NSA-Skandal: Das Jahr der Überwachung
Seit dem Sommer kommen immer neue Details über Spionageaktivitäten von Geheimdiensten im Internet ans Licht. Damals ahnte vielleicht nur der Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden, dass diese Enthüllungen erst die Spitze des Eisbergs waren.
Die Chonologie der Enthüllungen
5. Juni: Ein erster Artikel in der britischen Zeitung Guardian gibt den Startschuss. Unter Verweis auf NSA-Unterlagen wird ein geheimes US-Gerichtsurteil enthüllt, das dem Abhördienst Zugriff auf die Daten zu Millionen Telefonanrufen beim amerikanischen Telekom-Riesen Verizon verschafft.
Neben Internetdaten hat der US-Geheimdienst auch Handydaten abgehört
Bild: dpa
6. Juni: Mit der zweiten Artikel-Welle erfährt die Öffentlichkeit von
dem Programm PRISM, das dazu diene, in großem Stil Daten aus dem
Internet abzuschöpfen. Angezapft würden Internet-Riesen wie Google,
Facebook, Apple oder Microsoft. Die Unternehmen erklären, sie
arbeiteten mit Behörden nur auf Gerichtsbeschluss zusammen und es
gebe keinen direkten Zugang zu ihren Servern.
9. Juni: Die Quelle der Enthüllungen gibt sich über den Guardian
selbst zu erkennen. Es ist Edward Snowden, ein 29-jähriger ehemaliger
Mitarbeiter der Beratungsfirma Booz Allen Hamilton, der bei der NSA
auf Hawaii im Einsatz war. Snowden floh nach Hongkong und übergab
dort seine Dokumente den Journalisten.
21. Juni: Neue Berichte bringen den britischen NSA-Gegenpart GHCQ
auf die Bühne. Der bisher kaum beachtete Geheimdienst soll mit seinem
gigantischen Programm Tempora massiv Daten direkt aus
transatlantischen Glasfaser-Kabel abgreifen.
23. Juni: Der Whistleblower sucht in mehreren Ländern Schutz vor der Strafverfolgung
durch die US-Behörde. Snowden fliegt von Hongkong nach Moskau.
In Russland endet vorerst seine Flucht, weil seine in London ausgestellten
ecuadorianischen Papiere zurückgezogen werden. Zwar verlangt die USA die Auslieferung des
auf dem Flughafen festsitzenden Informanten, doch auch nach eindringlichem Drängen
bleibt Moskau standhaft und kommt der Forderung nicht nach.
Überwachung auch von EU-Bürgern
30. Juni: Einige Medien berichten, dass der US-Geheimdienst
auch in Deutschland Datensätze zu rund 500 Millionen Anrufen, E-Mails
und SMS überwache. Viele Verbraucher in Deutschland wurden hierdurch verunsichert und
machten sich vermehrt Gedanken über die Sicherheit ihrer Daten.
Dennoch vertrauen sie den Sicherheitsbehörden.
31. Juli: Mit XKeyscore wird ein Verwandter des Spähprogramms PRISM
bekannt. Das Projekt verbinde ein weltweites Server-Netzwerk, das
"fast alles aufzeichne, was ein Nutzer im Internet macht", heißt es
im Guardian.
1. August: Snowden wird für ein Jahr Asyl in Russland gewährt. Er
verlässt den Moskauer Flughafen, in dem er über sechs Wochen im
Transitbereich festsaß.
10. August: Auch deutsche Firmen sollen ihre Kunden überwachen. So berichtete
die Wirtschaftswoche, dass die Deutsche Telekom den gesamten Telefonverkehr auf
Betrugsversuche und Missbräuche kontrolliere. Die Telekom widersprach kurzerhand dem Bericht.
Einen Tag zuvor hatte der Konzern zusammen mit United Internet den verschlüsselten E-Mail-Dienst
"E-Mail Made in Germany" eingeführt.
15. August: Die NSA verstieß laut einer internen Untersuchung
tausende Male gegen die Regel, keine US-Bürger zu überwachen,
berichtet die Washington Post.
23. August: Spione spähen in eigener Sache: Mehrere NSA-Mitarbeiter
hätten die Systeme dazu missbraucht, aktuelle oder frühere Geliebte
zu überwachen, heißt es im Wall Street Journal.
24. August: Nicht nur einfache Bürger sind im Visir des US-Geheimdienstes.
So hat die NSA auch Angela Merkels Handy und weitere
europäische Spitzenpolitiker seit mehreren Jahren überwacht. Auch die Telefonate und
der E-Mail-Verkehr
der brasilianischen und mexikanischen Staatsoberhäupter wurden abgehört. Die Ländern
äußern sich verärgert gegenüber der USA und sagen unter anderem Staatstreffen ab.
