Wer spricht

WhatsApp statt Wählscheibe: Stirbt das Telefonieren aus?

Die Zahl der Festnetzanschlüsse sinkt. Junge Menschen schicken Text und Sprachnachrichten. Stirbt das Telefon aus?
Von mit Material von dpa

Beim Kurbeltelefon musste das "Frollein vom Amt" angeklingelt werden. Sie (oder er) vermittelten dann das gewünschte Gespräch. Beim Kurbeltelefon musste das "Frollein vom Amt" angeklingelt werden. Sie (oder er) vermittelten dann das gewünschte Gespräch.
Foto: Picture Alliance / dpa
Vom Fest­netz ruft nur noch Mutti an, die Nichte schreibt per WhatsApp. Stirbt das Tele­fo­nieren aus? Im Berliner Museum für Kommu­ni­ka­tion haben sie einen Spitz­namen: die „grauen Mäuse“. Viele Besu­cher bleiben vor den Tele­fonen mit den Wähl­scheiben stehen. Die älteren werden da nost­al­gisch. Kinder fragen: Wie geht das? Und was ist das für eine komi­sche Scheibe?

Die grauen Tele­fone gehörten im Westen Deutsch­lands zu den 70er Jahren wie Helmut Schmidt und VW-Käfer. In groß­müt­ter­li­chen Haus­halten bekamen sie eine Broka­thülle verpasst, was regel­mäßig die Tech­niker der Deut­schen Bundes­post zum Wahn­sinn trieb, wenn sich der Hörer im Brokat­deck­chen verhakte und dadurch die Verbin­dung nicht richtig getrennt wurde.

Auf der Wähl­scheibe standen ordent­lich notiert die Nummern von Notruf und Feuer­wehr. Was ein „Display“ ist, wusste noch kein Mensch.

Wer ruft hier an?

Beim Kurbeltelefon musste das "Frollein vom Amt" angeklingelt werden. Sie (oder er) vermittelten dann das gewünschte Gespräch. Beim Kurbeltelefon musste das "Frollein vom Amt" angeklingelt werden. Sie (oder er) vermittelten dann das gewünschte Gespräch.
Foto: Picture Alliance / dpa
Es waren die Zeiten, als man noch nicht sehen konnte, wer anruft. Kinder lernten, sich mit Vor- und Nach­namen zu melden. Ein einfa­ches „Hallo“ war undenkbar. Hatte man es nicht recht­zeitig zum Telefon geschafft, musste man warten, bis sich der Anrufer wieder meldete: Chance verpasst!

Wenige Gegen­stände erzählen so viel darüber, wie sich der Alltag verän­dert hat, wie Tele­fone. Heute sieht das graue Modell vorsint­flut­lich aus - ein Relikt aus der Zeit, als unver­hei­ra­tete Frauen noch „Fräu­lein“ hießen. Für Bürger der dama­ligen DDR waren Tele­fon­an­schlüsse wie so vieles Mangel­ware. Im Osten sei es typisch gewesen, zur Begrü­ßung in den Büros das Wort „Teil­nehmer!“ ins Telefon zu bellen.

Handy verdrängt Tele­fon­zelle

Mit dem Zeit­alter der Handys wurde vieles anders. Tele­fon­zellen am Stra­ßen­rand oder an belebten Plätzen verschwanden: Waren es 2006 noch 110.000, so sind es mitt­ler­weile nur noch um die 20 000. Auch die Zahl der Fest­netz­an­schlüsse sinkt. Zählte die Deut­sche Telekom 2010 noch 36 Millionen Anschlüsse, waren es vergan­genes Jahr 27,9 Millionen.

Daheim klin­gelt es also immer weniger. Auch bei den Gesprächs­mi­nuten gehen die Kurven nach unten, beson­ders beim Fest­netz, aber auch beim Mobil­funk. „Die Tele­fon­kultur verschwindet“, schrieb das US-Magazin „The Atlantic“. Der Befund: Keiner nimmt noch ab, wenn es klin­gelt.

Hilfe ein Anruf?

