Nebulös

Mobilfunk-Strategie: Zu wenig Marktvertrauen und zu viel Unverbindlichkeit

Prof. Dr. Torsten J. Gerpott setzt sich kritisch mit der aktu­ellen „Mobil­funk­stra­tegie“ der Bundes­regie­rung ausein­ander.
Von Torsten J. Gerpott

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Foto: Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Jüngst ist es populär geworden, Deutsch­land bei der Abde­ckung mit Mobil­funk­netzen ein Niveau zu beschei­nigen, das dem Anspruch einer global führenden Indus­trie­nation nicht gerecht wird. Die Bundes­regie­rung hat diese Kritik nicht unbe­eindruckt gelassen. Sie reagierte u.a. dadurch, dass das Bundes­minis­terium für Verkehr und digi­tale Infra­struktur (BMVI) am 09.09.2019 eine „Mobil­funk­stra­tegie ... zur Beschleu­nigung von Planung, Geneh­migung und Ausbau von 4G- und 5G-Netzen“ [Link entfernt] veröf­fent­lichte. Die Stra­tegie umfasst einen „5-Punkte-Plan“.

Schlie­ßung von Lücken im 4G-Netz

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Foto: Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Als ersten Punkt nennt das Minis­terium die „Schlie­ßung von Lücken im 4G-Netz“. Sie soll durch Ermitt­lung einer „effek­tiven Kombi­nation“ von vier Maßnahmen erfolgen. Die Ausfüh­rungen zu den vier Maßnahmen wieder­holen im wesent­lichen Über­legungen, die von der Bundes­regie­rung bereits am 10.07.2019 in ihren Schluss­folge­rungen zur Arbeit der Kommis­sion „Gleich­wertige Lebens­verhält­nisse“ im Bundes­gebiet vorge­stellt wurden.

Hierzu gehört zuvor­derst, bei in den nächsten Jahren frei werdenden Mobil­funk­frequenzen auf Verstei­gerungen zu verzichten. Sie könnten statt­dessen verlän­gert werden, wenn sich die Mobil­funk­netz­betreiber zu Inves­titionen zur Erhö­hung der Flächen­deckung und zu stär­keren Koope­rationen unter­einander verpflichten, damit Kunden aller Anbieter nicht unge­wollt unter­wegs offline bleiben.

Auktion war 17 Prozent güns­tiger

Die Ergeb­nisse der im Juni been­deten Frequenz­auktion spre­chen jedoch dafür, dass dieses Miss­trauen gegen­über Verstei­gerungen als trans­parentem und objek­tivem Verga­bever­fahren unbe­gründet ist. Dort wurde nämlich pro Mega­hertz mit 15,6 Millionen EUR nicht über­trieben viel, sondern sogar 17 Prozent weniger als vier Jahre zuvor bezahlt. Außerdem wurde der wett­bewerbs­zuträg­liche Markt­eintritt eines vierten Anbie­ters (Dril­lisch) ermög­licht.

Bei einer bloßen Verlän­gerung bestehender Frequenz­zutei­lungen der etablierten Betreiber wäre der Newcomer allein schon aufgrund seiner Benach­teili­gung beim Zugang zu Frequenzen lang­fristig kaum über­lebens­fähig. Durch eine Abkehr von Verstei­gerungen als Verfahren zur Frequenz­vergabe würde die Bundes­regie­rung zeigen, dass sie unter dem massiven, über mehr als zwei Jahre aufge­bauten Lobby­druck der Mobil­funk­groß­konzerne einge­knickt ist.

Regio­nales Roaming

Mit dem Verweis auf „stär­kere Koope­rationen […] unter­einander“ hält man sich die Option offen, Betreiber zu verpflichten, ihre Netze in länd­lichen Gebieten Konkur­renten zugäng­lich zu machen. Ein solcher Zwang zum „regio­nalen Roaming“ vernichtet jedoch Inves­titi­onsan­reize, falls der Ersterbauer sein Netz für Wett­bewerber zu nied­rigen Vorleis­tungs­preisen öffnen muss. Er kann sich so weniger positiv von der Konkur­renz abheben und wird deshalb eher auf den Ausbau dünn besie­delter Gebiete verzichten.

Das BMVI erwägt zwei­tens ein „Förder­modell“ für Kommunen, damit diese Stand­orte für Basis­stationen errichten, die von den Mobil­funk­netz­betrei­bern genutzt werden. Diese Idee ist prin­zipiell gut. Sie sollte jedoch auch die staat­liche Subven­tionie­rung der kommu­nalen Erschlie­ßung von betriebs­wirt­schaft­lich nicht renta­blen 5G-Stand­orten sowie deren Anbin­dung an Glas­faser­trans­port­netze einbe­ziehen.

