John Strand: Absage des MWC ideal für einen Neustart
Das alte Messegelände des Mobile World Congress, inzwischen Treffpunkt der Startups und Zukunftsbranchen.
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Der Dachverband des digitalen Mobilfunks, die GSMA hat den Mobilen Weltkongress (MWC) in diesem Jahr wegen Covid-19 (Corona-Virus) abgesagt.
Der dänische Marktbeobachter John Strand, der mit seiner Firma Strand Consult, seit mehr als 25 Jahren an dieser Veranstaltung aktiv teilnimmt, veröffentlicht regelmäßig Vor- und Nachberichte über die Veranstaltung und analysiert die aktuelle Lage und kommende Trends. Vor Jahren hatte er den Siegeszug der No-Frills-Discounter vorhergesagt und das Unternehmen Simyo beim Start in Deutschland beraten.
Da es in diesem Jahr keine Mobilfunkmesse in Barcelona gibt, also weder eine Vorschau noch ein Rückblick auf diese Veranstaltung möglich ist, hat sich John Strand Gedanken gemacht, was die GSMA tun könnte, um ihre "Vorzeige-Veranstaltung" neu zu erfinden, die längst mehr Stil als Inhalt geworden sei.
Die Faktenlage
Das alte Messegelände des Mobile World Congress, inzwischen Treffpunkt der Startups und Zukunftsbranchen.
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Zunächst untersucht Strand die Fakten. Führende internationale Gesundheitsbehörden hatten festgestellt, dass mit der Durchführung der Konferenz nur geringe bis keine Gesundheitsrisiken verbunden gewesen wären. Die GSMA wurde jedoch von einem Strudel der Angst getroffen und beschloss schlussendlich, die Veranstaltung komplett abzusagen, nachdem ein großer Netzbetreiber nach dem anderen abgesagt hatte. Als der GSMA-Vorsitzende und CEO von Orange (France Telecom), Stéphane Richard dann auch noch absagte, war es offensichtlich, dass die gesamte Veranstaltung nicht stattfinden würde.
Nicht die Lieferanten, sondern die Netzbetreiber
Um es klar zu sagen: Es waren nicht solche Größen wie Samsung, Nokia, Ericsson und LG, die sich zurückzogen, sondern die großen Mobilfunknetzbetreiber. Wenn die Netzbetreiber nicht teilnehmen, sinke der Wert der Veranstaltung und es werde schwierig, die damit verbundenen Kosten zu rechtfertigen.
GMSA = Mobile World Congress - und sonst?
"Die GSMA ist besser für ihr jährliches Treffen in Barcelona bekannt, als eine globale Stimme der Mobilfunkindustrie", kritisiert Strand. Tatsächlich seien die Herausforderungen für die Branche gestiegen, aber die politischen Positionen der GSMA seien "lasch" geworden.
Maximierung der Veranstaltungsteilnehmer?
Der Verband scheine sich mehr auf die Erzielung von Einnahmen durch die Maximierung der Anzahl der Veranstaltungsteilnehmer zu konzentrieren, als auf die Gewinnung von Unterstützung zur Bewältigung der Herausforderungen der Mobilfunkindustrie. Die Veranstaltung habe sich zu einer Hype-Party für neue Technologien entwickelt, bei der die Schwierigkeiten der Mobilfunkbetreiber an den regulatorischen und finanziellen Fronten kaum noch diskutiert würden.
Während der LTE-4G-Ära wurde die Veranstaltung beispielsweise zu einem Schaufenster für die Innovation der Over-the-Top-Anbieter, welche die traditionellen Netzbetreiber in die Schranken verwiesen hätten.
Nun, da sich die Branche auf 5G zubewegt hat, sollten konzertierte Anstrengungen unternommen werden, find Strand, "um die Mobilfunkbetreiber mit den Instrumenten für die Entwicklung einer Einführungspolitik für Netze und eine Reform des Frequenzspektrums auszustatten".
GSMA nur noch für Huawei und ZTE?
Stattdessen sei die GSMA auf die Rolle von Huawei und ZTE reduziert worden. Tatsächlich sei der Weltverband so sehr mit den chinesischen Technologieanbietern verbunden, dass wichtige Diskussionen über demokratische Prinzipien, die Achtung der Menschenrechte, die Privatsphäre und die Überwachung aus Angst vor einer Verärgerung der chinesischen Regierung vermieden würden. "China, Huawei, MWC und GSMA - es geht nicht um einen Virus!" stellt Strand als These auf.
