist "Digitales Hören"

Und was ist nun tatsächlich die Zukunft des Hörfunks? Sie ist nicht DAB+, sie ist auch nicht IP, sie ist allgemein "Digitales Hören" - mit DAB+ als neuer Grundversorgung und vielen IP-basierten Diensten wie Webstreams, Streamingdiensten und Podcasts als ideale Ergänzung. Aber sie ist definitiv nicht mehr UKW, obwohl der analoge Verbreitungsweg noch von der breiten Mehrheit genutzt wird. Dafür ist die Technologie schon lange nicht mehr zeitgemäß und auch viel zu teuer. Und genau das hat auch die Politik erkannt, die sich zudem dafür einsetzt, dass es in der digitalen Welt weiter einen Verbreitungsweg geben muss, der unabhängig von Internet und Bezahlschranken frei verfügbar ist.

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