Härte gefordert

Editorial: Was machen gegen Hass und Falschmeldungen im Netz?

Fake-Nachrichten-Sites den Geldhahn zudrehen? Postings löschen? Und wer kontrolliert dann den Kontrolleur? Oder gibt es bessere Möglichkeiten, die Hass- und Lügenwelle zu stoppen?
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Wie in solchen Situationen üblich, rufen die Politiker nach dem Strafrecht. Bundesjustizminister Heiko Maas hat die Ermittlungsbehörden und Gerichte beispielsweise aufgefordert, die absichtliche Verbreitung von Falschnachrichten etwa in Sozialen Netzwerken hart zu ahnden. "Verleumdung und üble Nachrede sind nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt. Das muss die Justiz auch im Netz konsequent verfolgen", sagte der SPD-Politiker der "Bild am Sonntag". Bei übler Nachrede und Verleumdung einer Person des öffentlichen Lebens drohten bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe. "Den rechtlichen Rahmen sollten wir konsequent ausschöpfen."

Doch stellt sich die Frage, wer hier überhaupt bestraft werden soll? Etwa die hunderttausend Bürger, die auf eine Falschmeldung hereingefallen sind, und diese geliked oder geteilt haben? Wohl kaum. Aber wie will man den genauen Autor ermitteln? Wer eine Meldung so geschickt manipuliert, dass sie millionenfach geteilt wird, der wird es sicher auch schaffen, seine wahre Identität zu verstecken. Oder einen Richter oder eine Jury davon zu überzeugen, dass das alles doch gar nicht so gemeint war und die riesige soziale Welle nur ein Unfall einer persönlichen Wutäußerung, die man an ein paar Freunde geschickt hat.

Schließlich kommt hinzu, dass viele Falschmeldungen schon seit Jahren oder gar Jahrzehnten ihre Kreise ziehen. Sie werden über soziale Medien, aber auch über lokale Tageszeitungen und andere Medien mal schneller, mal langsamer weiterverbreitet. Ab und zu werden diese Falschmeldungen verändert, beispielsweise mit eigenen Meinungen oder Erfahrungen angereichert oder bezüglich Ort und Zeit eines angeblichen Ereignisses "aktualisiert". Wer ist dann überhaupt Schuld an der Kettenlüge? Der Erstautor? Der letzte Updater? Oder wieder alle?

Wer kontrolliert den Kontrolleur?

Weiter stellt sich die Frage, wie die Arbeit der Gerichte oder der großen Internet-Konzerne kontrolliert wird, sollten diese tatsächlich en masse gegen Hass- und Falschnachrichten vorgehen. Zum Beispiel besteht die Gefahr, dass die Zensoren, die bei Google oder Facebook über Löschung von Beiträgen oder den kommerziellen Rauswurf aus dem Werbenetzwerk entscheiden, künftig dann besonders dünnhäutig entscheiden, wenn ein Medium eine negative Meldung über Google oder Facebook bringt. Schließlich sind die Zensoren auch nur Menschen, und die meisten Mitarbeiter sind nunmal loyal zum Arbeitgeber, und fühlen sich daher recht schnell persönlich angegriffen, wenn sie eine schlechte Meldung über ihren Arbeitgeber lesen. Am Ende könnte es passieren, dass sich kaum noch ein Medium traut, kritisch über die beiden Internet-Riesen zu berichten, schließlich will man nicht aus dem Werbenetzwerk geworfen werden.

Auch bezüglich gerichtlicher Kontrolle ist die Tendenz zu beobachten, dass in Staaten, die besonders hart gegen Falschäußerungen ihrer Bürger und/oder der Medien vorgehen, schnell die persönliche Freiheit aller Bürger leidet. Auch und gerade der Bürger, die nicht bewusst gegen den Staat oder seine Organe lügen, sich aber doch mal aufregen, wenn eine Behörde langsam arbeitet oder ein Mitarbeiter nach Bestechungsgeld verlangt.

Es ist also bei allen Zensursystemen - egal, ob von den Konzernen oder staatlich betrieben - unabdingbar, dass die Kontrolleure selber kontrolliert werden. Und genau daran scheitern selbst die hehren Absichten in der Realität.

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Erfolgversprechender erscheint mir daher der Ansatz, die Anbieter von sozialen Netzwerken und Suchmaschinen dazu zu zwingen, bestimmte Inhalte künftig um eine öffentliche Richtigstellung zu ergänhen. Hitlers Buch "Mein Kampf" ist in Deutschland inzwischen in kritisch kommentierten Fassungen wieder erhältlich. Warum also nicht auch Hassaufrufe und Falschmeldungen weiter zirkulieren lassen, aber ergänzt um Kommentare, die aufzeigen, wohin der Hass führt, oder die die Falschmeldung als solche entlarven? Ich denke, dass diese Vorgehensweise mehr zur Aufklärung der Bevölkerung und damit zur Sicherung des friedlichen Zusammenlebens beitragen, als Zensur und Werbestopp.

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