Papiervermeidung

Statt Papierakte: Bald dürfen Richter auf dem Touchscreen tippen

Gerichtssäle wirken wie aus der Zeit gefallen. Während draußen Menschen auf Smartphones starren und Virtual-Reality-Brillen kaufen, dominieren drinnen dicke Papierakten. Das bleibt nicht mehr lange so.
Von dpa /

Berge von Papierakten sollen im Gerichtssaal bald der Vergangenheit angehören Berge von Papierakten sollen im Gerichtssaal bald der Vergangenheit angehören
Bild: dpa
Im rheinland-pfälzischen Gerichtssaal der Zukunft steht der Staatsanwalt beim Verlesen der Anklageschrift hinter einem beweglichen Arm mit Monitor. Der Vorsitzende Richter bedient über eine Mediensteuerung den großflächigen Fernseher im Hintergrund. Die anderen Richter blättern über be­rührungs­empfind­liche Bildschirme blitzschnell elektronische Akten durch. Papierstapel und dicke Ordner: Fehlanzeige.

Im Justizministerium in Mainz demonstrieren Minister Herbert Mertin (FDP) und seine Mitarbeiter die Medientechnik, die ab Juni zunächst am Landgericht Kaiserslautern und dann bald in allen mehr als 250 Gerichtssälen des Landes zum Einsatz kommen soll. Ein Ministeriumssprecher hält es für den größten Umbruch in der Justiz seit der flächendeckenden Einführung der Computer. Seinerzeit wurde in den Gerichten von händischen auf elektronische Karteikarten umgestellt. Mertin sieht in der Umstellung eine "Mammutaufgabe".

Zuschauer sehen momentan keine Bilder oder Beweisstücke

Berge von Papierakten sollen im Gerichtssaal bald der Vergangenheit angehören Berge von Papierakten sollen im Gerichtssaal bald der Vergangenheit angehören
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Derzeit bekommt die Öffentlichkeit meist wenig zu sehen, wenn Bilder und Videos an der Richterbank angeschaut werden. In Zukunft kann der Richter sie an die Wand projizieren - dann sehen auch Zuschauer etwas. Eine spezielle Dokumentenkamera kann sogar Beweisstücke wie zum Beispiel eine Tatwaffe, einen Ehering oder ein Gebiss erfassen. "Das ist ja auch schön, wenn man die Inaugenscheinnahme mit dem Täter nicht am Richterpult machen muss - wenn da das Tatmesser liegt", sagt Jan Keppel, Projektleiter Sitzungssaalausstattung im Ministerium.

Sachverständige können künftig ihren eigenen Laptop mitbringen und über ein spezielles Kabel mit dem System verbinden, um Dokumente zu zeigen. Ins Netz der Justiz komme man mit dem HDMI-Kabel aber nicht, versichert Keppel. Das sei speziell geschützt. "Der Landesbetrieb Daten und Information schottet uns nach außen ab." Die rund 5000 Mitarbeiter der Justizbehörden seien nicht abgekoppelt - könnten zur Recherche auch mal Facebook benutzen -, säßen aber hinter einer Mauer.

Für die Digitalisierung der Justiz ist auch eine Umstellung auf elektronische Akten notwendig. Anwälte können ihre Klageschriften schon ab dem 2. November digital senden - und nicht mehr in vier- oder fünffacher Ausfertigung auf Papier wie bisher. Das bedeutet auch, dass für die Zeit der Umstellung diese Dokumente alle bei Gericht ausgedruckt werden müssen. "In einer Übergangsphase werden wir mehr Papier brauchen als bisher. Wie viel? Keine Ahnung", sagt Mertin.

Papierdokumente müssen rechtssicher eingescannt werden

Gleichzeitig muss das, was weiterhin in Papierform eingereicht wird, ab Juni kommenden Jahres eingescannt werden, und zwar über das rechtssichere Scanverfahren Resiscan. "Da gibt es viele Vorgaben, das ist technisch aber auch sehr personalintensiv", sagt Keppel. Wer als Bürger etwas elektronisch einreichen möchte, braucht dafür einen sicheren Weg, zum Beispiel ein Programm mit einer elektronischen Signatur oder eine De-Mail.

Klar ist: Bis spätestens Anfang 2026 muss die komplette Umstellung abgeschlossen sein. Das hat der Gesetzgeber so vorgeschrieben. Der Zeitrahmen sei relativ knapp, meinen die Beteiligten des Projekts "eJustice rlp". Deswegen arbeiten sie mit den anderen Bundesländern zusammen, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen. "Wir müssen den ganzen Quatsch nicht selbst neu entwickeln, sondern wir übernehmen das und adaptieren es für unsere Verhältnisse", sagt Mertin.

19,4 Millionen Euro sind in Rheinland-Pfalz bis 2023 für die Anschaffung von Geräten, Software, Lizenzen sowie die Schulung und Wartung vorgesehen. Einige Millionen kommen noch für die Ausrüstung im Bereich Strafrecht hinzu. Für die Übergangszeit wird es ab dem kommenden Jahr bis 2020 zusätzlich 30 Stellen geben.

Ob langfristig mehr Personal nötig wird, ist laut Mertin unklar. "Eines ist Fakt: Die Papierakten hin- und herschieben - das wird es zukünftig nicht mehr geben." Es würden keine Wachtmeister gebraucht, die Akten über den Flur tragen. Dafür würden andere Kräfte eingestellt, welche zum Beispiel die Technik betreuen. Erst nach 2026, wenn alle Justizbeamten nur noch an Bildschirmen arbeiteten, könne Bilanz gezogen werden. Eines aber verspricht Mertin schon heute: "Der Bürger wird noch auf ewig auch Papier einreichen können."

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