Statement

Gerpott: Neues Mobilfunk-Netz durch Fusion nicht abwegig

Der anerkannte Telekommunikation-Experte Prof. Torsten J. Gerpott nimmt im Exklusiv-Interview mit teltarif.de Stellung zur aktuellen Fusion von United Internet und Drillisch.
Von Thorsten Neuhetzki

Torsten J. Gerpott Torsten J. Gerpott
Foto: ZfTM e.V.
Am vergangenen Freitag haben United Internet und Drillisch bekannt gegeben, dass sie künftig gemeinsam agieren werden. Damit entsteht auf dem Markt ein neuer, vierter großer deutscher Anbieter mit insgesamt etwa 7,7 Millionen Mobilfunkkunden. Das ist zwar deutlich weniger, als die drei Netzbetreiber zu bieten haben, dennoch ist die Konstellation bedeutsam für den Markt. Wie bedeutsam, dazu haben wir mit Prof. Torsten J. Gerpott gesprochen. Gerpott forscht zu Management­fragen von Telekom­munikations-Unternehmen sowie Marketing­möglichkeiten auf dem Telekommunikationsmarkt. Er ist Professor an der Universität Duisburg-Essen und dort Leiter des Lehrstuhls Unternehmens- und Technologieplanung, Schwerpunkt Telekommunikationswirtschaft

Hat Sie der Schritt von United Internet und Drillisch überrascht oder war es der Zusammenschluss, den Sie am ehesten erwartet hätten?


Torsten J. Gerpott: Nein, der Schritt hat mich nicht überrascht. Es gab ja schon vorher eine Beteiligung von United Internet an Drillisch, die jetzt in mehreren Schritten aufgestockt werden soll. Herr Dommermuth ist nicht dafür bekannt, nur über Minderheitsbeteiligungen attraktive Finanztransaktionen zu tätigen, sondern er will Beteiligungen auch unternehmerisch weiter entwickeln. Ich hatte daher schon mit einer Aufstockung gerechnet – auch vor dem Hintergrund des Versatel-Deals im Jahr 2014.

Welche Vorteile sehen Sie für die beiden Unternehmen?


Gerpott: Ohne dass ich die technischen Strukturen von United Internet und Drillisch im Detail kenne, vermute ich, dass 1&1 zukünftig weniger Vorleistungen bei Vodafone und Telefónica im Mobilfunk einkaufen muss, sondern mehr auf die Kapazitäten der Drillisch bei Telefónica zurückgreifen kann. Hier hat Drillisch Zugriff auf bis zu 30 Prozent der Kapazitäten des Netzes zu besonders attraktiven Konditionen. Dadurch dürfte es für United Internet günstiger werden. Umgekehrt wird Drillisch in die Lage versetzt, auch Bündelangebote mit Festnetzkomponenten leichter als bisher zu vermarkten. Weiter wird es Einsparmöglichkeiten in etlichen administrativen Bereichen geben, etwa im Controlling, in der IT oder im Regulierungsmanagement.

Erwarten Sie, dass mit der vorhandenen Infrastruktur und den Möglichkeiten im Vertrag zwischen Drillisch und Telefónica in den nächsten Jahren ein neuer Mobilfunk-Netzbetreiber entstehen wird?


Gerpott: Tendenziell denke ich, dass – wenn die neue Unternehmensgruppe es wirklich ernst meint, mit der Absicht, sich zu einer starken vierten Kraft im Mobilfunkmarkt zu entwickeln, – die beiden Unternehmen bei den anstehenden Frequenzvergaben nicht nur eine Beobachterrolle einnehmen können. Die bisherigen UMTS-Lizenzen um 2 GHz werden in den kommenden zwei Jahren neu vergeben, möglicherweise auch noch weitere Frequenzen. Hier müssen sich Drillisch und United Internet schon gut überlegen, ob sie nicht mit dabei sein wollen. Ich halte es deshalb nicht für abwegig, dass Drillisch bzw. 1&1 United Internet über den Wholesalemarkt hinaus selbst in eigene Frequenzen investieren könnte.

