ÖPNV

Editorial: Warten auf das einfache Handy-Ticket

ÖPNV und Smartphone versprechen beide Mobilität - finden aber nicht zusammen. Tarifbestimmungen sind den Anbietern wichtiger als Einfachheit
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Touchpoint für elektronisches Ticketing Solche Touch-Points für das Handy-Ticket gab es schonmal. Sie wurden wieder abmontiert, weil das System nicht ausgereift war.
teltarif.de
Viele Milliarden Euro leistet die Bundesregierung jährlich als Zuschüsse für den öffentlichen Personennahverkehr. Daher verwundert, dass sie diese Zuschüsse nicht mit Auflagen verbindet, beispielsweise ein gewisses Mindestangebot an Bus- und Bahnfahrten, damit diese sich überhaupt als Alternative zum Auto eignen, oder einen gewissen Mindeststandard für den Zustand von Haltestellen, Bahnhöfen und Fahrzeugen, damit man überhaupt Lust hat, mit dem ÖPNV zu fahren. Doch bis heute gibt es noch nicht einmal ein einheitliches System, um Tickets für den ÖPNV zu erwerben.

Immerhin können über den DB Navigator, die offizielle App der Deutschen Bahn, Tickets für 25 verschiedene Verkehrsverbünde erworben werden. Das ist angesichts von 37 Verkehrsverbünden, die die Wikipedia alleine für Bayern aufzählt, aber eben nur ein kleiner Teil des Angebots.

Zudem ist der Weg zum Ticket über den DB Navigator nicht immer einfach. Mal schnell auf dem Weg zur Berliner U-Bahn-Haltestelle eine "Einzelfahrkarte Berlin AB" zu erwerben, um ohne Papierticket und ohne die Gefahr streikender oder beschädigter Fahrkartenautomaten sofort einsteigen zu können, ist kaum zu schaffen. Man muss sich nämlich durch zig Einzelseiten kämpfen, bevor man ein Ticket auf das Smartphone erhält. Das beginnt mit der Auswahl des Verkehrsverbunds (BVG), der Region innerhalb des Verbunds (Berlin), der Ticketzone (AB) und des Tickettyps (Einzelfahrkarte). Doch dann muss man das Ticket noch "konfigurieren", ohne Angabe der Abfahrtshaltestelle kommt man nämlich nicht weiter. Hat man die eingegeben, muss man noch seine Kreditkartenangaben bestätigen.

In vielen Fällen dürfte man schon an der U-Bahn-Haltestelle angekommen sein, bevor das Ticket fertig konfiguriert und heruntergeladen wurde. Mal spontan in einen Bus einsteigen, der gerade vorbeifährt, und mit diesem eine Kurzstrecke über zwei Stationen mitzufahren, ist erst recht nicht möglich. Und klickt man auch nur einmal während des genannten Prozesses den Zurück-Button, weil man sich vertippt hat, darf man sein Ticket noch einmal ganz von vorne konfigurieren.

Ein Teil der ÖPNV-Ticket-Komplikationen mit der DB-Navigator-App rührt sicher daher, dass die Verkehrsverbünde verhindern wollen, dass man sich noch schnell ein Ticket "zieht", während die Fahrkartenkontrolleure schon die andere Hälfte des U-Bahn-Wagens kontrollieren. Andererseits sollte es auch andere Wege geben, auf denen eine App solchem Missbrauch vorbeugen können sollte: Bei oberirdischen verkehrenden Fahrzeugen sollte sich auch mit GPS erkennen lassen, ob man noch rennt oder schon Bus fährt. Und bei der U-Bahn sollten wiederum die Beschleunigungssensoren im Handy und das Protokollieren der lokalen Netze (WiFi-MACs und Mobilfunk-Zell-IDs) ausreichen, um festzustellen, ob man vor oder nach dem Ticketkauf abgefahren ist.

EDV-Steinzeit

Touchpoint für elektronisches Ticketing Solche Touch-Points für das Handy-Ticket gab es schonmal. Sie wurden wieder abmontiert, weil das System nicht ausgereift war.
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Gefühlt befinden sich die Verkehrsverbünde also weiterhin in der EDV-Steinzeit, als Computer noch Sensor-lose Großanlagen waren, denen die Eingaben per Lochkarte oder Magnetband übermittelt wurden. Wenn man aus Datenschutz-Gründen eine Mobilticket anbieten will, dass ohne Sensordaten auskommt, dann darf man aus denselben Datenschutzgründen auch die Abfahrtstation nicht abfragen. Stattdessen müsste der Kunde bei der besonders datengeschützten Ticketvariante darüber informiert werden, dass er frühestens zwei Minuten nach Ticketkauf abfahren darf. Dieses Zeitfenster sollte reichen, damit die Kontrolleure zwischen legalem Kauf auf dem Bahnsteig und illegalem Kauf im Zug unterscheiden können.

Dass es mit dem ÖPNV-Ticketing besser geht, beweist selbst London, wo man mit jeder kontaktlosen Kreditkarte am Startbahnhof in die U-Bahn einchecken und am Zielbahnhof wieder auschecken kann. Das kapieren dann auch Touristen, ohne, dass man ihnen den Unterschied zwischen einer Vierfahrtenkarte für eine Zone und einer Einzelfahrkarte für vier Zonen erklären muss. Vielleicht kann man mit einem so einfach gestalteten Bezahlsystem dann auch irgendwann zum neuen Berliner Flughafen fahren. Gebaut wird an diesem ja schon fleißig, am einheitlichen und einfachen mobilen Ticketsystem sicher auch.

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