Themenspezial: Verbraucher & Service Teuer

Einführung des kostenlosen EU-Roamings gefährdet

Die EU-Kommission will am Roaming ohne Aufpreis festhalten. Eine der wichtigsten Stellschrauben - die Großhandelspreise - bleiben jedoch auch nach Juni 2017 zu teuer.
Von Thorsten Neuhetzki /

EU-Kommissare Oettinger und Ansip EU-Kommissare Oettinger und Ansip.
Bild: European Union , 2016 / Source: EC - Audiovisual Service / Photo: Jean-François Badias
Eigentlich soll ab dem kommenden Jahr das Roaming in der EU komplett kostenlos werden. Doch wie genau das aussehen soll, weiß bis heute noch niemand.

Wir erinnern uns: Parlament und Rat der EU legten im Zusammenhang mit der Verordnung zum Roaming vom 25. November 2015 als politisches Ziel fest, die Roaming-Gebühren in der EU bis zum 15. Juni 2017 abzuschaffen. Als Voraussetzung dazu sollte der Großkunden-Roamingmarkt überprüft und neu reguliert werden. Zudem wurde den Anbietern die Möglichkeit der Anwendung einer Nutzungsgrenze (Fair Use Policy) in Aussicht gestellt.

Kommissions-Vorschlag bestand nur kurz

Schwierigkeiten stellten sich bei der Konkretisierung der Fair Use Policy ein: Nach deutlicher Kritik zog die EU-Kommission ihren letzten Vorschlag wieder zurück. Das Konzept sah vor, dass 90 Tage EU-Roaming pro Jahr und Vertrag kostenlos sein sollten, davon 30 Tage an Stück. Pendlern hingegen sollten keine Beschränkungen auferlegt werden.

Parlament, Kommission und Rat stecken nun im Dilemma, dass den Bürgern einerseits mehrfach der Wegfall der Roaming-Gebühren versprochen wurde. Bis heute bekräftigen die Kommissare Günther Oettinger und Andrus Ansip die Absicht zum EU-Roaming ohne Aufpreis. Andererseits ist völlig unklar, wie die Provider dies angesichts der teuren Großhandelskonditionen stemmen sollen.

Absenkung der Großhandelspreise gefordert

EU-Kommissare Oettinger und Ansip EU-Kommissare Oettinger und Ansip.
Bild: European Union , 2016 / Source: EC - Audiovisual Service / Photo: Jean-François Badias
Der Bundesverband der Verbraucherzentralen forderte wiederholt, die Großhandelspreise zu senken, um vor allem kleine Anbieter zu schützen. Einen entsprechenden Vorschlag hatte die EU-Kommission im Juni vorgestellt. Dieser sieht vor, die zulässigen Höchstpreise für Vorleistungsprodukte ab 15. Juni 2017 auf 4 Cent pro Gesprächsminute, 1 Cent pro SMS und 0,85 Cent pro Megabyte zu senken. Die Preise sollen bis 30. Juni 2022 gelten.

Beschlossen werden sollen sie jedoch nicht vor Dezember 2016, wenn auch die Fair Use Policy konkretisiert sein soll. Derzeit liegen die regulierten Großhandelskonditionen im Roaming bei 5 Cent pro Gesprächsminute, 2 Cent pro SMS und 5 Cent pro Megabyte.

Verbraucherschützern geht die Absenkung nicht weit genug

Der vzbv kritisierte die Absenkungen als "nicht ehrgeizig genug" und verwies darauf, dass vor allem kleine Provider weiterhin belastet würden und die Kosten an die Verbraucher weitergeben müssten. "Dann ist der Wettbewerb in Gefahr", so vzbv-Vorstand Klaus Müller. In der Folge würden die Preise am Mobilfunkmarkt steigen.

Rechenbeispiel zeigt: Roaming bleibt teuer

Heute kostet der Verbrauch von 1 GB im EU-Ausland für den Anbieter mehr als 50 Euro netto. Doch selbst Tarife mit geringeren Inklusivkontingenten können im Ausland hohe Kosten verursachen: Gewährt ein Anbieter seien Kunden beispielsweise pro Monat 100 Minuten, 100 SMS und 100 MB Nutzung im EU-Ausland und der Kunde nutzt das Angebot aus, so liegen die Kosten für den Anbieter heute bei 12 Euro netto. Sofern der Provider nicht von sich aus das Prinzip "Roam like at home" bereits umgesetzt hat, darf er bis zum 15. Juni 2017 noch regulierte Aufpreise berechnen, die genau diese Kosten abdecken.

