Preiskampf

Editorial: Politik der kleinen Schritte

Nachdem die EU-Roaming-Regulierung am Zielpunkt angekommen ist, suchen EU-Verbraucherpolitiker nach einem neuen Betätigungsfeld. Und sie sind bereits fündig geworden.
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Bald Regulierung für Handygespräche ins Ausland? Bald Regulierung für Handygespräche ins Ausland?
Foto: @ Amir-Kaljikovic---Fotolia.com
Geschrieben habe ich darüber schon vor zehn Jahren, jetzt fällt es auch den Europa-Politikern auf: Bei der EU-Roaming-Regulierung sind die Auslandsgespräche vergessen worden. Die unsinnige Konsequenz: Wenn sich ein Münchner und ein Pariser in Offenburg verabreden, dann kann der Pariser den Münchner dank des Euro-Tarifs vor Ort kostenlos anrufen (so er eine Flatrate für Telefonate in seinem Heimatland hat), während der Münchner für einen Anruf zum Pariser hohe Minutenpreise zahlen muss. Genau anders herum gilt das hingegen, wenn sich beide ein paar Kilometer weiter auf der anderen Seite des Rheins in Straßburg treffen: Dann zahlt der Pariser ein teures Auslandstelefonat für einen Anruf zum Münchner, während der Münchner dort kostenlos roamt.

Jetzt, wo wir innerhalb der EU zur Verbesserung des Binnenmarkts beim Prinzip Roam like at home angekommen sind, es also keine Roaming-Zuschläge mehr gibt, verwundert es wenig, dass die Verbraucherpolitiker nun das Thema der teuren EU-"Auslands"-Gespräche entdecken. Denn auch diese stehen ganz klar im Widerspruch zum Ziel eines einheitlichen europäischen Binnenmarktes ohne künstliche Grenzen. Ja, man könnte sogar fast auf die Idee kommen, dass das Thema der Auslandsgespräche von der Politik zunächst absichtlich ausgespart wurde, um nach erfolgreicher Roaming-Regulierung gleich das nächste Betätigungsfeld zu haben.

Von der Branche selbst verschuldet

Bald Regulierung für Handygespräche ins Ausland? Bald Regulierung für Handygespräche ins Ausland?
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Allerdings ist auch die Mobilfunkbranche nicht ganz unschuldig daran, dass nach der Abschaffung von Roaming-Aufschlägen innerhalb der EU nun medienwirksam über die Preise für Auslandstelefonate diskutiert wird. Deutschlands (nach Umsatz und Netztests) führender Netzbetreiber verlangt beispielsweise im Tarif Magenta Mobil L, trotz hoher Grundgebühr von 55 Euro monatlich, dennoch teure 98 Cent pro Minute für Telefonate zu einer französischen Handynummer. Beim Discounter Klarmobil bezahlt man im Tarif Community für dieselbe Leistung hingegen nur 9 Cent pro Minute, also nicht einmal ein Zehntel, und das sogar im selben Netz. Von daher ist es durchaus verständlich, dass der Telekom - und nicht nur ihr - Abzocke bei Auslandsgesprächen vorgeworfen wird.

Nun ist es ja nicht so, dass die Netzbetreiber nur bei Auslandsgesprächen innerhalb der EU kräftig die Hand aufhalten. Für Telefonate zu chinesischen Handys, die von den Kosten für die Telekom dank niedrigerer Terminierungsentgelte sogar günstiger sein sollten als Telefonate zu französischen Handys, werden in dem genannten Telekom-Tarif gar 1,28 Euro pro Minute fällig, bei Klarmobil sogar 1,99 Euro pro Minute. Doch es geht auch drastisch günstiger: Unsere Einzelverbindungs-Datenbank nennt hingegen ein halbes Dutzend Prepaid-Anbieter zwischen 2 und 4 Cent pro Minute. Bei letzteren kommt zwar immer noch ein Verbindungsentgelt von 15 Cent pro Gespräch hinzu, aber selbst ein 1-Minuten-Telefonat kostet inklusive Verbindungsentgelt bei den Auslands-Discountern mit 17  bis 19 Cent einen Bruchteil dessen, was die Telekom verlangt. Schon bei einem zwei-Minuten-Telefonat liegen die Preisunterschiede jenseits von 1:10, bei einem ein-Stunden-Telefonat geht es um mehr als den Faktor 50!