Telefónica ist jetzt der einzige der vier großen Anbieter im Mobilfunkmarkt, der keine eigene Festnetzinfrastruktur hat. Sehen Sie den Anbieter damit im Nachteil?


Gerpott: Das war eines der zentralen Diskussionsthemen zwischen dem bisherigen Telefónica -Chef Thorsten Dirks und mir. Dirks vertrat stets die Meinung, Telefónica bzw. davor E-Plus brauche in Deutschland kein Festnetz. Die Kunden würden entweder reine Mobilfunkleistungen buchen oder man könne selektiv Festnetzbausteine als Wholesale-Leistungen einkaufen. Meine eigene Einschätzung war und ist da eine andere. Die Integration verschiedener Felder wie Festnetz und Mobilfunk ist vorteilhaft – sowohl bei der Vermarktung als auch von den Kosten und der Netzseite her. Trotz des Widerspruchs, den ich von höher entgoltener Stelle in dieser Sache erfahren habe, halte ich meine Position unverändert für tragfähig.

Wird der Zusammenschluss eher zu günstigeren oder höheren Preisen für die Endkunden führen?


Gerpott: Die Transaktion selbst wird nur begrenzten Einfluss auf die Preise haben. Drillisch und United Internet haben nichts zu verschenken. Die Kostensynergien, die erzielt werden, werden nicht ohne Not an die Kunden weitergegeben werden. Die Endkundenkosten werden eher von anderen Faktoren wie dem Ausmaß technisch bedingter Kostenverringerungen im Netz oder von Reguliererauflagen abhängen. Und wenn man sich die Größenverhältnisse zwischen den beiden sich nun zusammenschließenden Spielern im Vergleich zu den anderen drei Platzhirschen anschaut, dann ist der neue Unternehmensverbund nicht so riesig, als dass er die Führungsposition im Markt einnehmen könnte. Die Vorteile des Zusammenschlusses liegen hier eher bei den Aktionären der beiden Unternehmen, ich sehe sie aber nicht bei den Endkunden im Markt.

Denken Sie, dass es ein Fehler von Telekom und Vodafone ist, ihre LTE-Netze nur so spärlich für Wettbewerber zu öffnen bzw. an diese zu vermieten?


Gerpott: In der Vergangenheit hat sich durchweg gezeigt, dass durch Netzöffnung für Service-Provider eigentlich alle profitiert haben. Also sowohl diejenigen, die Wholesale-Produkte verkaufen, als auch jene, die sie einkaufen und dann weitervermarkten. Dadurch hat sich der Markt schneller entwickelt. Bei den beiden Altsassen herrscht unverändert die alte Richtschnur "Um Gottes Willen, nur kein Wholesale, das könnte unser eigenes Geschäft kannibalisieren" vor. Diese Sicht sollten die beiden Betreiber noch mal überprüfen.

Können Sie die Einschätzung bestätigen, dass Kunden eines Kombiangebots aus Festnetz, Mobilfunk und Fernsehen (wie z. B. MagentaEINS) "treuere" Kunden sind, die nicht so schnell wechseln?


Gerpott: Ja, alle Untersuchungen, die wir selbst in Deutschland durchgeführt haben, aber auch die empirischen Studien, die es auch aus anderen Ländern gibt, zeigen einhellig, dass die Churn-Wahrscheinlichkeit bei Bündelangeboten signifikant sinkt, weil Bestandskunden einen viel größeren Aufwand zu tragen haben, wenn sie wechseln würden. Wenn es um nur ein Produkt wie den Mobilfunkanschluss geht, ist man eher bereit, die Mühen eines Wechsels zu tragen, da sie überschaubar bleiben.

Danke für das Gespräch.

Das Interview wurde am 15. Mai 2017 telefonisch geführt.

teltarif.de-Podcast zur Drillisch-Fusion

Torsten J. Gerpott Torsten J. Gerpott
Foto: ZfTM e.V.
In unserem Podcast "Strippenzieher und Tarifdschungel" besprechen wir in der aktuellen Folge die Übernahme von Drillisch durch United Internet. Hier können Sie direkt in die Folge reinhören oder als MP3 herunterladen:

Rund um die Drillisch-Übernahme von United Internet

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