Leider fehlen außerdem (ein weiteres Mal) Aussagen dazu, wie viele Gelder bis wann und mit welchem Verfahren ausge­zahlt werden sollen. Ein derar­tiges Förder­programm, das als dritte Maßnahme nicht versorgte Gebiete (weiße Flecken) durch Vergabe an den Betreiber schließt, der hierfür den geringsten Zuschuss fordert, hätte längst gestartet werden können und müssen. Wenn es dieses Programm gibt, entpuppt sich die unter Punkt 1 benannte poten­zielle vierte Maßnahme der Errich­tung einer „Mobil­funkin­frastruk­turge­sell­schaft“ des Bundes eben­falls als eine über­flüs­sige und kost­spie­lige Demons­tration vermeint­licher Entschlos­senheit der Regie­rung.

Vier weitere Punkte

Auch die übrigen vier Punkte der Stra­tegie über­zeugen nicht. Unter dem zweiten Punkt „Deutsch­land zum Leit­markt für 5G entwi­ckeln“ wieder­holt das Minis­terium ledig­lich bereits begon­nene Initia­tiven wie das im Juli 2017 ange­kündigte und erst nach zwei Jahren (!) [Link entfernt] konkre­tisierte „5G-Inno­vati­onspro­gramm“ [Link entfernt] und führt Meilen­steine, wie die Abde­ckung von 10 Städten mit 5G-Netzen bis Ende 2021, auf, deren Errei­chung man nicht selbst verant­wortet.

Der dritte Punkt „Bereit­stel­lung und Nutzung geeig­neter Stand­orte verbes­sern“ bleibt im Unver­bind­lichen. Beispiels­weise zeugt die Maßnahme „Einrich­tung eines ressort­über­grei­fenden Runden Tischs zu Akzep­tanz des Mobil­funk­ausbaus und Fragen des Strah­lenschutzes“ eher von Hilf­losig­keit, denn von inhalt­lich klaren Hand­lungs­vorstel­lungen.

Der vierte Punkt „Verein­fachung und Beschleu­nigung von Planungs­verfahren“ beschränkt sich bescheiden darauf, acht Maßnahmen wie die Stär­kung der Bedeu­tung des Mobil­funks im Baupla­nungs­recht „prüfen“ zu wollen. Prüf­aufträge sind im poli­tischen Geschäft ein bekanntes Mittel, um die Lösung komplexer Probleme in die ferne Zukunft zu vertagen. Außerdem ist nicht ersicht­lich, warum das BMVI es versäumt, klar­zustellen, dass etwaige Verän­derungen im Baupla­nungs-, Bauord­nungs- und Tele­kommu­nika­tions­recht zur Verrin­gerung des Zeit­bedarfs für die Erschlie­ßung neuer Mobil­funk­stand­orte auch Fest­netze mit berück­sich­tigen sollten.

Im letzten Punkt „Bereit­stel­lung von Infor­mationen über ein elek­troni­sches Portal“ wird die Konso­lidie­rung von „Infor­mationen über verfüg­bare Infra­struk­turen, Grund­stücke und Liegen­schaften des Bundes“ in einer Daten­bank adres­siert. Sie ist ohne Zweifel sinn­voll. Der Bund hat aller­dings hier nicht hinrei­chend Vorga­bekom­petenzen, so dass allen­falls auf sehr lange Sicht prak­tisch bedeut­same Verbes­serungen bezüg­lich der Infor­mati­onslage zu erwarten sind.

Resümee

Immerhin ist der neuen „Mobil­funk­stra­tegie“ von Minister Scheuer zu beschei­nigen, dass sie nahtlos an die Linie seines Vorgän­gers Dobrindt anknüpft: Auch er war Meister darin, in nebu­lösen Äuße­rungen den Eindruck zu vermit­teln, dass der Bund den Aufbau von Mobil­funk­netzen als Element der Daseins­vorsorge stark mitge­stalten müsste und könnte. Tatsäch­lich wird er aber in einer Markt­wirt­schaft gene­rell und seit knapp 30 Jahren in Deutsch­land im Beson­deren mit guten Ergeb­nissen in erster Linie durch Entschei­dungen der Anbieter im Wett­bewerb geprägt.

Zur Person

Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott leitet den Lehr­stuhl für Unter­nehmens- und Tech­nolo­giepla­nung, Schwer­punkt Tele­kommu­nika­tions­wirt­schaft an der Mercator School of Manage­ment Duis­burg der Univer­sität Duis­burg-Essen.

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