Telekom kündigt ISDN: Ein Tal (fast) ohne Telefon & Mobilfunk
Warnhinweis: Auf 15km haben Telekom Kunden kein Netz, Vodafone anfangs GSM, o2 höchstens mit Außenantenne und Verstärker.
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Die Bundesnetzagentur hat in ihre viel diskutierten Auflagen zum Mobilfunkausbau hineingeschrieben, dass bis 2025 alle Bundesstraßen versorgt sein müssen. Im gerade geänderten Telekommunikationsgesetz drohen drakonische Strafen, wenn die Versorgung nicht hinhaut.
Das berühmte Funkloch
Warnhinweis: Auf 15km haben Telekom Kunden kein Netz, Vodafone anfangs GSM, o2 höchstens mit Außenantenne und Verstärker.
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
In Rheinland-Pfalz führt die Bundesstraße B37 unter anderem von 67098 Bad Dürkheim nach 67468 Frankenstein durch das romantische "Jägerthal". Die Strecke ist bei Ausflüglern beliebt, es gibt dort einige sehr empfehlenswerte Gasthäuser und Hotels, wo eine Einkehr lohnt. Doch Vorsicht: Dieses Tal ist über weiter Strecken ein einziges Mobilfunkloch auf etwa 15 km Strecke.
Die dortigen Betriebe, Wohnungen und Gasthäuser im Tal nutzen Festnetztelefonie überwiegend über ISDN. Das hat "all die Jahre ganz brauchbar funktioniert", wenn nicht starker Regen das über 100 Jahre alte Telefonhauptkabel über den Berg nach Weidenthal mal wieder "erwischt" hat. Dann konnte es drei Wochen dauern, so berichten Betroffene, bis ein Telekom-Techniker darüber informiert wurde und sich in den tiefen Wald aufmachte, um das Kabel zu reparieren. Es soll 100 Doppeladern haben, aber nur etwa 30 seien noch funktionsfähig, heißt es.
Das Jägerthal gehört postalisch zu 67098 Bad Dürkheim (Vorwahl 06322), aber telefontechnisch zu Weidenthal (Vorwahl 06329), weil es vor 100 Jahren kostengünstiger war, das Kabel von dort über den Berg zu verlegen. Technologien wie virtuelle Anschlüsse ("Fremdanschaltung") oder "Rufumleitungen" gab es damals noch nicht. Mit Einführung des "Telefonnahbereichs" im letzten Jahrhundert war nur noch die andere Vorwahl zu beachten, tariflich konnten die Kunden zum "Ortstarif" miteinander sprechen.
Telekom kündigt ISDN
Kürzlich bekamen die Talbewohner Post von der Telekom: Ihr ISDN-Anschluss wird gekündigt. Die Alternative: VoIP, Telefonie über das Internet. Da aber die Leitungen viel zu lang sind, wäre es in den allermeisten Fällen auf MSAN (analoge Leitung mit IP-Modem in der Vermittlungsstelle) hinausgelaufen. Also kein Internet, kein Fax (mehr) und nur noch eine Rufnummer, vielleicht auch eine zweite.
Glasfaser - jetzt oder später oder doch nicht?
Dem Landkreis Bad Dürkheim, worin dieses Tal liegt, ist die Problematik bekannt. Im Rahmen einer Ausschreibung bekam das saarländische Unternehmen "inexio" den Zuschlag, das Tal mit Glasfaser bis ins Haus gefördert auszubauen. Weil aber die Baukonjunktur brummt, könnte der Auf- und Ausbau erst 2021 erfolgen, sagt inexio.
Und bis dahin? Wären die Gewerbebetriebe in ihrer Existenz bedroht. Der Südwestrundfunk (SWR) [Link entfernt] berichtete ausführlich. Lautstark klagten Anwohner, bei der Telekom keinen festen Ansprechpartner zu finden, ja einigen sei sogar per Brief MagentaTV angeboten worden, was bei diesen langen Leitungen "technisch unmöglich" ist.
teltarif.de fragt nach
teltarif.de-Autor Henning Gajek kennt die Gegend wie seine Westentasche. Seit über 20 Jahren veranstaltet er in diesem Tal ein "Mobilfunkexperten-Treffen ohne Netz", wo Fachleute und technisch Interessierte über den Mobilfunk, seine Möglichkeiten und aktuelle Entwicklungen diskutieren. Verbindungen waren ab und zu möglich, beispielsweise über Satelliten-Netze (von Iridium oder Inmarsat). Das "Funkloch-Treffen" genießt bei den Besuchern eine Art Kultstatus. Hochrangige Vertreter der deutschen Mobilfunkindustrie waren schon im Tal und lernten, wie sich so ein Funkloch anfühlt.
Nachdem teltarif.de bekannt wurde, was den Telefonkunden in dem Tal blühen könnte, haben wir ein wenig recherchiert.
Da liegt eine Faser, aber...
