Hintergrund

Bots oder Menschen: Wer bestimmt die öffentliche Meinung?

Facebook, Twitter, Instagram: Soziale Medien spielen im Wahlkampf vor der Europawahl eine wichtige Rolle. Doch die Sorge vor gesteuerten Hetzkampagnen ist in Brüssel groß, auch weil Software-Roboter eingesetzt werden, um im Netz Stimmung zu machen.
Von dpa /

Europa-Wahlkampf: Seriöse Information oder Desinformation im Netz Europa-Wahlkampf: Seriöse Information oder Desinformation im Netz?
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Die Frisur sitzt, aber der Schal bereitet Probleme. Reza Kazemi zupft sich hektisch am roten Kaschmir, den er zu Hemd und offenem Sakko trägt. Gleich soll sein Vortrag über poli­ti­sche Kampa­gnen im Internet beginnen. Die Zuhörer in einem kleinen Konfe­renz­raum des Brüs­seler Euro­pa­par­la­ments warten bereits.

Kazemi nennt sich "Spin-Doctor" - ein Poli­tik­be­rater, der Aufträge von Parteien annimmt. Sein Job: Menschen zum rich­tigen Kreuz­chen zu bewegen. Und das, sagt er, gehe heute weniger über Werbe­spots, Plakate und Prospekte als durch Rele­vanz in sozialen Medien. Computer-gesteu­erte Debatten können Wahl­kämpfe ins Trudeln bringen; die Abwehr digi­taler Angriffe bereitet überall Kopf­zer­bre­chen. Denn ja, meint der Politik-Experte, im Internet herr­sche ein Kampf um die Meinungs­macht, oft mit unsau­beren Mitteln.

Hetz­kam­pa­gnen kommen schon nach kurzer Zeit

Die Abge­ord­neten des EU-Parla­ments, die gekommen sind, lauschen Kazemis Vortrag gespannt. Sie tagen zu einem Phänomen, das kurz vor der Euro­pa­wahl Ende Mai viele Poli­tiker Brüssel verun­si­chert. Bots und künst­liche Intel­li­genz - von den Begriffen haben sie alle schon gehört. Aber welche Bedeu­tung könnten sie für den Wahl­kampf zwischen Lissabon und Helsinki haben?

Kazemi erin­nert an einen Tag im Sommer 2015, als Bundes­kanz­lerin Angela Merkel ihren Account im sozialen Netz­werk Insta­gram eröff­nete. Es dauerte nur wenige Stunden, bis sich russi­sche Internet-Trolle auf ihrer Seite austobten. Fake-Nutzer schrieben unzäh­lige Kommen­tare wie "I love Putin" und "Putin is the best". Außerdem belei­digten sie Merkel. Die Bundes­re­gie­rung musste das Konto vorüber­ge­hend offline nehmen. Mitt­ler­weile sind die Hetz­kam­pa­gnen in den Kommen­tar­spalten deut­lich ausge­feilter - und sie können jeden treffen. Europa-Wahlkampf: Seriöse Information oder Desinformation im Netz Europa-Wahlkampf: Seriöse Information oder Desinformation im Netz?
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Troll-Fabriken: Social Bots agieren auto­ma­ti­siert

"Ein Troll ist ein Mensch hinter einer Soft­ware", erklärt Kazemi. Oft stammten die Angriffe aus Troll-Fabriken in Russ­land. Rund um die Uhr arbei­teten hier Tausende Menschen und steu­erten unzäh­lige Social-Media-Profile von Menschen, die gar nicht exis­tierten. Die Social Bots agierten dann auto­ma­ti­siert. "12 Menschen können so den Eindruck erwe­cken, als hätten 25 000 Menschen etwas geteilt", sagt Kazemi. Das wiederum führe zu großer Aufmerk­sam­keit - letzt­lich auch in den etablierten Medien.

Auch Paul Luko­wicz ist an diesem Abend ins Euro­pa­par­la­ment gekommen. Der 51-Jährige ist Leiter des Forschungs­be­rei­ches Einge­bet­tete Intel­li­genz am Deut­schen Forschungs­zen­trum für Künst­liche Intel­li­genz. "Als ich ein junger Mann war, musste man, um natio­nale Aufmerk­sam­keit zu bekommen, zu einer Zeitung gehen. Da war ein Filter, der darüber bestimmt hat, wer Aufmerk­sam­keit bekommt", erin­nert er sich. Heute sei das anders. Im Internet lasse sich mit der rich­tigen Technik Rele­vanz für etwas gene­rieren, das bislang zurecht als völlig irrele­vant gelte.

Aller­dings, so Luko­wicz, dürften Bots keines­wegs nur verteu­felt werden. "Inter­es­sant ist doch, dass wir in unserer Meinungs­bil­dung entschei­dend auf Bots ange­wiesen sind - nehmen Sie das Beispiel Google." Auch Such­ma­schinen seien Bots, die sich durch das Netz wühlten und auf Basis von Algo­rithmen nach Rele­vantem suchten. In Zukunft, meint Luko­wicz, würden wir noch viel stärker mit Bots kommu­ni­zieren. "Es geht also nicht darum, das Phänomen zu verwei­gern, sondern es so auszu­ge­stalten, dass es keinen Schaden verur­sacht."

Desin­for­ma­tion: Gezielte Verbrei­tung falscher Infor­ma­tionen

Genau über eine solche Gestal­tung wird in Brüssel seit Monaten disku­tiert. Denn die Sorge vor mani­pu­la­tiven Kampa­gnen ist vor der Euro­pa­wahl beson­ders groß. Unter dem Schlag­wort Desin­for­ma­tion machen sich die EU-Insti­tu­tionen darüber Gedanken, wie gegen die gezielte Verbrei­tung falscher oder irre­füh­render Infor­ma­tionen vorge­gangen werden könnte.

Bereits im Dezember stellte die EU-Kommis­sion einen Akti­ons­plan gegen Propa­ganda im Internet vor. Das Budget einer 2015 einge­rich­teten Task Force gegen russi­sche Einfluss­nahme wurde verdop­pelt und ein Schnell­warn­system, über das EU-Staaten Mani­pu­la­ti­ons­ver­suche melden können, auf den Weg gebracht. Außerdem verpflich­teten sich Platt­formen wie Face­book, Twitter und YouTube, Social Bots zu kenn­zeichnen oder zu löschen. Wie viel dies nützen wird, ist unklar. Manche EU-Staaten, insbe­son­dere aus Osteu­ropa, wünschen sich bereits eine deut­li­chere Antwort auf Hetz­kam­pa­gnen und Fake News.

Berater Kazemi jeden­falls zeigt sich unbe­ein­druckt. Solange der Meinungs­kampf in den Foren unge­zü­gelt weiter­geht, entwi­ckelt er für seine poli­ti­schen Mandanten eigene Lösungen. "Wir bauen Bots, die andere Bots zerstören", erklärt er und klingt ein biss­chen stolz. Seine Firma setze Fake-Profile ein, die darauf program­miert seien, Face­book andere Bots zu melden. Dann erkenne das Netz­werk fremde Bots wie auch eigene - und lösche am Ende alle.

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