Breitbandnetze: Bundesregierung ohne Konzept und Mut
Vor kurzem veröffentlichte die Bundesregierung ihre Schlussfolgerungen zur Arbeit der Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ [Link entfernt] im Bundesgebiet.
Nachfolgend wird analysiert, inwiefern von den Regierungsempfehlungen Impulse zur Verbesserung der Versorgung Deutschlands mit leistungsstarken Breitbandnetzen vor allem in ländlichen Regionen ausgehen.
Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Regionen
Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Foto: Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
In Deutschland wird häufig beklagt, dass sich die Qualität der verfügbaren öffentlichen Infrastruktur (Verkehrswege/-mittel, Einrichtungen des Bildungs-/Gesundheits-/Kulturwesens, Behörden, Netze zur Telekommunikation (TK)) zwischen städtischen und ländlichen Regionen deutlich und im Zeitablauf zunehmend unterscheidet. Diese Kritik bezieht sich insbesondere auch auf Breitbandverbindungen über Fest- und Mobilfunknetze.
So belief sich Ende 2018 die Versorgungsquote privater Haushalte in Deutschland bei Breitbandanschlüssen mit einer Empfangsgeschwindigkeit von 50 Mbit/s (1 Gbit/s) in städtischen Gebieten mit mindestens 500 Einwohnern pro km2 auf 95,2 Prozent (38,8 Prozent), in ländlichen Gemeinden mit weniger als 100 Einwohnern pro km2 hingegen auf 64,1 Prozent (7,7 Prozent).
Um zu zeigen, dass man ein solches Stadt-Land-Gefälle nicht schulterzuckend hinnimmt, rief die Bundesregierung im Juli 2018 die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ mit sechs Facharbeitsgruppen (FAG) ins Leben. Dabei entwickelte die FAG 4 „Technische Infrastruktur“ unter dem Vorsitz des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur in zwei Unterarbeitsgruppen „Breitbandausbau“ und „Mobilfunk“ bis Mai 2019 u.a. Maßnahmenempfehlungen zur Verbesserung der Verfügbarkeit von leistungsstarken Internetzugängen in der Fläche. Diese Empfehlungen nutzten die drei direkt beteiligten Ministerien des Inneren, für Landwirtschaft und für Familie zur Ableitung von „Schlussfolgerungen“, die von den Ressortchefs am 10. Juli 2019 höchstpersönlich verkündet wurden und mit denen sie „effektive und sichtbare Schritte hin zu einer Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ (S. 8; Seitenangaben beziehen sich auf das verlinkte Dokument [Link entfernt] ) noch bis zum regulären Ende der laufenden 19. Legislaturperiode im Jahr 2021 gehen wollen. Ziel des nachfolgenden Artikels ist es, die Qualität zentraler Schlussfolgerungen der Bundesregierung aus den Kommissionsempfehlungen zum „Ausbau digitaler Infrastruktur“ (S. 19) auszuleuchten.
Breitbandförderprogramme und Infrastrukturgesellschaft
Die Bundesregierung empfiehlt „Investitionen in den Ausbau digitaler Infrastruktur in der Fläche voranzutreiben“ und deren finanzielle Absicherung über „die Bereitstellung ausreichender Mittel des Bundes und der Länder im Rahmen eigenständiger Breitbandförderprogramme“ (S. 19) zu betreiben. Budgetbezogen und zeitlich konkretisierende Aussagen zu angestrebten Änderungen oder Erweiterungen bestehender Subventionsinitiativen zumindest des Bundes bleiben die drei Ministerien hingegen komplett schuldig. Ebenso lassen sie offen, welche zusätzlichen administrativen Verbesserungen man bei der praktischen Umsetzung von bereits laufenden Förderprogrammen des Bundes für geboten hält.
