Es dauert noch

o2: Mit Torhütern gewinne ich kein Spiel, es braucht Stürmer

Europa sei derzeit im Verteidigungsmodus. Für den geforderten Netzausbau müsse man aktiver werden, findet Markus Haas von o2.
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Telefónica-Chef Markus Haas äußerte sich in der Süddeutschen Zeitung zu seinen 5G-Plänen Telefónica-Chef Markus Haas äußerte sich in der Süddeutschen Zeitung zu seinen 5G-Plänen
Foto: Telefónica
Quasi pausenlos meldet sich Telefónica Deutschland Chef Markus Haas zur aktuellen Diskussion um den notwendigen Netzausbau mit 4G und 5G und die aktuelle Digitalisierungspolitik zu Wort. Am Wochenende erschien ein Interview mit der in München erscheinenden Süddeutschen Zeitung.

"Bundesinnenminister Horst Seehofer hatte gerade gefordert, dass es bald in jedem Dorf die neue Mobilfunk­generation 5G geben muss", fragte die Zeitung den CEO von Telefónica Deutschland, der seit VIAG Interkom, dem Vorgänger der heutigen o2 mit an Bord ist und daher sein Unternehmen bis ins Detail kennt.

Weitgehende 5G Flächenabdeckung in etwa 10 Jahren?

Telefónica-Chef Markus Haas äußerte sich in der Süddeutschen Zeitung zu seinen 5G-Plänen Telefónica-Chef Markus Haas äußerte sich in der Süddeutschen Zeitung zu seinen 5G-Plänen
Foto: Telefónica
Haas: "In den kommenden zehn Jahren werden wir sicher eine sehr weitgehende 5G-Flächenabdeckung hinbekommen, aber nicht kurzfristig. Wir brauchen eine ehrliche öffentliche Diskussion und sollten uns nicht immer mit unrealistischen Vorschlägen überbieten, die technisch gar nicht machbar sind."

Die Zeitung stellte die Frage, ob wir in zehn Jahren wirklich ein flächendeckendes 5G-Netz brauchen. Haas stimmt dem bedingt zu: "Eine vollständige Abdeckung der Bevölkerung mit schnellem Internet brauchen wir, ja, eine 100-prozentige Flächenabdeckung ist aber unmöglich. Es wird nicht auf jeder kleinen Straßen, in jedem Waldstück und in jeder Anwohner-Sackgasse 5G geben. Dafür müssten wir mehrere hunderttausend Antennen bauen, das ist weder Wert stiftend noch finanzierbar."

Autonomes Fahren oder Industrie 4.0 ?

Da taucht die Frage auf, ob autonomes Fahren oder Industrie 4.0 funktionieren kann. Haas stimmt auch hier bedingt zu. "Wir brauchen dafür einen Technologiemix, auch mithilfe von Sensoren, Satelliten und anderen Technologien. Außerdem werden wir zunächst vor allem sogenannte Campus-Lösungen haben, also 5G-Netze für lokale Anwendungsgebiete, etwa für den Flughafen München oder für Industriebetriebe, zunächst also kleine geschützte Bereiche, die gut zu managen sind und wo wir lernen können. Danach kommt der flächendeckende Ausbau, voraussichtlich erst im kommenden Jahrzehnt. Mehr gibt die Verfügbarkeit von Technik und nutzbarem Spektrum schlichtweg nicht her. Das lässt sich nicht herbeiwünschen."

Großer Kritik bewusst

Dabei ist Haas bewusst, dass die Kritik groß ist, denn bis heute gibt es viele weiße Flächen im Mobilfunk. "Wir hätten doch alle gerne überall volle Netzabdeckung. Wir dürfen jedoch nicht die Entwicklung der vergangenen 20 Jahren ausblenden. Die Betreiber mussten 60 Milliarden Euro alleine für die Lizenzen zahlen, die Akzeptanz für einen Ausbau in der Bevölkerung war lange nicht da, wir sollten auf Wunsch der Politik und der Bevölkerung gar nicht so viele Antennen bauen. In den vergangenen fünf Jahren hat sich das geändert: Der Mobilfunk ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das ist gut."

Haben wir noch eine Chance?

Schließlich fragt sich die Zeitung, ob wir überhaupt noch eine Chance haben, denn "bei 4G ist Deutschland international ja nicht gerade führend."

