Reise-Komfort

Deutsche Bahn: So wird die Bahn­steig­kante intelligent vernetzt

Der Bahnsteigkante wurde jahrzehntelang keine Beachtung geschenkt - jetzt wird sie digital und soll verhindern, dass alle Passagiere in Trauben durch dieselbe Tür einsteigen wollen. Auf der CEBIT zeigt die Bahn das Konzept.
Von der CEBIT in Hannover berichtet

Erste Version der Bahnsteigkante, wie sie momentan in Stuttgart erprobt wird. Erste Version der Bahnsteigkante, wie sie momentan in Stuttgart erprobt wird.
Bild: teltarif.de / Alexander Kuch
Die Bahnsteigkante war über Jahrzehnte einfach nur eine Plattform, auf der die Reisenden, die aus dem Zug ausstiegen, als erstes ihre Füße setzten. Später erfüllte die Bahnsteigkante dann auch eine Warnfunktion: Durch eine aufgemalte weiße Linie hielt sie die Wartenden vom Gleis fern. In einigen Bahnhöfen kamen in den vergangenen Jahren haptische Elemente hinzu, an denen sich Blinde und Sehbehinderte orientieren können.

Doch nun hält die Digitalisierung auch bei der Bahnsteigkante Einzug. Allerdings kann man der Plattform kaum vorwerfen, dass sie bisher "dumm" war - denn auch die Menschen auf dem Bahnsteig zeigen mitunter ein Verhalten, das eher dem einer Schafherde gleichkommt. Wir erinnern uns an eine Begebenheit in der Münchner U-Bahn vor einigen Jahren, als der Zugführer genervt, aber in feinstem Bayrisch über Lautsprecher ausrief: "Der Zug hat 18 Türen, da müssts ihr net alle an derselben einschdeign!"

Auf der CEBIT zeigt die Deutsche Bahn nun das Konzept einer intelligenten und vernetzten Bahnsteigkante, die die Menschen entsprechend der aktuellen Situation lenken soll, damit nicht einzelne Zugabteile übervoll sind, während in anderen fast niemand sitzt. Erste Version der Bahnsteigkante, wie sie momentan in Stuttgart erprobt wird. Erste Version der Bahnsteigkante, wie sie momentan in Stuttgart erprobt wird.
Bild: teltarif.de / Alexander Kuch

Der Mensch ist ein Herdentier

Auf dem CEBIT-Messestand der Bahn stand ein Abteil eines neuartigen Zuges, in dem zukünftige Techniken für Bahnreisende zu sehen waren. Direkt vor dem Zug war ein Abschnitt einer Bahnsteigkante montiert, in die die intelligenten und vernetzten Steine eingelassen waren.

Die Bahn hat das System nicht selbst entwickelt, sondern arbeitet in diesem Fall - wie öfters mittlerweile - mit einem jungen Startup zusammen. Der Geschäftsleiter des Berliner Startups Siut, Jörn Reinhold, gab uns bereitwillig über den aktuellen Entwicklungszustand Auskunft. Es sei eine Ehre für sein Startup, mit der Bahn in diesem Bereich zusammenarbeiten zu dürfen.

Die intelligente Bahnsteigkante ist übrigens mehr als nur eine Idee - sie wird nämlich bereits in der Praxis erprobt. Seit 26. Februar betreibt die S-Bahn Stuttgart am Bahnsteig 2 des Bahnhofs Stuttgart-Bad Cannstatt für die S-Bahnen der Linien 1, 2 und 3 den ersten Entwicklungsschritt der Firma Siut im Probebetrieb. Die im Bahnsteig verlegten Lichtfaserbeton-Steine lassen sich von Computern ansteuern, um über die Leuchtpunkte Muster, Pfeile oder verschiedenfarbige Signale abzugeben.