Weiter fordert die Bundesregierung dazu auf, „die Idee einer [staatlichen] Infrastrukturgesellschaft zur Bereitstellung von Mobilfunktechnologie zu prüfen, um den Ausbau und den Betrieb solcher Infrastrukturen in all jenen Gebieten zu gewährleisten, in denen sich private Anbieter nachweislich nicht in der Lage sehen, dies auf wirtschaftliche Art und Weise selbst zu tun“ (S. 19). Sieht man davon ab, dass ein bloßer Prüfauftrag jeglichen Zeitdruck aus Prozessen zur Gründung einer solchen Staatsgesellschaft nimmt, so werden auch an dieser Stelle materielle Themen nicht einmal im Ansatz diskutiert. Beispielsweise wird nicht reflektiert, anhand welcher Kriterien (z.B. Zahl der verfügbaren Netzbetreiber) die Gesellschaft Regionen bestimmen will, in denen sie aktiv wird, inwieweit es dort für etablierte Mobilfunknetzbetreiber (MFNB) einen Anschlusszwang geben soll und ob bzw. wie Vorleistungspreise gefordert bzw. gebildet werden sollen, um die Wirtschaftlichkeit der Gesellschaft zu verbessern. Kein Argument wird bemüht, um zu überzeugen, warum ein Staatsunternehmen ungeachtet seiner beachtlichen Vorlaufzeiten und -kosten zur Verkleinerung von Mobilfunkversorgungslücken eine bessere Lösung sein könnte als andere Ansätze. Zu einschlägigen Alternativen gehören etwa die Vergabe von Zuschüssen für den Ausbau in bestimmten Regionen an im Markt aktive MFNB oder die Beseitigung von regulativen Hürden im Bau- und Umweltrecht, die heute die Errichtung neuer Basisstationen verlangsamen oder ganz unmöglich machen. Hier drängt sich die Vermutung auf, dass die operative Hektik der Bundesregierung rund 30 Jahre(!) nach dem Beginn des Betriebs von digitalen Mobilfunknetzen in Deutschland hauptsächlich dem öffentlichen Hype geschuldet ist, der sich seit 2018 im Kontext der Versteigerung von Mobilfunkfrequenzen, die für Netze der fünften Generation (5G) verwendet werden können, entwickelt hat.
Unklare Ausbauziele
Ebenso überaus nebulös ist die Empfehlung „zur Verbesserung der Mobilfunkversorgung in ländlichen Räumen noch im Jahr 2019 weitere ambitionierte Ausbauziele zu vereinbaren“ (S. 19). Die Schlussfolgerungen quantifizieren nicht einmal näherungsweise, welche Ausbauziele die Bundesregierung für sachgerecht hält. Ebenso lassen sie ungeklärt, wie sichergestellt werden soll, dass die Ziele einen hohen Verbindlichkeitsgrad (für die etablierten MFNB?) aufweisen.
Fehleinschätzung von lokalem Roaming
Schließlich schlagen die drei Ministerien vor, „den Wettbewerb im Mobilfunkbereich aktiv zu beleben, indem die Möglichkeiten des neuen europäischen Telekommunikationsrechts im Telekommunikationsgesetz voll umgesetzt werden (z.B. ... lokales Roaming)“ (S. 20). Damit wird auf Artikel 47 (Abs. 1 und 2 lit. b), 52 (Abs. 2) und 61 (Abs. 4) der EU-Richtlinie 2018/972 vom 11.12.2018 „über den europäischen Kodex für elektronische Kommunikation“ Bezug genommen. Diese Vorschriften ermöglichen es dem deutschen Gesetzgeber, MFNB zu verpflichten, das eigene Netz in definierten Räumen für andere Betreiber, die dort (noch) keine Infrastruktur errichtet haben, zu öffnen, damit Letztere ihren Endkunden in dem Gebiet ebenfalls TK-Dienste zugänglich machen können. Sie knüpfen die Option der Auferlegung eines Zwangs zum lokalen Roaming jedoch an strenge Voraussetzungen. Er kann nur ausgeübt werden,
- „sofern keinem Unternehmen tragfähige und vergleichbare alternative Zugangswege zu den Endnutzern zu fairen und angemessenen Bedingungen zur Verfügung gestellt werden“ (Art. 61, Abs. 4, S. 1) und
- „wenn diese Möglichkeit bei der Erteilung der Frequenznutzungsrechte ausdrücklich vorgesehen wurde und
- wenn dies dadurch gerechtfertigt ist, dass in dem Gebiet ... unüberwindbare wirtschaftliche oder physische Hemmnisse für den marktgesteuerten Ausbau der Infrastruktur zur Bereitstellung funkfrequenzgestützter Netze oder Dienste bestehen, weshalb Endnutzer äußerst lückenhaften oder gar keinen Zugang zu Netzen oder Diensten haben“ (Art. 61, Abs. 4, S. 2).
Selbst nach der TKG-Änderung dürften Verpflichtungen zu lokalem Roaming speziell den Aufbau von 5G-Netzen kaum beschleunigen: In den nächsten Jahren können MFNB 5G-Basisstationen aufgrund noch fehlender Standards nicht mit einem 5G-Kernnetz, sondern nur über ihr 4G-Kernnetz als sogenannte Sekundärknoten [Link entfernt] miteinander verknüpfen.