In der Fern­seh­serie „Das Puber­tier“ erschrickt die Teen­ager-Tochter, als auf einmal ein Junge auf dem Handy anruft. Sie nimmt lieber erstmal nicht ab. Tele­fo­nieren, das ist für manche in Zeiten von WhatsApp, SMS und Mail zu etwas Intimem geworden. Eine Kolum­nistin des Maga­zins „Edition F“ mag es lieber schrift­lich: „Ein Anruf kommt mir oft vor wie ein Über­fall aus dem Hinter­halt. Man weiß nie, wobei man den anderen gerade stört.“

Ist jetzt wirk­lich Funk­stille? Ruft nur noch Mutti an? Ganz so dras­tisch ist es nicht, viele nutzen auch Inter­net­dienste wie WhatsApp zum Tele­fo­nieren. Für 2018 sagte eine Studie der Unter­neh­mens­be­ra­tung Dialog Consult, dass im Schnitt in Deutsch­land 896 Millionen Minuten am Tag gespro­chen wird. Das ist weniger als vor ein paar Jahren, aber deut­lich mehr als noch 1998. Und durch­schnitt­lich sind es täglich um die 13 Minuten pro Person ab 16 Jahren.

Es ist also nicht so, dass gar nicht mehr tele­fo­niert wird. Es passiert eher auf anderen Drähten als früher. „Das würde ich so unter­schreiben“, sagt der Studi­en­autor Torsten Gerpott von der Univer­sität Duis­burg-Essen. „Dass wir gar nicht mitein­ander reden, zeigen die Statis­tiken nicht.“ Denn: Die Text­nach­richt passt nicht für jede Lage. „Immer wenn es auf den Kontext und auf Zwischen­töne ankommt, werden wir auch weiter das klas­si­sche Gespräch nutzen.“

Neue Kommu­ni­ka­tion

Klar ist: Die Jüngeren kommu­ni­zieren anders als die Älteren. „Ich schreib' dir noch mal“, sagt die Nichte - und meint damit die Text­nach­richt über WhatsApp. Torsten Gerpott kennt das von seinen vier Kindern. Die melden sich beim Papa fast nur über WhatsApp. „Dass mich einer anruft, kommt am Geburtstag vor.“

Beliebt sind bei den Nutzern von Messenger-Diensten wie WhatsApp auch die Sprach­nach­richten. Laut einer Studie des Digi­tal­ver­bandes Bitkom verschickt mehr als die Hälfte diese gespro­chenen Botschaften - bei den Jüngeren zwischen 14 und 29 Jahren sind es demnach sogar rund drei Viertel. Auf der Straße sieht das fast so aus, als würden die Leute in ihr Handy beißen, wenn sie Nach­richten aufnehmen. Ein typi­sches Bild für den Telefon-Alltag im Jahr 2018.

Und wie sieht die Zukunft aus? Bald könnte alles Mögliche zum Telefon werden - Brille, Kopf­hörer, Klei­dung, heißt es bei der Telekom.

Wichtig ist die Sprache, siehe die Laut­spre­cher­sys­teme, mit denen man reden kann. „Gene­rell gehen wir davon aus, dass Kommu­ni­ka­tion immer wichtig bleiben wird, denn sie ist ein mensch­li­ches Urbe­dürfnis“, erklärt Telekom-Spre­cherin Verena Fulde. Nur die Art der tech­ni­schen Unter­stüt­zung werde sich ändern. „Das Smart­phone werden wir bald im Museum bewun­dern können.“

Nost­algie: Die Zeit­an­sage

Wer sich richtig nost­al­gisch fühlen möchte, kann die Zeit­an­sage anrufen. Die gibt es immer noch. An normalen Tagen werde diese „viele hundertmal“ ange­rufen, so die Telekom. Beson­ders gefragt ist sie an Silvester, um pünkt­lich auf den Jahres­wechsel anstoßen zu können. Die Ansage klingt fast wie früher. Eine Frau­en­stimme wünscht einen guten Tag, sagt das Datum und dann: „Beim nächsten Ton ist es 16 Uhr 10 Minuten und 10 Sekunden. Piep.“

Es gibt eine offi­zi­elle Rufnummer der Zeit­an­sage der Deut­schen Telekom. Die lautet 01804-100100 und kostet aus dem Fest­netz einmalig 20 Cent pro Anruf und vom Handy 42 Cent pro Minute (Takt 60/60). Oder man wählt die Rufnummer 040-42 89 90, dann kostet es bei einer Flat­rate ins deut­sche Fest­netz gar nichts, ansonsten den Fest­netz­tarif.

Tele­fo­nieren mit dem Sprach­com­puter

Es gibt aber auch Markt­for­scher, die glauben, dass wir in Zukunft mehr mit Sprach­dia­log­sys­temen (Abkür­zung IVR für Inter­ac­tive voice Response) tele­fo­nieren. Das sind die von manchen gehassten "Bitte wählen Sie 1 für dies und 2 für das oder 3 für noch was anderes"-Systeme.

In einer Bilderübersicht präsentieren wir moderne Festnetz-Telefone mit Wählscheiben-Optik.

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