Editorial: Dashcams zulässig, aber künftig nur mit Aktenordner
Aktuelles BGH-Urteil zu Dashcams
Grafik: WoGi-fotolia.com, Foto: Nikolay Kazakov, Montage: teltarif.de
Der Bundesgerichtshof hat diese Woche einen deutschen Sonderweg beendet
und die Verwertung von
Dashcam-Aufnahmen als Beweismittel in
Unfallprozessen grundsätzlich zugelassen. Bei vielen Unfallszenarien
sind die kleinen
Kameras an der Windschutz- oder zusätzlich auch Heckscheibe meist
der einzige Weg, um das genaue Geschehen aufzuklären, wenn beide
Unfallbeteiligten widersprüchliche Angaben machen. Zum Beispiel entsteht
ein Auffahrunfall in der Regel dadurch, dass das hintere Fahrzeug
auf das vordere Fahrzeug auffährt. Es gibt aber auch Fälle, da
steht das hintere Fahrzeug, und das Fahrer des vorderen
Fahrzeugs fährt unachtsam
rückwärts, zum Beispiel zum Einparken. Lügt dann der vorausfahrende
Fahrer vor Gericht, besteht eine hohe Gefahr, dass der unschuldige
Fahrer des zweiten Wagens zu Schadensersatz verurteilt wird.
Aktuelles BGH-Urteil zu Dashcams
Grafik: WoGi-fotolia.com, Foto: Nikolay Kazakov, Montage: teltarif.de
Der Bundesgerichtshof hat nun vollkommen zu Recht festgestellt,
dass bei einem Unfall der Unfallverursacher gerade keinen Datenschutz
genießt, Dashcam-Aufzeichnungen also gegen ihn verwendet werden dürfen:
Laut Gesetz muss eh jeder Unfallbeteiligte - egal ob schuldig oder
nicht - dem oder den anderen Beteiligten etliche Daten überlassen,
etwa Name und Anschrift, und auch Führerschein und Fahrzeugschein
müssen vorgelegt werden. Kommt es dann zum Streit über den genauen
Unfallhergang, werden vor Gericht noch weitere Beweise ausgewertet.
Auch dort gibt es keinen Datenschutz, sondern Sachverständige dürfen
zum Beispiel den Zustand der beteiligten Fahrzeuge bis ins letzte
Detail prüfen, um daraus den Unfallhergang zu rekonstruieren.
Wird die Polizei zum Unfall hinzugerufen, und hat sie den Verdacht,
dass ein Beteiligter unter Drogeneinfluss steht, dürfen sie auch
Bluttests auf Alkohol und weitere Betäubungsmittel veranlassen.
Die bisher schon zur Unfallaufklärung verwendeten Daten sind also ungleich persönlicher als Dashcam-Aufzeichnungen. Von daher wäre es absurd, letztere nicht zuzulassen. Zwar sind Dashcam-Aufzeichnungen des normalen, unfallfreien Verkehrsgeschehens bezüglich der anderen Verkehrsteilnehmer datenschutzwidrig. Aber sobald ein Unfall passiert, wird der Unfallgegner vom unbeteiligten Dritten, dessen Datenschutzinteressen überwiegen, zum am Unfall Beteiligten, dessen Datenschutzinteressen hinter dem Interesse an der Aufklärung des Unfalls zurücktreten.
Endlosschleife
Der BGH zeigt dankenswerterweise auch Technikverständnis und erkennt ebenfalls vollkommen richtig, dass es möglich ist, datenschutzkonforme Dashcams zu konstruieren: Beim normalen Betrieb überschreibt eine solche in einer kurzen Endlosschleife immer wieder die bisherigen Aufzeichnungen, so dass diese nicht verwendet werden können. Nur bei Anzeichen eines Unfalls, zum Beispiel einer starken Verzögerung des Fahrzeugs, wird die aktuelle Sequenz dauerhaft gesichert.
Eine weitere, noch sicherere Methode hatte ich bereits vor gut zwei Jahren vorgeschlagen: Die Aufzeichnung wird dabei von der Dashcam mit einem public-key-Verfahren verschlüsselt. Dadurch ist die Speicherkarte nicht vom Nutzer auslesbar, da nur der Hersteller über den zugehörigen private key verfügt. Der Hersteller wiederum schafft eine Clearing-Stelle, die auf Anforderung den Inhalt der Karte prüft, und nur dann, wenn tatsächlich ein Unfall oder eine andere Straftat aufgezeichnet wurde, die zugehörige Sequenz entschlüsselt. So werden Passanten zuverlässig vor Aufzeichnung geschützt, während zugleich die Aufklärung von Unfällen möglich bleibt.
Mit dem aktuellen Urteil setzt der BGH nun die Bundesregierung unter Druck, eine Verordnung zu verabschieden, mit der klare Mindeststandards für datenschutzkonforme Dashcams vorgegeben werden. Zum Beispiel könnte die maximale Länge der Speicherschleife oder gar die zwingende Wahl der verschlüsselten Lösung spezifiziert werden. Die Hersteller könnten dann binnen kurzem entsprechende Produkte auf den Markt bringen. Im Vergleich zu bisherigen Dashcams muss dazu nur die Firmware etwas erweitert werden.
Und was ist mit der DSGVO?
Viele Kritiker werden sicher einwenden, dass der BGH das aktuelle Urteil ganz bewusst noch vor dem 25. Mai gefällt hat, um nicht die ab dann zwingend geltende Datenschutz-Grundverordnung (EU-DSGVO) anwenden zu müssen. Das mag sogar richtig sein, denn die DSGVO ergänzt unzählige Dokumentations- und Nachweispflichten für alle, die Daten verarbeiten. Wegen der vielen Änderungen wird der BGH sicher erstmal abwarten, wie die unteren Instanzen die DSGVO auslegen, statt mit eigenen Urteilen basierend auf der DSGVO vorzupreschen.
Nur: Bezüglich der Abwägung zwischen dem Datenschutzinteresse des Unfallverursachers und dem Aufklärungsinteresse des Unfallopfers bringt die DSGVO nichts neues. Es wird auch künftig das Interesse des Opfers überwiegen.
Reichlich Dokumentationspflichten
Allerdings wird jeder, der künftig Dashcams im kommerziellen Umfeld betreibt - und dafür reicht es vermutlich, dass man mit dem privaten Auto mit Dashcam zur Arbeit fährt - umfangreiche Dokumentationspflichten erfüllen müssen.
Hier nur ein paar zur Auswahl:
- Wozu dient die Datenspeicherung? (Aufklärung von Unfällen)
- Wer hat Zugang zu den Daten? (Autohalter, Ehefrau, Kinder)
- Wie sind die Daten vor Missbrauch gesichert (Endlosschleife)
- Wie sind die Daten vor Diebstahl gesichert (so gut wie gar nicht, es sei denn, es wird die verschlüsselte Lösung gewählt)
Firmen mit mehr als zehn Fahrern, egal, ob Taxiunternehmer oder Gemüselieferant, müssen dann auch noch einen Dashcam-Datenschutzbeauftragten bestellen. Das vorgenannte Datenschutzkonzept ist zudem jederzeit mitzuführen und auf Verlangen jedem Betroffenen vorzulegen. Betroffener ist natürlich jeder Passant oder jeder andere Autofahrer, dessen Bild zumindest vorübergehend als Teil der Endlosschleife aufgezeichnet wird. Mit der DSGVO wird also künftig genausoviel aufgezeichnet werden wie bisher, aber es wird dreimal besser dokumentiert sein. Ob er glaubt, dass das am Ende dem Datenschutz dienlich ist, soll jeder für sich selbst entscheiden.