Noch absurder sind die Preisunterschiede beim Daten-Roaming im fernen Ausland. Da kann es durchaus passieren, dass ein paar E-Mails und WhatsApp-Nachrichten mit zusammen 5 MB sich mit 20 Euro und mehr auf der heimischen Handy-Rechnung niederschlagen. Kauft man sich stattdessen am Zielort direkt am Flughafen eine nationale SIM, ist es nicht ungewöhnlich, dass man für dasselbe Geld nicht 5 MB sondern 10 GB erhält, also die 2000-fache Leistung zum selben Preis erhält.

Scheibchenweise oder alles auf einmal?

Es gibt also viel zu tun für die EU-Verbraucherpolitiker, wenn sie die genannten Themen alle einzeln abarbeiten: EU-Auslandsgespräche in den kommenden drei Jahren, danach drei Jahre lang Auslandsgespräche weltweit, dann fünf Jahre Roaming-Telefonate weltweit, dann nochmal fünf Jahre Roaming-Datentarife, und wenn wir dann am Ende der Regulierung angekommen sind, hat sich bis dahin der Telekommunikationsmarkt mit Sicherheit so viel weiterentwickelt, dass es etwas Neues gibt, was man sinnvollerweise regulieren würde. Für die Politiker ist das ideal: Sie bleiben beschäftigt, und sie können sich immer und immer wieder erneut als Verbraucherschützer in Szene setzen.

Besser für die Branche wäre, den Mobilfunkmarkt in einem Schritt dauerhaft und nachhaltig dort für Konkurrenz zu öffnen, wo der Markt offensichtlich versagt, statt immer wieder kleine Regulierungsschritte zu gehen! Hier gilt das Prinzip, dass ein großer, schmerzender Schritt einfach besser ist als viele kleine, ebenfalls schmerzende Schritte. Denn dass die weitere Regulierung für Auslandsgespräche und Roaming-Dienste kommt, und nicht nur innerhalb der EU, ist angesichts des eklatanten Marktversagens wohl unvermeidlich. Nur durch das Marktversagen sind die genannten Aufpreise um Faktor 10 und mehr erklärbar.

Warum kann ich, im Ausland angekommen, zwar das Roaming-Netz wählen, aber nicht den Roaming-Abrechnungsdienstleister? Letzterer würde dann eigene Roaming-Konditionen mit den Netzbetreibern vor Ort aushandeln. Und da reine Roaming-Abrechner - anders als die Netzbetreiber vor Ort - keine eigenen Kunden haben, die auch mal in das jeweils andere Land reisen, würde dadurch das "bilaterale die Hand-aufhalten" nachhaltig beendet werden. Analog würde die Möglichkeit, einen Alternativanbieter für abgehende Auslandstelefonate wählen zu können, ebenfalls dazu führen, dass die Kunden nicht mehr teuren Vertragstarifen ausgeliefert sind. Call by Call hat vor fast 20 Jahren im Festnetz eine stürmische Preissenkungswelle ausgelöst. Warum diesen Dienst nicht auch im Mobilfunk einführen, zumindest dort, wo ein Großteil der Tarife offensichtlich stark überteuert ist?

Für die Netzbetreiber hätte die freie Betreiberwahl für Roaming und Auslandstelefonate sogar den Vorteil, dass sie den Telefoniedienst wieder attraktiver macht. Denn die derzeit kostengünstigste Lösung für Auslandstelefonate mit effektiven Minutenpreisen weit unter 1 Cent pro Minute kommt ganz ohne die klassische Mobiltelefonie aus, nämlich die VoIP-Telefonie über Apps wie Skype, Facebook Messenger & Co. Auch als Roaming-Preisbrecher sind diese Apps bestens geeignet: Man muss nur eine lokale Daten-SIM-Karte vor Ort kaufen. Die heimische Rufnummer bleibt dennoch per WhatsApp Call erreichbar. Diese Lösung kostet den Netzbetreibern auf lange Sicht noch mehr Umsätze als die freie Betreiberwahl!

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