Charisma

René Obermann: Mehr Engagement im digitalen Europa

Der ehemalige Telekom-Chef René Obermann ist als Banker in London und im Aufsichtsrat verschiedener europäische Unternehmen unterwegs. Er skizziert die digitalen Chancen der Gesellschaft.
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Rene Obermann, der ehemalige Chef der Deutschen Telekom plädiert für digitale Fort- und Weiterbildung. Rene Obermann, der ehemalige Chef der Deutschen Telekom plädiert für digitale Fort- und Weiterbildung.
Foto: Picture Alliance / dpa
René Obermann, charismatischer ehemaliger Chef der Deutschen Telekom ist auch als Banker bei Pincus Warburg (London) der Informationstechnologie-Branche treu geblieben. Bei der Verleihung des Wirtschaftsbuchpreises 2018 hat Obermann eine Grundsatzrede gehalten, welche die in Düsseldorf erscheinende Wirtschafts­tages­zeitung Handelsblatt veröffentlicht hat.

Digitales Europa: Keine rosa Wolken

Rene Obermann, der ehemalige Chef der Deutschen Telekom plädiert für digitale Fort- und Weiterbildung. Rene Obermann, der ehemalige Chef der Deutschen Telekom plädiert für digitale Fort- und Weiterbildung.
Foto: Picture Alliance / dpa
Für das Thema digitales Europa werde er keine rosa Wolken malen, sondern in der Summe ein gemischtes Bild anbieten. Fakt sei leider, so Obermann, "dass wir in entscheidenden Bereichen wie Analytics und künstlicher Intelligenz (KI), bei Cloud-Technologien und -Kapazitäten sowie Businesssoftware abgesehen von dem Unternehmen SAP (in Walldorf bei Heidelberg) kaum führende, international agierende Unternehmen haben."

Wenn irgendwo vielversprechende Innovation entstehe, wie etwa beim britischen Unternehmen „Deep Mind“, werde sie schnell aufgekauft, in diesem Fall von Google.

Große europäische Unternehmen gesucht

Obermann sieht strukturelle Defizite in einer von globalen Skaleneffekten geprägten Technologie- und Internetwelt. Er nennt Beispiele: "Ein tolles Unternehmen kann in Polen oder Frankreich bekannt sein, ist aber in Deutschland gänzlich unbekannt. Der europäische Markt ist sehr fragmentiert und nicht einfach ganzheitlich zu bearbeiten für Software- und Internetunternehmen."

Bei den großen Cloud-Rechenzentren sieht Obermann ein ähnliches Bild. Nur eins der großen zehn "Hyperscale-Rechenzentren" sei ein europäisches und es steht in Norwegen. Die größten Rechenzentren mit riesigen Kapazitäten finde man in den USA, in China und in Indien.

Datenschutz besser in Europa?

Wegen der enorm steigenden Datenmengen werde ein Großteil unserer Daten längst außerhalb der EU gespeichert. Das könne man angesichts der politischen Entwicklung "gefährlich" finden.

Künstliche Intelligenz besser?

Bei der künstlichen Intelligenz sehe es in Europa mit 400 Unternehmen auf den ersten Blick "gar nicht schlecht aus". Aber die Technologie entwickelt sich rasend schnell. "Was heute als KI gilt, ist morgen schon Routine-Software. Fachleute urteilen, dass von den 400 europäischen Firmen nur 60 Prozent den Titel KI verdienen." Immerhin habe Europa eine wachsende KI-Szene. Dennoch: Die globalen KI-Leader kommen wieder einmal aus den USA und China, von Apple über Baidu (China) zu IBM, Microsoft und Nvidia (bekannt durch Grafikkarten), um nur einige zu nennen.

Unternehmertum fördern

Obermann plädiert für Kombizentren, die neben der Technologie auch das Unternehmertum fördern. Die großen Venture-Kapital-Geber sollten eine langfristig angelegte Strategie finanzieren und nicht nur auf den kurzfristigen Profit aus sein. Immerhin, die Venture-Kapital-Landschaft in Europa habe sich bereits verbessert.

Innovation hat Auswirkungen

Die Wucht moderner Innovationen haben Auswirkungen auf die Menschen. "Manche von uns telefonieren zwar noch", berichtet Obermann aus eigener Anschauung, aber seine Tochter meine, das Telefon sei "für meine Generation, sie schickt mir lieber Sprachmitteilungen. Wir spüren den immensen Druck, immer mehr Informationen zu verarbeiten, immer schneller zu kommunizieren."

Gefahr eines digitalen Grabens

"Wir sollten davon ausgehen", so Obermann weiter, "dass ein vergrößerter digitaler Graben die Gesellschaft zerreißen könnte". Er fordert ganz klar "konsequenter gegensteuern".

"Offline" sei die neue Angst, hat neulich der Markenchef der Deutschen Telekom zutreffend formuliert. Viele Menschen haben Angst, in der digitalen Welt abgehängt zu werden. Die steigende Wahrnehmung von künstlicher Intelligent (KI) und Automatisierung erzeugt Sorge vor Job- oder Bedeutungsverlust.

Neue Berufsfelder

Obermann teilt diese Schreckensszenarien so nicht, er glaubt, dass viele neue Berufsfelder entstehen. Für die EU wird das eine "echte Herausforderung": "Nichts in der wirtschaftlichen Wertschöpfungskette bleibt analog. - Wieviel Wissen wird abwandern?"

Europa muss klotzen

Generell gebe es für innovative Unternehmen in Europa unendlich viele Chancen, weil Firmen umgewandelt ("transformiert") oder ganze Geschäftsmodelle digitalisiert werden.

Beispielsweise könnte es im Finanzsektor oder bei Versicherungen völlig neue Angebote und Produkte geben. Obermann sieht auch Expertennetzwerke, in der Medizin oder beim 3D-Druck.

Obermann sieht Chancen in der "Blockchain", die mehr kann, als nur Kryptowährungen abzusichern. In 10 bis 15 Jahren sei "Quantencomputing" ein Thema.

Digitale Weiterbildung

Das bedeutet, dass sich möglichst viele Menschen digital aus- und fortbilden – Europa müsse dafür auch viel mehr Geld ausgeben. Die technische Bildung in Schulen, Unternehmen, Volkshochschulen und privaten Einrichtungen müsse extrem verstärkt werden, damit digitale Unternehmer ihre Ideen umsetzen können. Obermann plädierte für einen europäischen digitalen Binnenmarkts und die Vereinfachung der europaweiten Bürokratie für junge Firmen. Das geht nicht von heute auf morgen. Das Aufholen gegenüber den USA und China in digitalen Schlüsselbereichen wird, wenn es überhaupt gelingen soll, Jahrzehnte dauern. Es wird viel Geld und Zeit kosten. Obermann ist dagegen, dass nur die "urbanen Digitaleliten", bestens ausgebildete Menschen, die in den IT-mäßig super ausgebauten Ballungszentren leben, erreicht werden.

Europa muss gemeinsam vorgehen

Dieser Plan müsste von allen Regierungen getragenen werden, auch von den künftigen, die heute noch gar nicht gewählt sind. "Auch wenn es beim jetzigen Stand Europas utopisch klingt."

Übrigens: Den Wirtschaftsbuchpreis 2018 haben Stefan Baron und Guangyan Yin-Baron für das Buch „Die Chinesen – Psychogramm einer Weltmacht“ erhalten. Darin wird erklärt, wie China "tickt", was gut und wichtig ist, wenn man mit diesem Land Geschäfte macht, und sei es nur, Produkte von dort einzukaufen und zu verwenden.

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