Im Jägerthal liegt bereits eine Glasfaser, jedoch nicht von der Deutschen Telekom, sondern vom privaten Anbieter inexio. Diese sei, so war zu erfahren, auf Initiative der dortigen Papierindustrie verlegt worden. Dafür wurde viel Geld in die Hand genommen, die Glasfasertrasse verläuft von Altleiningen (bei Grünstadt) über weite Strecken mitten durch den einsamen Wald.
Schon damals hatte inexio einigen Gastbetrieben im Tal einen Anschluss an diese Glasfaser angeboten, so erinnert sich ein Gastronom. Dabei seien Preise im "vierstelligen" Bereich (für den einmaligen Anschluss) und im "hohen dreistelligen Bereich" für den monatlichen Betrieb genannt worden. Der Gastronom wurde inzwischen auf DSL umgestellt und hat das Glück, "gerade noch mit DSL 2000 aus Bad Dürkheim" versorgt zu sein. "Internet und Telefon parallel geht aber gar nicht", berichtet er, der seinen Anschluss über die Firma Vodafone gebucht hat, die aber ihre TAL-Leitungen und den Bitstream-Anschluss von der Deutschen Telekom bezieht.
inexio gewinnt Ausschreibung
Erst kürzlich hatte inexio im Zuge der staatlichen Breitbandförderung die Ausschreibung für den Cluster des Landkreises Bad Dürkheim gewonnen. Nun könnte die bereits vorhandene Glasfaser ergänzt und zur Versorgung der Betriebe und privaten Anwohner verwendet werden. Da aber in der Tiefbaubranche bekanntlich alles "ausgebucht" ist, soll es bis zum Jahr 2021 dauern, bis inexio alle Anschlüsse legen und auch einschalten kann.
Antwort aus Bonn: Gnadenfrist für ISDN
Wie teltarif.de erfuhr, hatte die Deutsche Telekom schon mit inexio über die Mitnutzung dieser Glasfaser verhandelt, aber ohne Ergebnis.
Aufgrund der Nachfrage durch teltarif.de kündigte die Deutsche Telekom an, für die betroffenen ISDN-Kunden die Kündigungen bis zum 30. September 2019 auszusetzen. In der Tat: Einige Kunden wurden bereits durch die Telekom darüber informiert.
Denkbare Alternativen
Folgende Lösungen zeichnen sich ab: Geprüft wird, ob symmetrisches DSL (SDSL) helfen könnte. Dabei lassen sich durch Parallelschaltung von Kupferleitungen Geschwindigkeiten von bis zu 20 MBit/s (symmetrisch!) pro Anschluss erzielen, sofern es noch genügend Kupferleitungen dafür gibt. Dieses Produkt nennt die Telekom "Deutschland-LAN-Connect-IP" (kurz DCIP). Es richtet sich speziell an Geschäftskunden, da es deutlich teurer als ein Standard-Anschluss ist.
Parallel ist die Deutsche Telekom mit einem Satellitenbetreiber in Gesprächen, um den Kunden, denen aufgrund der extremen Entfernungen kein ausreichender Breitbandanschluss über ein Kabel mehr angeboten werden kann, helfen zu können. Per Satellit könnten solche Gebiete sowohl mit Internet als auch mit Fernsehen versorgt werden.
Telekom plant Satelliten-Angebot für weit abgelegene Standorte
Die Deutsche Telekom plant, bis zum Jahresende ein eigenes, neues Satellitenprodukt einführen, das zusätzlich auch Telefongespräche per Satellit ermöglicht. Betroffenen Kunden werde der Kundenservice ein entsprechendes Angebot noch innerhalb der Kündigungsfrist machen.
Und der Mobilfunk?
Wir haben auch die löchrige Mobilfunk-Versorgung in diesem Tal analysiert: Es wird derzeit von Vodafone über einen ehemaligen NATAO-Sendemasten versorgt, nur nicht durchgehend und nur mit GSM (2G). Das Vodafone-Signal reicht dann - je nach Wetterlage bis zur Hälfte des Tales. Dahinter konnte mit einer werkseitig eingebauten Telefonanlage in einem Audi A6 mit o2 telefoniert werden, abhängig von Bewaldung und Wetterlage.
Die "beste Netz der Telekom" meldet zwischen Bad Dürkheim, Ortsteil Hardenburg und dem Ruheforst auf der Frankensteiner Höhe derzeit durchgehend "Kein Netz".
Laut Telekom sei "ein Ausbau mit Funkmasten aus Wirtschaftlichkeitsgründen" nicht geplant. Aufgrund der aktuellen Ausbauauflagen der Netzagentur dürfte dieses Tal bald doch versorgt werden, vermutlich sobald die Regeln für eine staatliche Ausbauförderung des Mobilfunks aufgestellt und in Kraft gesetzt sind.
Solche Fälle wie das Jägerthal gibt es in Deutschland unzählige. Anhand solcher "Einzelfälle" werden diese Probleme auf einmal verständlich und zeigen anschaulich, dass hier Politik und Netzbetreiber eine wichtige Aufgabe haben, die sie schnellstmöglich lösen müssen.