Die GSMA scheine Schwierigkeiten zu haben, die Bedürfnisse der einzelnen Mitglieder mit dem, was für die gesamte Branche am besten ist, in Einklang zu bringen, findet Strand.
Beispielsweise baten einige Mobilfunkbetreiber Anfang 2019 die GSMA, einen Bericht über die möglichen Kosten durch eine Einschränkung bei der Nutzung von Huawei-Komponenten in Europa zu erstellen. Der Bericht "Economic Impact Assessment of 5G supply chain restrictions in the EU" wurde nie veröffentlicht, aber der Presse mit der Behauptung zugespielt, ein Verbot von Huawei würde die europäischen Betreiber 56 Milliarden Euro kosten und die Einführung von 5G verzögern.
Strand Consult, das seinen Lebensunterhalt mit der Prüfung solcher Behauptungen bestreitet, errechnete die tatsächliche Zahl näher an 3,5 Milliarden Euro, ein Betrag, der anschließend von europäischen Behörden und anderen Forschungsunternehmen bestätigt wurde. Darüber hinaus bestätigen auch die jüngsten Erklärungen von BT und Vodafone zu den Rip-and-Ersatzkosten im Vereinigten Königreich die Schlussfolgerung von Strand Consult, dass die Kosten für die Entfernung der Huawei-Ausrüstung marginal sind, findet John Strand, der hier eher den amerikanischen Standpunkt vertritt.
Das Ziel des GSMA-Berichts sei es gewesen, die politische Agenda zu beeinflussen, aber die Kombination aus seltsamen Zahlen und schlechter Methodik sei wahrscheinlich der Grund dafür, dass GSMA ihn nie veröffentlicht habe. Dieses "hinterhältige Bemühen", Positionen zu vertreten, welche einige Mitglieder gegenüber anderen bevorzugen, sei jedoch für einen Fachverband, der vorgebe, das große gemeinsame Dach der gesamten Mobilfunkbranche zu sein, nicht empfehlenswert, rät Strand.
GSMA zurückhaltend gegenüber kritischen Stimmen
Darüber sei die GSMA auffallend zurückhaltend geworden, wenn es um Fragen gehe, die sich negativ auf die Eigentümer von drei ihrer 26 Vorstandsmitglieder auswirken könnten. Die Unternehmen der GSMA-Vorstandsmitglieder China Mobile, China Telecom und China Unicom befänden sich im Besitz der chinesischen Regierung, behauptet der Berater und würden von der Kommunistischen Partei Chinas kontrolliert. Er wiederholt damit die politisch vorbeeinflussten Vorwürfe der US-Justiz. Diese Unternehmen seien aber führende Anbieter der Instrumente der Überwachungsgesellschaft und sie betrieben Praktiken, die gegen rechtsstaatliche Normen in der freien Welt verstoßen würden.
Insbesondere verwendeten diese Betreiber Geräte von Huawei, einer weiteren von der chinesischen Regierung kontrollierten Firma. "In letzter Zeit haben wir die mafiaähnlichen Praktiken der chinesischen Regierung gegenüber Ländern gesehen, die die Verwendung von Huawei-Ausrüstung ablehnen. Bedenken Sie, wie der chinesische Botschafter Schweden mit Handelssanktionen gedroht hat, falls Schweden keine Produkte von Huawei kaufen sollte." Ähnliche Forderungen seien die auf denen mit Dänemark verbundenen Färöer-Inseln (im Nord-Atlantik), in Deutschland und in Frankreich gestellt worden.
Hatte die chinesische Regierung die drei chinesischen Mobilfunkbetreiber benutzt, um Druck auf die GSMA auszuüben? Hatte Huawei, der Haupt-Sponsor des MWC, Druck auf die GSMA ausgeübt, fragt Strand?
Hier irrt der Meister - teilweise
"Strands Analysen sind immer spannend zu lesen, aber nicht immer voll zutreffend", verrieten uns Branchenkenner. Doch müsse man davon ausgehen, dass Huawei den MWC gerne durchführen wollte, folglich könne die GSMA gar nicht von diesen Unternehmen so abhängig sein, wie Strand es vermutet.
Nach dem MWC ist vor dem MWC. Die Vorbereitungen dafür dürften jetzt schon anlaufen. Zumal es auch Schwestermessen in Los Angeles (USA, Mobile World America) und Shanghai (China, Mobile World Asia) gibt. Das Informationsloch des MWC muss anderweitig gestopft werden. Trotz aller Vernetzung führt an persönlichen Treffen kein Weg vorbei.