Editorial: Streit um alte Patente
Nostalgische Zeiten: Blackberry Bold 9780
Foto: Björn Brodersen
Die Überschrift klingt übertrieben, aber sie ist dennoch richtig:
"WhatsApp und Facebook in Deutschland verboten".
Denn tatsächlich hat Smartphone- und Messaging-Pionier Blackberry vor
dem Landgericht München ein Urteil errungen, mit dem sie die Abschaltung
von WhatsApp, Facebook, Facebook Messenger und Instagram erzwingen können.
Zwar ist das Urteil noch nicht rechtskräftig, sondern kann (und wird) vor
der nächsten Instanz, dem Oberlandesgericht München, angegriffen werden.
Doch gegen Hinterlegung einer Sicherheitsleistung kann Blackberry dennoch
in Deutschland die sofortige Vollstreckung bewirken, sprich die
Abschaltung aller genannten Apps des Facebook-Konzerns. Und die
Sicherheitsleistung hat das Gericht mit 1 bis 1,6 Millionen Euro
angesichts der überragenden Bedeutung der genannten Social-Media-Apps
sehr niedrig angesetzt.
Dennoch wird die Abschaltung so schnell nicht kommen - in den kommenden Tagen und Wochen werden Blackberry und der Facebook-Konzern sicher erstmal miteinander verhandeln. Denn am Ende will Blackberry ja Geld sehen - da macht es eigentlich keinen Sinn, die Einnahmequelle des Gegners zum Erliegen zu bringen. Nur als Ultima Ratio, falls Facebook sich sämtlichen Verhandlungen komplett verweigert, macht es Sinn, ein solches Urteil doch zu vollstrecken.
Uralte Patente?
Nostalgische Zeiten: Blackberry Bold 9780
Foto: Björn Brodersen
Aber worum geht es überhaupt? Nun, Blackberry war der erste, der
Smartphone-Messaging in den
Massenmarkt einführte. Lange vor dem iPhone hatten die Tastatur-Smartphones
aus dem Hause Blackberry Kultstatus unter Geschäftsreisenden. War es doch
mit diesen Geräten erstmalig möglich geworden, "mal schnell" unterwegs
eine E-Mail zu beantworten, ohne umständlich erstmal den Laptop aufklappen,
Datenstick einstecken, mobil online gehen, E-Mails abrufen, dann kurz
die Antwort schreiben und schließlich zum Versand erneut mobil online gehen
zu müssen. Als Apple mit dem iPhone aber ein Smartphone vorstellte, das
nicht nur E-Mail, sondern auch zahlreiche weitere Anwendungen wie
Fotografie, Navigation, Internet-Browsing usw. usf. gut beherrschte,
konnte Blackberry nicht mehr mithalten.
Aus den Pionierzeiten besitzt Blackberry aber noch einige Patente, und offensichtlich ist es der Wunsch der Kanadier, diese Patente nun bestmöglich zu verwerten, bevor sie in einigen Jahren auslaufen. Zwar verabschiedet sich Blackberry damit vermutlich endgültig aus dem Consumer-Bereich, denn Meldungen über eskalierende Patentstreitigkeiten dürften in den kommenden Monaten das eh schon stark angekratzte Markenimage von Blackberry noch weiter ramponieren. Das ändert aber nichts daran, dass das Geschäftsmodell "Patentverwertung" sehr lukrativ sein kann.
Warum Streit in Deutschland?
Manch Nutzer mag sich fragen, warum der Streit gerade in Deutschland ausgetragen wird. Schließlich hat sich Blackberry weltweit Patente gesichert. Da es aber kein international anerkanntes "Weltgericht" gibt, müssen Patente dennoch Land für Land durchgesetzt werden. Gerade, wenn die Kriegskasse für solche Rechtsstreitigkeiten nicht allzu prall gefüllt ist, wie bei Blackberry sicher der Fall, wird man aber davor zurückschrecken, in vielen Ländern gleichzeitig zu klagen, sondern sich zunächst auf ein Land fokussieren.
Für die erste Klage wird man ein Land wählen, das groß genug ist, dass eine positive Entscheidung dort den jeweiligen Gegner auch schmerzt, andererseits aber klein genug, dass das Gerichtsverfahren aufgrund der Streitwerte nicht zu teuer wird. Zudem wird der Kläger auch darauf achten, ein Land zu wählen, in dem die Gerichte generell dazu tendieren, die Ansprüche des Patentinhabers anzuerkennen, und wo die Verfahren zügig abgewickelt werden.
Alle genannten Kriterien sind in Deutschland bezüglich Patentklagen erfüllt. Hinzu kommt noch der weitere Vorteil, dass sich der Patentinhaber in Fällen wie diesem das Gericht, vor dem er klagt, sogar frei aussuchen kann: Die von Blackberry vermutete Patentverletzung passiert ja durch Facebook-Apps in München ebenso wie in Hamburg, Stuttgart oder Buxtehude. Also ist grundsätzlich jedes Gericht in Deutschland für eine solche Klage zuständig. Andere Länder sammeln solche Verfahren hingegen oft an einem zentralen Patentgericht.
Nun, offensichtlich hat Blackberry bei der Wahl des Gerichts alles richtig gemacht, die Runde eins im Patentstreit ging klar an sie. Dabei hat Blackberry mit dem Landgericht München das Gericht gewählt, das in Patentstreitigkeiten in Deutschland als wohl am erfahrensten gilt. Von daher hat Blackberry gute Chancen, dass das Urteil auch in den Folgeinstanzen bestätigt wird. Facebook wird zwar dennoch versuchen, die Blackberry-Patente für nichtig erklären zu lassen. Die Chancen darauf sind aber nicht besonders hoch: Der physische Blackberry war bis zur Ankunft des iPhone auch deswegen konkurrenzlos, weil Blackberry seinen Dienst wirklich gut optimiert hatte. Es macht beispielsweise einen Unterschied, ob eingehende E-Mails sofort auf ein Handy gestreamt werden, oder ob das Gerät nur alle 30 Minuten die dann jeweils neuen E-Mails abruft. Und Facebook Messenger, WhatsApp und Co. hätten ihrerseits nicht den aktuellen Erfolg, wenn sie nicht dieselben Optimierungen eingearbeitet hätten, wie damals der Blackberry. Es dürfte also schwierig werden, einen erfolgreichen Messenger-Dienst aufzusetzen, der nicht irgendwelche alten Blackberry-Patente verletzt.
Sollten die Blackberry-Patente in Deutschland bestätigt werden, hätte das auch sicher Auswirkungen auf die anderen EU-Länder. Dortige Gerichte würden sich wahrscheinlich nicht die Mühe machen, nochmals das ganze Verfahren aufzurollen, wenn das finale deutsche Urteil gut verständlich und in sich schlüssig ist. Andere Weltregionen werden hingegen komplett unabhängig entscheiden, da dort das Patentrecht - anders als in der EU - nicht harmonisiert ist.
Erinnerungen an Blackberry
Und was haben nun die Nutzer davon? Nun, sollte Blackberry obsiegen, haben sie immerhin die Gewissheit, mit ihrem Apple- oder Android-Smartphone mit darauf installiertem WhatsApp auch "ein kleines Stück Blackberry" in der Hand zu halten, auch, wenn nur in Form von Patenttantiemen, die Facebook an Blackberry zahlt. Noch ist Blackberry also nicht tot.