Editorial: Die Software-Mauer
Huawei (Messestand)
teltarif.de / Daniel Molenda
Früher, ja früher, da konnte man als Ostdeutscher keine guten Computer
kaufen und Bananen nur ganz selten und dann auch nur, wenn man zur
richtigen Zeit lange genug vor dem Laden angestanden hatte bzw. über
Beziehungen verfügte. Dafür bekam man in den Buchläden gute mathematische
und physikalische Lehrbücher zu einem sehr vernünftigen Preis. Auf
der anderen Seite des "eisernen Vorhangs" waren die digitalen
Rechenknechte stets zu marktkonformen Preisen verfügbar, dafür musste
man in den Büchereien die wirklich guten Bücher erstmal aus der Vielfalt
herausselektieren und dann als Lohn für seine Detektivarbeit auch noch
einen stolzen Preis an der Kasse
dafür berappen. Immerhin stand den Wessis der Weg nach Osten offen,
um sich dort mit Literatur einzudecken - ich war wohl nicht der
einzige, der das gemacht hat.
Nun, damals herrschte Kalter Krieg. Heute geht die Weltpolitik wieder in die Richtung von damals, es werden neue Fronten aufgebaut. Und so muss man sich künftig entscheiden, ob man das Smartphone mit der (voraussichtlich) besten Kamera kaufen will, dafür aber auf die in Europa führende Navigations-App und den mit Abstand wichtigsten App Store verzichtet, oder alternativ eben bei "den Koreanern" kauft, die die zweitbeste Kamera haben, aber eben die gewohnte Software-Ausstattung. Und das, obwohl "die Koreaner" wie auch der inkriminierte Hersteller, nämlich Huawei, beide ihre Geräte in China produzieren. Nur, dass Huawei sie dort nicht nur produziert, sondern auch entwickelt.
Eine dreimonatige Schonfrist, während der Google erlaubt wurde, weiterhin neue Android-Versionen, Sicherheits-Updates und die Google-Dienste inklusive Google Maps und Play Store an Huawei zu liefern, gilt ausdrücklich nicht für neue Geräte. Damit steht nun wohl fest, dass das in wenigen Wochen vorgestellte Mate 30 Pro wohl ohne Google-Dienste erscheinen wird. Immerhin wird das übliche Android-Betriebssystem auf dem Gerät installiert sein - die meisten Teile von Android stehen unter einer freien Lizenz (Open Source) und dürfen nach Belieben kopiert, verändert und erweitert werden, soweit dabei die Open-Source-Lizenz erhalten bleibt.
Google nachinstallieren
Huawei (Messestand)
teltarif.de / Daniel Molenda
Sicher wird es möglich sein, die gewohnten Google-Apps von Hand als
APK von einschlägigen Software-Sites herunterzuladen und sie dann
nachzuinstallieren. Hat man sie dann erstmal, werden sie sich
voraussichtlich auch selber updaten. Der Verzicht fällt daher, außer
der zusätzlichen Arbeit beim ersten Einrichten des Smartphones,
voraussichtlich geringer auf, als es aussieht. Aber: Eine Garantie,
dass die Google-Dienste dauerhaft ohne Einschränkungen funktionieren
werden, gibt es nicht. Sollte sich der Handelsstreit verschärfen, droht
nämlich, dass Google, Facebook und Co. gezwungen werden, den "bösen"
Smartphones den Zugang zu ihren Servern zu verwehren. Auch dann wird
es immer noch Möglichkeiten geben, die Software-Mauer zu umgehen
(z.B. Smartphone rooten und Geräte-IDs ändern), aber sie werden
zunehmend schwieriger werden.
Huawei-Käufer werden daher mit dem Risiko leben müssen, auf die Google-Apps verzichten zu müssen, sollte es hart auf hart kommen. Einige Nutzer sehen das aber nicht als Risiko, sondern sogar als Befreiung, dass sie endlich ein Google- und NSA-freies Smartphone erwerben können. Diese Nutzergruppe dürfte allerdings - noch - in der deutlichen Minderheit sein.