Dinosaurier

Editorial: Stiefkind GSM

Einige Länder schalten den Mobilfunk der zweiten Generation insgesamt bzw. der ersten digitalen Generation (GSM) bereits ab. Warum wird das in Deutschland nicht so schnell passieren?
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Wie lange wird der GSM-Standard noch überleben Wie lange wird der GSM-Standard noch überleben?
Bild: dpa
5G steht vor der Tür, erste Testnetze werden bereits dieses oder spätestens nächstes Jahr in Betrieb gehen. Da verwundert es, dass 2G/GSM, der vor zweieinhalb Jahrzehnten eingeführte erste digitale Mobilfunkstandard überhaupt, weiterhin in Betrieb ist, und sogar weiterhin in großem Umfang Endgeräte verkauft werden, die nur mit GSM kompatibel sind. Selbst, wenn einzelne Länder wie die USA nun die GSM-Abschaltung forcieren: In Deutschland wird das GSM-Netz sicher noch jahrelang weiterbetrieben werden. Das verursacht - eigentlich unnötige, aber letztendlich selbstverschuldete - Millionenkosten bei den Netzbetreibern.

Ein Problem ist beispielsweise, dass derzeitige 3G- und 4G-Mobilfunkchips vielfach aufwändiger sind als 2G-Chips. Um kompatibel zum Standard zu sein, müssen 3G-Modems den 3G-Datenstrom mit 3,75 Millionen Signalen pro Sekunde verarbeiten können, selbst wenn eine konkrete Anwendung beispielsweise nur einige hundert Bit pro Sekunde überhaupt überträgt. Als Beispiel seien GPS-Tracker genannt, die regelmäßig oder auf explizite Anforderung ihre per GPS-Sensor ermittelten Koordinaten an einen Server übermitteln. Warum sollten die Hersteller von GPS-Trackern teure 3G-Modems verbauen statt billiger 2G-Modems, wenn GSM/GPRS für diese Anwendung vollkommen ausreichend ist?

Billigmodems ohne 2G?

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Grundsätzlich lässt sich bei 4G-Modems das Problem der vom 3G-Standard bekannten hohen und komplexitätstreibenden Symbolrate umgehen, denn der 4G-Standard teilt die bis zu 20 MHz breiten Funkkanäle in zahllose Subbänder von gerade mal 15 kHz Breite. Doch erst vor kurzem wurde mit "Narrowband IoT" eine Erweiterung des LTE-Standards verabschiedet, mit der sich wirklich einfache (und damit kostengünstige) und zugleich leistungsfähige Mobilfunkmodems für schmalbandige Anwendungen entwickeln lassen, die im Regelfall tatsächlich direkt auf einem dieser Subcarrier senden und empfangen.

Es wird noch dauern, bis sich NB-IoT als Standard durchsetzt. Denn bevor nicht in (fast) allen Ländern, in denen z.B. GPS-Tracker in großen Stückzahlen verkauft werden, jeweils mindestens ein Netzbetreiber mit guter Netzabdeckung sein 4G-Netz auf NB-IoT erweitert hat, haben die Hersteller dieser Geräte kaum Anlass, ihre Produkte von 2G- auf 4G-Modems umzustellen. Zwar wird von Protagonisten erwartet, dass in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren die Zahl der hergestellten NB-IoT-Geräte die Billionengrenzen überschreitet, entsprechend über 100 NB-IoT-Geräten pro Einwohner weltweit: Stromzähler, Wasserzähler, Kühlschrank, Waschmaschine, Mülltonne, Lichtschalter - eigentlich überall wird nach Ansicht dieser Protagonisten ein Mobilfunk-Chip drin sein. Wenn die NB-IoT-Welle rollt, werden andere Modems schnell aussterben. Nur: Noch rollt die NB-IoT-Welle nicht.

Nächstes Sorgenkind: Einfach-Telefonie

Doch nicht nur GPS-Tracker zum Diebstahlschutz oder fernsteuerbare Waschmaschinen brauchen günstige Mobilfunkchips, sondern auch Einfachhandys, die nur zum Telefonieren dienen. Auch für diese gilt, dass ein 3G-Chip viel teurer ist als ein 2G-Chip. Mit 4G würde sich das Problem wieder reduzieren lassen, wenn, ja, wenn Voice over LTE, kurz VoLTE, denn wirklich schon fertig wäre. Derzeit unterstützen vor allem High-End-Smartphones den neuen Sprachstandard im nun wirklich nicht mehr ganz so neuen 4G-Netz. Bis zu den einfach-Handys scheint es noch ein weiter Weg zu sein.

Drittes Sorgenkind: Netzausbau

Keiner der Netzbetreiber hat 3G/UMTS auch nur annähernd so dicht ausgebaut wie 2G/GSM. Das liegt vor allem an den höheren Frequenzen von 2100 vs. 900 MHz. Zwar könnte man mit UMTS-900 eine ähnliche Abdeckung erreichen wie mit GSM-900, doch möchte keiner der Netzbetreiber dazu GSM abschalten oder zumindest die Zahl der verfügbaren GSM-Kanäle drastisch reduzieren.

LTE-800 erreicht aufgrund der niedrigeren Frequenz und einiger technologischer Verbesserungen im LTE-Standard im Vergleich zu GSM bei gleichen Senderstandorten eine bessere Netzabdeckung als GSM. Doch hat bis jetzt in Deutschland kein Netzbetreiber sein LTE-Netz entsprechend ausgebaut. Als nur ein riesiges 3G/4G-Funkloch sei die U-Bahn in Berlin genannt, in der bisher überhaupt nur einer der drei Netzbetreiber mehr bietet als 2G.

Fazit: Auch wenn einige Länder wie die USA und Australien aktuell den Ausstieg aus GSM/2G betreiben und Japan das dortige 2G-Netz (das auf einer anderen Technologie als GSM basierte) sogar bereits vor Jahren abgeschaltet hat: Die meisten Länder werden GSM noch für Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte, weiter betreiben. Auch in Deutschland hat noch kein Netzbetreiber konkrete Ausstiegspläne. Es gibt einfach noch keinen Nachfolger im Einfach-Segment.

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