Folglich würden Verpflichtungen zu lokalem Roaming für 5G-Frequenzen in die Nutzungsrechte früher ohne derartige Auflagen vergebener Frequenzen für 4G-Netze eingreifen. Für solche Interventionen lässt die EU-Richtlinie 2018/972 keinen Raum. Die nächste Neuvergabe von Flächenfrequenzen (im 800 MHz-Bereich) steht in Deutschland aber erst für 2026 an. Somit wird die politische Wunschvorstellung, durch lokalen Roaming-Zwang kurzfristig die flächendeckende Verfügbarkeit von 5G-Netzen merklich zu verbessern, auch durch technische Randbedingungen schlicht ausgehebelt.
Immerhin wird in einem Anhang zu den Schlussfolgerungen dokumentiert, dass die Unterarbeitsgruppe Mobilfunk der FAG 4 sich lediglich für eine Prüfung von „Möglichkeiten zur Auferlegung von ... lokalem Roaming in unterversorgten Regionen“ (S. 86) ausgesprochen hat. Anders als Spitzenvertreter der GRÜNEN, die zuvor ihre besondere Expertise im Bereich der TK-Regulierung gegenüber der Öffentlichkeit erfolgreich im Verborgenen halten konnten, stuft die Kommission lokales Roaming nicht als „Zauberwort“ (Robert Habeck und Oliver Krischer im Handelsblatt am 9.10.2018) und Allheilmittel zur Schließung von Mobilfunklücken ein. Stattdessen weist die FAG 4 differenzierend darauf hin, dass bei einer derartigen Verpflichtung „Auswirkungen auf den Wettbewerb und die Investitionsbereitschaft der Netzbetreiber abzuwägen sind“ (S. 86). Sie vermindert nämlich für MFNB den Anreiz, als Pionier eine nicht versorgte Region mit eigener Infrastruktur zu erschließen, wenn man Konkurrenten deren Mitbenutzung zu gestatten hat und den Trittbrettfahrern hierfür nur die „Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung“ im Sinn von § 32 TKG in Rechnung stellen darf. Solche wichtigen ökonomischen Aspekte greift die Bundesregierung in keiner Zeile auf.
Fazit und Handlungserfordernisse
Seit mindestens zehn Jahren mangelt es auf Bundesebene an einer wirtschaftspolitisch durchdachten Flankierung des Aufbaus leistungsstarker Fest- und Mobilfunknetze in der Fläche. Die aktuellen überaus vagen und zeitlich ohne Ehrgeiz angelegten Schlussfolgerungen der Bundesregierung zur Arbeit der Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ geben ebenfalls keine Impulse im Hinblick auf die Verbesserung der deutschlandweiten Versorgung mit derartigen Netzen. Die Regierung ist deshalb gefordert rasch neue Maßnahmen zu ergreifen. Zu den kurzfristig wichtigsten Handlungserfordernissen gehören:
- realistische Bürgerinformation dahingehend, dass ein flächendeckender schneller Internetzugang weder über Fest- noch Mobilfunknetze bis zum Ende der aktuellen Legislaturperiode im Jahr 2021 erreicht werden wird und kann,
- Vorgabe eines wirklichkeitsnahen Versorgungsziels für 1-Gbit/s-Glasfasernetzanschlüsse von 40 Prozent bis 45 Prozent der Privathaushalte bis zum Jahresende 2021,
- Beschleunigung staatlicher Genehmigungsverfahren für neue Basisstationsstandorte und Glasfaserstrecken,
- Verzicht auf den im Koalitionsvertrag vom Februar 2017 erwähnten, marktverunsichernden „rechtlich abgesicherten Anspruch“ auf einen flächendeckenden Zugang zum schnellen Internet zum Jahresbeginn 2025,
- weitere Entbürokratisierung der Genehmigungsprozesse im Bundesförderprogramm für Glasfaseranschlussnetze (z.B. keine Verfahrensverlangsamung für den Fall, dass Telekom Deutschland im Umfeld eines Subventionsantrags ihrer Wettbewerber ankündigt, im relevanten unterversorgten Gebiet VDSL-Anschlüsse einzurichten),
- sofortiger Start eines Bundesförderprogramms Mobilfunk zur Subventionierung von Basisstationen in nicht versorgten Regionen durch Mittelzuteilung an den MFNB, der den niedrigsten Zuschuss für den Standortaufbau/-betrieb im Verbund mit der Gewährung von Zugangsansprüchen an Wettbewerber fordert,
- Minimierung des investitionsfeindlichen Zwangs zu lokalem Roaming im Mobilfunk bei der Umsetzung der EU-Richtlinie 2018/972 in deutsches Recht.
Zur Person
Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott leitet den Lehrstuhl für Unternehmens- und Technologieplanung, Schwerpunkt Telekommunikationswirtschaft an der Mercator School of Management Duisburg der Universität Duisburg-Essen.