US-Präsident Obama besitzt hingegen ein eigenes, abhörsicheres Netz
für die Kommunikation und äußert sich eher ruhig gegenüber den Verärgerungen. US-Geheimdienstchef
James Clapper verteidigte zudem die Spähangriffe
auf ausländische Spitzenpolitiker, indem er betonte,
dass auch Europa andere Spitzenpolitiker sowie die eigenen Bürger ausspäht und überwacht.
30. August: Die USA führen neben der Internet-Überwachung auch
Online-Angriffe - gut 230 allein im Jahr 2011, schreibt die
Washington Post. Zudem fordern Deutschland und Brasilien eine UN-Resolution.
Auch Verschlüsselungen bieten nur wenig richtigen Schutz
5. September: Die NSA unterwandert auch die Verschlüsselung von
Daten, wie Medienberichte enthüllen. Der Abhördienst habe
Schwachstellen in Verschlüsselungs-Verfahren eingeschleust und Teile
davon auch geknackt. Allerdings gelten diverse gängige Programme wie
PGP weiter als sicher.
16. September: Der US-Geheimdienst sammelt Zahlungsdaten unter
anderem aus Systemen von Visa und Mastercard, schreibt der «Spiegel».
Die Überwachung des Zahlungsdienstleisters SWIFT verstößt gegen
Vereinbarungen mit der EU.
14. Oktober: Die NSA sammele pro Jahr über 250 Millionen Datensätze
aus Adressbüchern von Internet-Nutzern, berichtet die Washington
Post.
23. Oktober: Spiegel-Informationen, dass der US-Geheimdienst das
Handy von Angela Merkel in Berlin abgehört habe, sorgen für ein
politisches Erdbeben. Die Kanzlerin und Frankreichs Präsident
Hollande sollen mit den USA reden, heißt es beim EU-Gipfel.
30. Oktober: Die NSA klinke sich in den Datenverkehr zwischen den
Rechenzentren von Google und Yahoo ein und sauge die Daten direkt von
dort ab, berichtet die Washington Post. Die Internet-Riesen
reagieren empört und fangen an, den Verkehr zu verschlüsseln.
5. Dezember: Der US-Geheimdienst speichere die Aufenthaltsorte
hunderter Millionen Handy-Nutzer, schreibt die Washington Post. Pro
Tag würden weltweit rund fünf Milliarden Ortungs-Datensätze aus den
Mobilfunk-Netzen gesammelt.
10. Dezember: CIA und NSA und der britische GCHQ schickten
Undercover-Agenten in die Online-Spiele World of Warcraft und
Second Life, berichten Guardian, ProPublica und die New York
Times. Sie gingen wohl davon aus, dass mögliche Terroristen über die
Spiele Nachrichten und Geld austauschten.
11. Dezember: Die NSA verfolge das Verhalten von Internet-Nutzern
über Werkzeuge der Online-Werbebranche wie sogenannte Cookies,
berichtet die Washington Post. Besonders ein bestimmtes
Cookie von
Google aber auch von Yahoo sei für sie interessant.
19. Dezember:Eine von Präsident Barack Obama eingesetzte Expertengruppe empfiehlt,
dass Spionage-Operationen, wie die von der NSA, gegen ausländische Staatsführer künftig prinzipiell
von höchster Stelle genehmigt werden müssen, also vom Präsidenten selbst oder engen Beratern.
Insgesamt fordert die Expertengruppe eine Serie entscheidender Reformen der Geheimdienstüberwachung.
Keine Ende der Offenlegungen in Sicht?
Auch deutsche Politiker planen die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung,
obwohl das Bundesverfassungsgericht diese Regelung 2012 gekippt hatte.
Viele Datenschutzrechtler, Experten und Bürger äußern sich kritisch hierüber. So
auch der teltarif.de-Geschäftsführer Kai Petzke in seinem Editorial.
Ob die Datenspeicherung umgesetzt wird, bleibt abzuwarten. Die
Regelung der Vorratsdatenspeicherung wird, nach einem Gutachten eines
EU-Generalanwaltes, vor dem Europäischen Gerichtshof diskutiert.
Laut Gutachter verstoße sie gegen die Grundrechte zum Schutz der Privatsphäre.
Die Abhöraffäre und der NSA-Skandal haben vor allem gezeigt, dass es
keinen wirklichen Schutz gibt, wenn man auf den Komfort von elektronischen Geräten nicht
verzichten möchte.