Im kommenden Jahr, sollten die regulierten Großhandelspreise wie vorgeschlagen gesenkt werden, würde das gleiche oben genannte Paket dann statt 12 Euro netto im Einkauf nur noch 6,35 Euro netto für den Anbieter kosten. Diese Verbesserung klingt zunächst gut. Der in Deutschland angebotene Tarif muss jedoch ab 15. Juni 2017 im EU-Ausland ohne Aufschläge gelten. Das hieße, dass beispielsweise der All-Net & Surf Flex von GMX für den Provider zu einem echten Kostenrisiko werden kann - nur dadurch, dass der Kunde ihn nutzt. Im Preis von 6,99 Euro sind monatlich 300 Gesprächsminuten (oder SMS) und 2 GB Daten enthalten. Nutzt der Kunde diese Inklusivleistungen nun statt in Deutschland einen Monat lang in Spanien, so müssten hier nach den möglichen neuen Konditionen 17 Euro (netto) für die Datenübertragung und 12 Euro (netto) für die Telefonie in Richtung Spanien überwiesen werden. Somit entstehen dem Provider 29 Euro (netto) Kosten für einen Tarif, der den Kunden 6,99 Euro brutto kostet.

Drastische Lösung: Großhandelspreise streichen

Die Absenkung der Preise, die sich die Provider gegenseitig in Rechnung stellen dürfen, tut auch aus der Sicht von Experten Not. Denn ein wirkliches "Roam like at home" hätte für viele Geschäftsmodelle der Mobilfunkanbieter fatale Folgen - und damit auch für die Kunden. Smartphone-Einsteigertarife der Discounter wären vermutlich nicht mehr finanzierbar, so die Befürchtung. Natürlich ist es den Providern möglich, durch entsprechende Verhandlungen mit Partnerunternehmen die Großhandelskonditionen weiter abzusenken. Das jedoch wird nur bei einer großen Masse an Kunden möglich sein, selten für kleinere Discounter.

Die Stellschrauben für die EU, will sie kostenfreies Roaming durchsetzen, sind begrenzt. Eine Option wäre ein weiteres Absenken der Großhandelskosten. Doch - um beim Beispiel des GMX-Tarifs zu bleiben - müssten die Kosten extrem fallen, damit die Anbieter durch Roaming ihrer Kunden nicht drauflegen. Ausgehend von 2 GB Datenvolumen und den genannten Grundkosten von 6,99 Euro brutto müsste der Daten-Großhandelspreis auf 0,029 Cent netto fallen - ohne dass der Anbieter Gewinn gemacht hat oder dass der Kunde die 300 Einheiten für Telefonie genutzt hat, die weitere Kosten verursachen.

Faktisch würde das ein Abschaffen der Großhandelskonditionen bedeuten - ein Schritt, der zwar dem europäischen Binnenmarkt einen radikalen Schub geben würde, der mit den Netzbetreibern in Europa jedoch kaum zu machen wäre. Der weitere Ausbau der Netze würde dann ohne Weiteres auf der Strecke bleiben.

Aufschläge auch nach 2017

Kleinere Provider könnten sich auch auf die Tragfähigkeitsklausel der EU-Verordnung (Art. 6c) zum Roaming berufen. Diese sieht vor, dass Anbieter das "Roam like at home"-Prinzip umgehen und eine "Genehmigung zur Erhebung eines Aufschlags beantragen" dürfen, falls die verursachten Kosten im EU-Ausland ihr Geschäftsmodell gefährden. Ziel soll sein, "die Tragfähigkeit seines inländischen Entgeltmodells sicherzustellen". Denkbar wäre auch, dass die Kommission den Passus um die Möglichkeit für kleinere Anbieter erweitert, die Mitnahme der Inlandstarife ins EU-Ausland weiter einzuschränken oder ganz abzustellen.

So oder so - der vzbv befürchtet in diesen Fällen, die Tarife würden "teurer und für Verbraucher weniger attraktiv. Die Folge: Die Anbieter würden vom Markt verdrängt und damit auch ihre Innovationsleistung." Günstige Grundpreise mit hohem Volumen dürften dann keine Zukunft mehr haben.

Schmaler Weg aus der Zwickmühle

Natürlich werden die wenigsten Kunden jeden Monat ihr deutsches Inklusivvolumen im EU-Ausland nutzen. Bedenkt man aber, wie hoch die Preis-Kosten-Schere alleine beim Roaming bei nur einem Monat in unserem Beispiel ist, kann man sich vorstellen, welche Folgen solche Regelungen für den Markt haben werden. Verschärft wird die Lage dadurch, dass auch Bestandskundentarife, die auf anderen Kalkulationen beruhten, von der Regelung profitieren sollen.

Im Raum bleibt also die Frage stehen, ob EU-Kommission und -Parlament den Bürgern der EU mit dem Prinzip "Roam like at home" nicht zu viel versprochen haben. Aus Verbrauchersicht ist seine Einführung zu begrüßen.

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