Laut Jörn Reinhold wurde auf eine intuitive Verständlichkeit der Lichtsignale Wert gelegt. Weiß das System, dass einige Wagen bereits recht voll sind, werden die wartenden Fahrgäste durch Pfeile zu der Stelle geleitet, wo gleich weniger volle Abteile halten werden. Durch die Ampelfarben wird signalisiert, ob man momentan an einer guten oder schlechten Stelle des Bahnsteigs steht: Rot bedeutet, dass man ins Abteil entweder nicht mehr reinkommt oder darin sicher stehen muss, Gelb bedeutet, dass man vielleicht sogar einen Sitzplatz bekommt und Grün zeigt an, dass das Abteil nur schwach besetzt ist und noch Platz bietet.

Dem Konzept liegen Studien zugrunde, die auf einfacher Beobachtung der Fahrgäste beruhen: Oft bleiben die Wartenden direkt am Treppenaufgang oder am Raucherbereich stehen oder sie stellen sich zu einer schon existierenden Menschentraube einfach dazu. Bei der Lenkung durch die Bahnsteigkante fließen also Daten aus dem Zug ein sowie die Daten von Wärmebildkameras, die den Bahnsteig überwachen. Auf dem Sockel die zweite Variante des intelligenten Betonsteins nach Nutzer-Rückmeldungen aus Stuttgart Auf dem Sockel die zweite Variante des intelligenten Betonsteins nach Nutzer-Rückmeldungen aus Stuttgart
Bild: teltarif.de / Alexander Kuch

Erste Erfahrungen und Bahnsteigkante Version 2

Laut Jörn Reinhold zeigen die bisherigen Tests in Stuttgart-Bad Cannstatt vielversprechende Ergebnisse - die Fahrgäste seien viel besser auf die Abteile verteilt als anderswo und es gebe deutlich weniger Gedränge.

Allerdings bestätigte Reinhold ein Phänomen, das uns beim Besichtigen der intelligenten Bahnsteigkante auch schnell aufgefallen war: Bei hellem Licht sind die verschiedenen Farben der Boden-Lämpchen oft nur schwer zu unterscheiden und insgesamt leuchten die Elemente der intelligenten Bahnsteigkante zu schwach. Dies haben auch erste Rückmeldungen aus Bad Cannstatt gezeigt.

Das Startup Siut hat darum bereits die zweite Variante der leuchtenden Betonsteine entwickelt, und auch diese war auf dem Messestand zu besichtigen. Die Leuchtelemente sind nun deutlich größer, leuchten viel heller und erinnern an die Segmentanzeige einer Digitaluhr. Zu einer endgültigen Einführung des Systems auf breiter Basis hat sich die Bahn noch nicht geäußert. Es ist aber zu erwarten, dass die intelligente Bahnsteigkante zunächst eher im Nahverkehr zum Einsatz kommt als im Fernverkehr, bei dem es Sitzplatzreservierungen gibt.

Neu gestalteter Einstiegsbereich im Ideenzug auf der CEBIT Neu gestalteter Einstiegsbereich im Ideenzug auf der CEBIT
Bild: teltarif.de / Alexander Kuch
Der auf dem Messestand ausgestellte Ideenzug ist ein 1:1- Modell eines Doppelstockwagens mit 22 Themenwelten, die laut der Bahn "eine neue Wohlfühlatmosphäre mit digitalen Serviceangeboten zu einem einzigartigen Reiseerlebnis im Regionalverkehr der Zukunft" verknüpfen sollen. Das Konzept des Zuges beinhaltet Ruhezonen, ein Gaming-Modul für Teenager, ein Kinderparadies, einen Familienbereich, ein Public-Viewing-Modul für Sportfans und sogar ein kleines Sportstudio mit digitalem Fitnesscoach. Auf der CEBIT sind allerdings nur die drei Module Einstieg, Public Viewing und Mehrzweckbereich zu sehen, über eine VR-Brille wird der Rest vorgeführt. Was davon tatsächlich einmal praktisch umgesetzt wird, steht allerdings noch nicht fest.

Alle unsere Berichte von der Messe finden Sie auf unserer Übersichtsseite zur CEBIT.

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