Haas sieht das im europäischen Kontext: "Da ist Deutschland ein wenig Sinnbild der EU: Nur mit Torhütern gewinne ich kein Spiel, es braucht auch Stürmer. Im Moment sind aber alle Institutionen im Verteidigungsmodus: Wir verteidigen unsere Wertesysteme und unsere Wirtschaftsordnung in der politischen Diskussion gegen den Populismus, unsere Währung in der Eurokrise, die EU angesichts des Brexit. Alle politischen Entscheidungsträger beschäftigen sich derzeit vor allem mit Verteidigung, Zukunftsthemen werden kaum diskutiert. Das ist erschreckend und sehr schade – und ein Raubbau an unserer eigenen Zukunft. China oder die USA zum Beispiel schauen sich das von außen an und freuen sich, dass wir so mit uns beschäftigt sind."

Also sind wir abgeschlagen?

Nein, dementiert Haas, "wir haben Zugriff auf alle Netz-Technologien, wir haben auch starke europäische Anbieter dafür. Wir dürfen die Hürden jedoch nicht zu hoch legen, damit wir als Industriestandort nicht ins Hintertreffen geraten. Ich plädiere dafür, alle Möglichkeiten zu nutzen. Die Frequenzen werden im kommenden Jahr leider wieder versteigert und nicht einfach verteilt, aber die Zahlungsbedingungen, die Einstiegsgebote, die Auflagen, die Regulierung insgesamt können so gestaltet werden, dass Deutschland eine Chance hat. Wenn wir hier die Anreize richtig setzen, werden wir vorne dabei sein."

Für die Regeln im November glaubt Haas fest daran, dass alle Beteiligten einen Weg finden können. "Ich bin seit zwanzig Jahren im Geschäft und die öffentliche Diskussion war noch nie so intensiv. Bürger und Nutzer machen den Politikern erheblichen Druck in Sachen Netzausbau, die Dynamik ist heute eine andere. Damals hieß das Motto: 'Hans im Glück', weil der Finanzminister Hans Eichel bei der Frequenzauktion 50 Milliarden eingenommen hatte. Die Zeche aber zahlen wir heute noch, weil wir unter dieser Finanzierungslast die Infrastruktur nicht da haben, wo sie sein könnte. Der Fehler sollte nicht nochmal gemacht werden."

Es muss sich was ändern

Für Haas muss sich was ändern: "Die geplanten Minimumgebote in der Auktion sind viel höher als in bisherigen Auktionen, müssten aber deutlich niedriger angesetzt werden. Der Staat hat doch derzeit kein Einnahmeproblem. Wenn in drei Jahren gewählt wird, werden die Bürger sich fragen, ob die Netze besser ausgebaut wurden, nicht, wie viel bei der Frequenzauktion in den Staatshaushalt floss."

Die Diskussion, dass Mobilfunk in Deutschland zu teuer sei, kennt Haas: "Die Preise sinken auch in Deutschland kontinuierlich: Wir haben hier vielleicht nicht den billigsten Preis pro Gigabyte. Aber gleichzeitig ist die Zahlungsbereitschaft in Deutschland so niedrig wie nirgends. Jeder schaut hunderte Mal am Tag auf sein Smartphone, der durchschnittliche Umsatz eines Vertragskunden liegt aber nur bei 15 Euro im Monat – 50 Cent pro Tag für Mobilfunk. Und damit müssen wir unter anderem notwendige Netzinvestitionen und Lizenzkosten finanzieren."

Eine Einschätzung

In der aktuellen öffentlichen Diskussion wird o2 gerne verspottet, sie hätten kein Geld für den Netzausbau, heißt es. Szenekenner dementieren das und verweisen auf die völlig ausgeschöpften Baukapazitäten.

Gleichzeitig klagen die Kunden über viel zu hohe Preise. Es wird ein "eh da" Netz erwartet, das überall und flächendeckend jederzeit störungsfrei verfügbar sein soll, aber zu Preisen möglichst unter 10 oder allerhöchstens 20 Euro im Monat. Sicher wird es noch einige Zeit dauern, bis Deutschland einigermaßen "flächendeckend" ausgebaut ist, aber die Diskussion ist angestoßen und kann vielleicht die dringend notwendige Eigendynamik entwickeln.

Nur muss der Ausbau einfach schneller vorangehen. Wer in einem Funkloch lebt, sollte sich aktiv in die Kommunalpolitik vor Ort einmischen, damit geplante Sender auch wirklich gebaut werden können.

Wer vor der Netz- oder Tarifwahl steht, sollte in seine nächste Auswahl den Faktor "Netzqualität" mit einbeziehen. Unser Handytarif-Vergleich erlaubt es, auch ein bestimmtes Wunschnetz auszuwählen. Wenn die Anbieter merken, dass die Kunden durchaus Wert auf Versorgungsqualität legen, werden sie sicherlich von sich aus aktiver werden, um keine Kunden zu verlieren.

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